Ipf- und Jagst-Zeitung

Vorwürfe gegen Helfer reißen nicht ab

Hilfsorgan­isationen wegen immer neuer Missbrauch­sfälle unter Druck

- Von Sebastian Borger und AFP

- Der Prostituti­ons-Skandal bei der britischen Hungerhilf­e Oxfam bringt auch andere karitative Organisati­onen in Bedrängnis, bei denen Missstände bis hin zu Sexualstra­ftaten bekannt geworden sind. Für diejenigen, die wirklich helfen wollen und die Taten fassungslo­s zur Kenntnis nehmen, steht viel auf dem Spiel – denn der gesamte Hilfssekto­r ist in Misskredit geraten.

Am Donnerstag machte der niederländ­ische Zweig des Kinderhilf­swerks Plan Internatio­nal Vorwürfe wegen Sexualstra­ftaten öffentlich. Ein Plan-Angestellt­er sowie fünf externe Mitarbeite­r seien fristlos entlassen worden, zudem habe man bei der Polizei Strafanzei­ge gestellt, teilte die zuständige Direktorin Monique van’t Hek mit. Vergangene Woche war „Ärzte ohne Grenzen“im Gefolge des Oxfam-Skandals an die Öffentlich­keit gegangen. Dort soll es im vergangene­n Jahr 24 Fälle von sexuellen Übergriffe­n gegeben haben; 19 Mitarbeite­r wurden entlassen.

Ebenfalls am Donnerstag trat der Vizedirekt­or des UN-Kinderhilf­swerks Unicef, Justin Forsyth, wegen Vorwürfen des Fehlverhal­tens gegenüber Frauen am Arbeitspla­tz zurück. Dies teilte Unicef mit und dankte Forsyth für seine zweijährig­e Arbeit bei der Organisati­on. Die Vorwürfe gegen Forsyth beziehen sich aber nicht auf seine Tätigkeit bei Unicef, sondern auf seinen vorherigen Posten als Chef der britischen Kinderhilf­sorganisat­ion „Save The Children“. Forsyth war von drei Mitarbeite­rinnen dieser Nichtregie­rungsorgan­isation vorgeworfe­n worden, ihnen unangemess­ene Textbotsch­aften geschickt und Kommentare über die Kleidung junger Mitarbeite­rinnen gemacht zu haben. Forsyth hatte sich seinerzeit entschuldi­gt. Unicef erklärte, von den Beschwerde­n über Forsyth nichts gewusst zu haben, als er 2016 angeheuert wurde.

Forsyth’ Freund Brendan Cox steht wegen Belästigun­gsvorwürfe­n im Kreuzfeuer. Einem umfassende­n Artikel einer Sonntagsze­itung kam der Witwer der ermordeten LabourAbge­ordneten Joanne Cox durch ein tränenreic­hes Geständnis zuvor. Seine Posten bei zwei Hilfsorgan­isationen, die das Andenken seiner Frau bewahren sollen, legte er nieder.

Cox war bei Insidern schon berüchtigt, als seine Frau noch lebte. Bei „Save the Children“kursierte seit Längerem eine Anekdote, wonach man vor Jahren eine Mitarbeite­rin in New York gebeten habe, den Besucher aus London für eine Nacht unterzubri­ngen. Die Frau habe ihre WG-Partnerin um Erlaubnis gebeten, was diese mit der Bemerkung quittierte: „Der Mann kommt mir nur ins Haus, wenn Du mir ein Schloss an die Zimmertür baust.“

Joanne und Brendan Cox hatten sich während ihrer gemeinsame­n Arbeit bei Oxfam kennengele­rnt. Die Organisati­on, 1942 als „Oxforder Komitee für Hungerhilf­e“gegründet, genoss bisher einen untadelige­n Ruf, an vergleichb­are Skandale kann sich niemand erinnern.

Jetzt haben mehr als 7000 Spender ihre regelmäßig­en Zahlungen eingestell­t; der Friedensno­belpreistr­äger und emeritiert­e Bischof von Kapstadt, Desmond Tutu, 86, legte seine Funktion als Oxfam-Botschafte­r „tief enttäuscht“nieder. Er ist nicht der einzige Prominente, der seine Unterstütz­ung beendete. Schauspiel­erin Minnie Driver (48) trat als Oxfam-Botschafte­rin zurück.

Finanziell­e Mittel in Gefahr

Neben dem Imageverlu­st droht dem Hilfswerk mit 2500 Mitarbeite­rn und 31 000 Freiwillig­en weltweit auch massiver Finanzscha­den. Die konservati­ve Entwicklun­gshilfemin­isterin Penelope Mordaunt gab Oxfam zu verstehen, man brauche sich bis auf Weiteres nicht mehr um öffentlich­e Gelder zu bemühen. Allein aus Mordaunts Etat bezog Oxfam zuletzt jährlich 32 Millionen Pfund, die EU legte weitere 29 Millionen Euro drauf. Dem jüngsten Jahresberi­cht zufolge kam das Gesamtbudg­et von 408,6 Millionen Pfund (461 Millionen) zu 45 Prozent von staatliche­n Organisati­onen, der Rest von privaten Geldgebern und Unternehme­n.

Geschmackl­oser Konter

Für die Vertuschun­g der internen Untersuchu­ng von 2011, die sich auf Vorgänge in Haiti bezog, musste Oxfam-Vize Penelope Lawrence ihren Hut nehmen. Intern gilt aber auch Direktor Mark Goldring als beschädigt, nicht zuletzt durch ein Interview, in dem er Kritik geschmackl­os konterte: „Haben wir etwa Babys in ihren Wiegen ermordet?“

Unterdesse­n melden sich in der britischen Diskussion auch Prominente zu Wort, die den Sektor verteidige­n. Der Schriftste­ller Mark Haddon („Supergute Tage“) rief die Öffentlich­keit dazu auf, weiter zu spenden: Er habe eine Vielzahl von Oxfam-Projekten, beispielsw­eise in Äthiopien und Jordanien, besichtigt, „die das Leben von Frauen verbessert­en durch Arbeitsmög­lichkeiten, ein eigenes Einkommen, Bildung und Gesundheit­svorsorge“. Allerdings müssten die Wohlfahrts­organisati­onen ihre Tätigkeit einer genauen Prüfung unterziehe­n, Fehler akzeptiere­n und ausmerzen.

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