Stirbt die schwäbische Brezel?
Aufgrund des Fachkräftemangels ist es nur eine Zeitfrage, bis Bäcker auf Roboter umsteigen müssen
- Der Bauch dick, die Ärmle dünn. So muss laut Karl-Heinz Stollenmeier, Obermeister der Bäckerinnung, die schwäbische Brezel sein. Doch für so manchen Fan des Laugengebäcks nähert sich die schwäbische Backware immer mehr der bayerischen Brez‘n an, bei der Arme und Bauch fast gleich dick sind. Der Grund liegt für Stollenmeier darin, dass vor allem in größeren Betrieben mittlerweile Maschinen eingesetzt werden und die Brezel nicht mehr von Hand geschlungen wird.
Von einer maschinellen Produktion per Brezel-Roboter kann in der Backstube von Karl-Heinz Stollenmeier keine Rede sein. Für den Inhaber der gleichnamigen Bäckerei in Hüttlingen ist die Herstellung des Laugengebäcks ein Heiligtum – „ähnlich wie für den Koch die Fertigung von Spätzle“, sagt der 52-Jährige, der gemeinsam mit seiner Frau Carmen den Betrieb vor 26 Jahren gegründet hat. Deshalb würden bei ihm – ebenso wie in den drei selbst produzierenden Bäckereien Eymann, Munz und Walter in Aalen – die Brezeln nach wie vor von Hand hergestellt. Und zwar im Sauseschritt und per spezieller Wurftechnik.
Das meist verkaufte Gebäck
Die Teigrolle an beiden Enden gefasst, wird sie zu einer Bucht („U“) gelegt und diese mit einem schlenkernden Ruck so angehoben, dass sich ihre verdickte Mitte im Flug um 180 Grad verdrillt. Danach werden die Enden an den Seiten der Bucht angedrückt und die Brezel wandert nach zehn Sekunden aufs Backblech. Und zwar so, wie sie sein soll. Mit dickem eingeschnittenen, weichen Bauch, der beim Backen aufgeplatzt ist, und dünnen Armen. Rund 1000 Stück des schwäbischen Kulturguts, das nach wie vor das meist verkaufte Gebäck sei, stellen Stollenmeier und seine vier Mitarbeiter täglich in der Backstube her.
So manchem Liebhaber der schwäbischen Brezel fällt allerdings immer mehr auf, dass der Klassiker am Morgen zusehends aus der Form gerät. Stollenmeier führt dies darauf zurück, dass vor allem Großbäckereien, die zum Teil den Teig sogar aus Polen, Ungarn oder gar China beziehen, mittlerweile automatische Schlingmaschinen einsetzen. „Denn die Menge, die diese für ihre Filialen und Großkunden wie Discounter täglich herstellen, ist per Hand gar nicht mehr zu bewältigen“, sagt der Innungsobermeister. Die Folge
„Für mich ist die Herstellung von Brezeln ein Heiligtum“, sagt Karl-Heinz Stollenmeier.
der maschinell hergestellten Brezel, für deren Produktion mehr Teig verwendet werden müsse, damit die Arme in der Maschine nicht reißen, ist, dass diese nicht mehr dünn, sondern wie bei der bayerischen Brez’n fast genauso dick sind wie der Bauch.
Keinen Roboter setzt die Handwerksbäckerei Mack ein, die täglich rund 12 000 Brezel-Rohlinge fertigt, die dann tiefgefroren in die über 40 Filialen geliefert und hier gebacken werden. Doch trotz der Handarbeit sind bei den in Westhausen gefertigten Brezeln die Arme dicker als die hauchdünnen, fast salzstangenartigen Ärmchen des Laugengebäcks, das etwa in der Aalener Backstube Eymann herstellt wird. Das sei aber auch so gewollt, sagt Hans-Günther Mack. „Früher haben wir die Arme dünner gemacht. Dann haben sich die Kunden allerdings darüber beschwert, dass diese abbrechen würden. Und der Kunde ist König. Mit dickeren Armen kann die Brezel zudem komplett mit Butter bestrichen werden und das ist uns wichtig. Denn die Butterbrezel ist der meistverkaufte Snack“, sagt Mack.
Schwierig, Person zu finden
Ob knusperdünn oder dick. Die Geschmäcker sind eben verschieden. Eine Norm, wie die Brezel sein muss, gibt es ohnehin nicht, sagt Stollenmeier. Vielmehr liege es an jedem einzelnen Bäcker selbst, wie er diese nach den Kundenwünschen herstellt. Das Handgemachte werde aber über kurz oder lang selbst in mittelständischen und kleinen Betrieben ad acta gelegt, prophezeit Stollenmeier. Aufgrund des Fachkräftemangels sei es nur eine Frage der Zeit, bis auch diese auf die maschinelle Fertigung umstellen.
Personal zu finden, sei immens schwer, sagt Stollenmeier und spricht damit Martina Thies, Schwester des Inhabers der Aalener Bäckerei Walter, Matthias Klöpfer, aus der Seele. Viele junge Menschen gingen lieber in die Industrie, anstatt das Bäckerhandwerk zu erlernen. Und wenn irgendwann kaum noch jemand da ist, der Brezeln von Hand schlingt, muss eben eine Maschine angeschafft werden, die am laufenden Band produziert und nie krank ist, sagt Thies. Und dann könne es gut sein, dass es die schwäbische Brezel irgendwann nicht mehr gibt.
Mit dem Fachkräftemangel und dem Problem, einen Nachfolger für den Betrieb zu finden, stünden auch die inhabergeführten kleinen Bäckereien auf der Kippe, sagt Stollenmeier. Insofern müsse man nicht nur um die Zukunft der schwäbischen Brezel bangen, sondern auch darum, dass analog zu den Metzgereien immer mehr Bäckereien schließen werden.
Ein steht unter www.schwaebische.de/ brezel-aalen