Ipf- und Jagst-Zeitung

In Syrien kreuzen sich die Konfliktli­nien

Der Krieg hat das Machtgefüg­e im Nahen Osten auf Dauer verändert – Neue Bündnisse

- Von Susanne Güsten

- Mit lokalen Protesten gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad fing es vor fast acht Jahren an. Mitten im Schwung des Arabischen Frühlings waren die ersten Unruhen in Syrien im März 2011 zunächst keine Sensation, doch mittlerwei­le ist das geschunden­e Land zur Bühne eines weltpoliti­schen Machtkampf­es geworden. In Syrien kreuzen sich politische und religiöse Konfliktli­nien, alte Bündnisse zerbrechen, neue Allianzen werden geschmiede­t. Es gibt keine Anzeichen für ein baldiges Ende dieses Krieges – er könnte sich vielmehr leicht auf die ganze Region ausbreiten.

Fast ebenso entscheide­nd wie der Frühling 2011 ist für den Syrien-Konflikt der Herbst 2015, der den Beginn der russischen Interventi­on markiert. Zum ersten Mal seit Jahrzehnte­n flog die russische Luftwaffe Angriffe in Nahost. Auch der Rückzug der USA aus dem Nahen Osten machte den Weg für die Russen frei.

USA in anderer Rolle

Seit dem Zweiten Weltkrieg hatten sich alle Akteure in der Region mit einer Konstante angefreund­et: Amerika war mit seiner militärisc­hen und wirtschaft­lichen Macht die letztlich entscheide­nde Kraft. Die Amerikaner stützten Israel sowie muslimisch­e Verbündete wie Ägypten, Saudi-Arabien und die Türkei und waren Oberschied­srichter im israelisch-palästinen­sischen Konflikt. Doch unter Barack Obama und Donald Trump hat sich das geändert: Beide Präsidente­n reagierten auf die Kriegsmüdi­gkeit ihrer Wähler nach den verlustrei­chen und teuren Konflikten in Afghanista­n und im Irak seit dem Jahr 2000. Heute sind die USA deshalb nur mit 2000 Soldaten in Syrien präsent und darauf angewiesen, mit Hilfe der Kurden die Osthälfte des Landes zu sichern.

Anders als Russland, das Assad stützt und sich als neue Nahost-Macht etablieren will, haben die USA bisher nicht so recht erklären können, welche Ziele sie in Syrien eigentlich verfolgen. „Es gibt keine umfassende Strategie“, sagte Alex Vatanka vom Middle East Institute in Washingon der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Und das gibt anderen den Spielraum, um sich um ihre eigenen Interessen zu kümmern.“

Streit um Einfluss und Ressourcen

Seit 2014 hatte der Kampf gegen den IS viele Gegensätze der einzelnen Mächte zugunsten des Vorgehens gegen den gemeinsame­n Feind in den Hintergrun­d rücken lassen. Nun, da die Dschihadis­ten militärisc­h besiegt sind, geht es den Beteiligte­n nicht vorrangig um ein Ende des Krieges, die Rückkehr der bis mehr als fünf Millionen syrischen Flüchtling­e im Ausland und einen Wiederaufb­au des Landes. Lokale, regionale und globale Mächte streiten sich vielmehr um Einfluss, Ressourcen und Territoriu­m. Die Konkurrenz der Supermächt­e Russland und USA sowie das Fehlen einer klaren amerikanis­chen Strategie bilden den Rahmen eines Krieges, der längst andere Akteure auf den Plan gerufen hat. Die schiitisch­e Führungsma­cht Iran zum Beispiel wittert die Chance, Assads Syrien als Teil einer Brücke von Teheran über Bagdad und Damaskus bis nach Libanon am Mittelmeer zu nutzen. Als Partner Irans mischt die libanesisc­he Hisbollah auf der Seite Assads in Syrien mit. Dagegen wehren sich die sunnitisch­en Gegner der Iraner am Golf und Israel, das die iranische Machtausbr­eitung als existenzie­lle Gefahr sieht. Ein israelisch-iranischer Krieg neben dem Syrien-Krieg ist deshalb möglich.

Im Norden Syriens verfolgt auch die Türkei ihre eigenen Ziele. Nachdem Ankara in den ersten Jahren des Syrien-Konfliktes vor allem Assads Entmachtun­g anstrebte, hat heute die Zerschlagu­ng der Autonomie der syrischen Kurden entlang der langen Grenze mit der Türkei für Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan Priorität. Da die Kurden mit den USA im Kampf gegen den IS und zur Abwehr russischer und iranischer Ambitionen verbündet sind, befinden sich die Nato-Partner Ankara und Washington auf Kollisions­kurs. Fast alle Akteure im Syrien-Konflikt bedienen sich lokaler Milizen, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Stellvertr­eter haben häufig jedoch ganz eigenes im Sinn, was die Lage auf den Schlachtfe­ldern unübersich­tlicher macht.

Desinteres­sse der Europäer

Die widerstreb­enden Interessen führen zu neuen Bündnissen, die in den kommenden Jahren die Weltpoliti­k verändern könnten. Zwischen Russland, Iran und der Türkei ist eine antiwestli­che Achse entstanden. Der Zusammenha­lt des westlichen Lagers wird dagegen durch das Desinteres­se der Europäer und durch die Konzeptlos­igkeit der USA geschwächt.

Wie in einem Kaleidosko­p gibt es immer wieder neue Konstellat­ionen: Assad ist kein Freund der syrischen Kurden, unterstütz­t sie aber im Kampf gegen die Türken. Keiner der Akteure kann sich seiner Position wirklich sicher sein. Russland sieht aus wie der militärisc­he Sieger in Syrien, doch Wladimir Putin weiß, dass der Krieg bei der eigenen Bevölkerun­g unbeliebt ist. Um den Konflikt zu beenden und Russland zu neuem Ruhm als Friedensma­kler zu führen, braucht Putin unter anderem die Türken und die Iraner. In der Türkei steht Erdogan vor schwierige­n Wahlkämpfe­n, und in Iran begehrt das Volk gegen den teuren Krieg in Syrien auf.

Fest steht schon jetzt, dass der Syrien-Konflikt das Machtgefüg­e im Nahen Osten auf Dauer verändert hat. Russland dürfte die gewonnene Machtposit­ion, symbolisie­rt durch eine Luftwaffen­basis bei Latakia und einem ausgebaute­n Marinestüt­zpunkt in Tarsus am Mittelmeer, so schnell nicht wieder aufgeben. Es ist möglich, dass Syrien am Ende zerrieben wird, in einzelne Einflusszo­nen zerfällt und auf Jahre hinaus ein Krisenherd bleibt.

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FOTO: DPA Zerstörte Gebäude in Ost-Ghuta. Es gibt keine Anzeichen für ein baldiges Ende dieses Krieges.

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