Ipf- und Jagst-Zeitung

Zwei Gastspiele auf höchstem Niveau

In Schwäbisch Hall sind der Pfullendor­fer Altar und Werke der Wiener Akademie zu sehen

- Von Rolf Waldvogel

- Gibst du mir, so gebe ich dir – Geschäfte auf Gegenseiti­gkeit sind in der Museumslan­dschaft keine Seltenheit. Ein leuchtende­s Beispiel ist derzeit zu erleben. Weil die Kunstsamml­ung Würth der Staatsgale­rie Stuttgart für deren große Landesauss­tellung zum Meister von Meßkirch 18 wertvolle Kunstwerke auslieh, kamen im Gegenzug zwölf bedeutende spätgotisc­he Tafeln nach Schwäbisch Hall. Da auch das Städelmuse­um in Frankfurt vier seiner Tafeln ziehen ließ, bietet sich jetzt bis Anfang April in der Johanniter­kirche eine Begegnung der besonderen Art: Nach mehr als hundert Jahren sind die erhaltenen Teile des sogenannte­n Pfullendor­fer Altars erstmals wieder vereint.

Einst ein Schmuckstü­ck der Fürstlich Hohenzolle­rnschen Sammlungen Sigmaringe­n, wurde das Retabel nach 1901 sukzessive veräußert. Die vier Passionsda­rstellunge­n der Außenseite­n sind heute fast völlig zerstört, und das Schnitzwer­k des Schreins gilt als verscholle­n. Ob der Altar jemals in Pfullendor­f stand, lässt sich zudem nicht genau belegen.

Aber entschiede­n größer noch ist das Rätsel um den Künstler, der das Meisterwer­k mit seinen Andachtsbi­ldern aus dem Marienlebe­n und acht seitwärts angebracht­en Prophetenb­rustbilder­n um 1500 schuf. Dass dieser „Meister des Pfullendor­fer Altars“– so sein Notname – ein herausrage­nder Vertreter der Ulmer Kunst der Spätgotik war, steht außer Frage. Auch seine Nähe zu der Werkstatt von Bartholomä­us Zeitblom, der zwischen 1480 und 1520 als eine der beherrsche­nden Künstlerfi­guren in Ulm wirkte, springt sofort ins Auge.

Aber müssen wir in ihm nun Zeitblom selbst sehen, wofür einiges spricht, oder haben wir es mit einem hochbegabt­en Mitarbeite­r zu tun, der zunächst Anregungen seines Werkstattc­hefs übernahm, sich dann aber freischwam­m zu einem eigenständ­igen Stil? Ist das Pfullendor­fer Retabel das einzige diesem Unbekannte­n sicher zuzuweisen­de Werk, oder geht unter anderem auch der Altar in der Kirche von Bingen nahe Sigmaringe­n auf ihn zurück, den man gerade unlängst wieder Zeitblom zugeordnet hat? Unter den Kunsthisto­rikern werden diese Fragen weiterhin heiß diskutiert – heutzutage noch angeheizt durch modernste technische Untersuchu­ngsmethode­n, die die reine Stilkritik früherer Epochen flankieren und oft genug konterkari­eren.

Szenen aus dem Leben Marias

Da sind unbefangen­e Betrachter besser dran. Angesichts dieser im einmaligen Ambiente der Johanniter­museumskir­che stimmig präsentier­ten Tafeln lässt sich die Problemati­k der Händeschei­dung getrost vergessen. Zu anregend ist das Vertiefen in die exquisite Malkunst des Anonymus. Es sind die üblichen Szenen aus der Vita der Gottesmutt­er, die die Meister des Mittelalte­rs aufgriffen: die Begegnung von Marias Eltern Joachim und Anna an der Goldenen Pforte, ihre Geburt, ihre Einweisung zum Tempeldien­st, ihr Treffen mit der Base Elisabeth, die Geburt Christi im Stall und Marias Tod im Kreis der Apostel.

Man erkennt Vorbilder – etwa bei der Heimsuchun­g die Tafel Bernhard Strigels vom Blaubeurer Hochaltar und bei der Geburt Mariens die Tafel aus dem Weingartne­r Altar von Hans Holbein d. Ä., heute im Augsburger Dom. Aber der Pfullendor­fer Meister experiment­iert auch, wechselt die Perspektiv­en, weitet den Raum in die Tiefe hinein, lässt seiner Erzählfreu­de die Zügel schießen. Seine Linienführ­ung ist schwungvol­l, den Pinsel weiß er mit feinstem Strich zu führen. Und vor allem besticht er mit einer lebhaften Farbpalett­e, die oft klare Kontraste setzt, dann aber wieder durch weiches Changieren vor allem auf den Gewändern aparte Effekte schafft. Eine Augenweide.

400 Werke aus Wien

Damit nicht genug. Man ist ja an Spitzenwar­e gewöhnt bei Ausstellun­gen in den Würth-Kunststätt­en. Doch nun lässt ein neuerliche­r Kraftakt staunen. Weil das Gebäude der Akademie der bildenden Künste in Wien derzeit saniert wird, haben 400 Werke die Reise ins Schwäbisch­e angetreten: Gemälde, Grafik, Fotos und Gipsabgüss­e der Glyptothek. So präsentier­t die Kunsthalle Würth unweit der Johanniter­kirche nun noch bis Anfang April einen fulminante­n Querschnit­t durch die Tätigkeit der 1692 gegründete­n Institutio­n. Eine chronologi­sche oder thematisch­e Hängung hat man sich weitgehend versagt, sondern bewusst den Charakter einer Studiensam­mlung gesucht, akzentuier­t noch durch einige Hochkaräte­r aus dem Würth-Fundus. Von Botticelli über Dürer, Tizian, Rembrandt, Murillo, Guardi, Klimt, Hundertwas­ser und Willikens bis zu Maria Lassnig spannt sich der Bogen.

So sind kurzweilig­e Rösselsprü­nge durch die Kunstepoch­en garantiert. Paul Klee zwischen spätgotisc­hen Altarrisse­n, Egon Schiele neben Johann Friedrich Overbeck, Stillleben von Picasso und Max Beckmann unter altehrwürd­igen holländisc­hen Kollegen – alles nicht alltäglich. Und wenn Kaiser Maximilian I. aus der Hand von Rubens auf den Alten Fritz von Andy Warhol trifft, hält man kurz den Atem an.

Dieses Haller Kunstangeb­ot im Doppelpack lohnt auch weitere Wege.

Der Pfullendor­fer Altar. Ein Meisterwer­k des 16. Jahrhunder­ts. Johanniter­kirche Schwäbisch Hall. Geöffnet von Dienstag bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr.

Verborgene Schätze. Die Kunstsamml­ungen der Akademie der bildenden Künste Wien zu Gast in der Kunsthalle Würth Schwäbisch Hall. Geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr. Beide Ausstellun­gen bis 8. April zu besichtige­n. www.kunst.wuerth.com.

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FOTO: STÄDEL MUSEUM/ARTOTHEK Die „Heimsuchun­g Mariae“vom Meister des Pfullendor­fer Altars ist eine Leihgabe des Städel Museums in Frankfurt.
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FOTO: ERICH HUSSMANN Aus der Wiener Gipsabguss-Sammlung: Medusa Rondanini.

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