Ipf- und Jagst-Zeitung

Essener Tafel verteidigt Ausländers­topp

Parteiüber­greifende Kritik aus der Politik – Bundesverb­and beklagt hohe Belastung

- Von Johannes Nitschmann (KNA) und dpa

- Trotz starker Kritik will die Essener Tafel an ihrem Aufnahmest­opp für Ausländer vorerst festhalten. „Ich stehe dazu“, sagte der Vorsitzend­e Jörg Sartor am Freitag. Ältere Menschen oder Alleinerzi­ehende hätten sich dort zuletzt nicht mehr wohlgefühl­t und seien zunehmend von Flüchtling­en und Zuwanderer­n verdrängt worden.

„Wir wollen, dass auch die deutsche Oma weiter zu uns kommt“, sagte Sartor. Deshalb habe der Verein die Reißleine ziehen müssen. Die lautstarke­n Missbillig­ungen aus der Politik beeindruck­ten ihn nicht. „Wir wollen erreichen, dass der Weg in die Tafel wieder für alle offen ist.“

Der Anteil der Migranten unter den etwa 6000 Nutzern der Tafel sei bis Ende vergangene­n Jahres auf 75 Prozent gestiegen, so Sartor. Gegenwärti­g gehe er davon aus, dass der Ausländers­topp für Neukunden mindestens bis zum Sommer aufrechter­halten werde.

Tafel-Chef sieht „Nehmer-Gen“

Besonders unter den Syrern und Russlandde­utschen will der Essener Tafel-Chef „ein Nehmer-Gen“ausgemacht haben. Bei der Lebensmitt­elausgabe werde gedrängelt und geschubst, von „Anstellkul­tur“keine Spur. Viele Tafelkunde­n fühlten sich durch fremdsprac­hige junge Männer abgeschrec­kt. Diesen fehle es teils an „Respekt gegenüber Frauen“.

„Nächstenli­ebe und Barmherzig­keit kennen grundsätzl­ich keine Staatsange­hörigkeite­n“, kritisiert­e der nordrhein-westfälisc­he Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) den Essener Aufnahmest­opp. Er habe „persönlich Zweifel“, ob die Staatsange­hörigkeit das richtige Kriterium sei, um die große Nachfrage bei den Tafeln reibungslo­ser organisier­en zu können. Zugleich müsse aber auch klar sein, dass den Tafeln nur begrenzte Mittel zur Verfügung stünden, betonte Laumann. Für die Verteilung seien daher Kriterien notwendig. Dabei dürfe aber die Staatsange­hörigkeit keine Rolle spielen. Auch SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen zeigten sich alarmiert.

Bundessozi­alminister­in Katarina Barley (SPD) betonte: „Bedürftigk­eit muss das Maß sein und nicht der Pass.“Der Landesverb­and der Tafeln in Baden-Württember­g kritisiert­e den Aufnahmest­opp ebenfalls. „Das ist eine sehr unglücklic­he Entscheidu­ng. Wir hätten das auch nicht so kommunizie­rt“, sagte ein Sprecher. „Die Tafeln suchen sich die Kunden nicht aus. Wir haben uns der Bedürftigk­eit verschrieb­en.“Im Südwesten stellten die Tafeln seit Anfang des vergangene­n Jahres eine Entspannun­g der Situation mit Flüchtling­en fest. Die Lage sei durchaus händelbar, hieß es. „Sprach- und Ablaufschw­ierigkeite­n sind mittlerwei­le großteils gelaufen“, sagte der Tafelsprec­her.

Der Vorsitzend­e des Dachverban­ds Tafel Deutschlan­d, Jochen Brühl, beklagte indes eine Überforder­ung von Tafeln: „Wir sehen, dass hier eine Tafel an ihre absolute Belastungs­grenze gekommen ist. Die Tafeln sind aber angetreten, um ausnahmslo­s allen Menschen zu helfen, die in Not sind. “

Bundesweit liegt der Anteil der Tafel-Kunden mit Migrations­hintergrun­d nach Angaben des Dachverban­ds „Deutsche Tafel e.V.“bei mehr als 60 Prozent. Insgesamt steige die Zahl der Bedürftige­n immer weiter an.

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FOTO: DPA Die Nachfrage hat sich geändert: Kunden der Essener Tafel auf dem Weg zur Ausgabeste­lle.

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