Nackenschläge für einen Bahnhalt West
Bahn und Nahverkehrsgesellschaft bedrohen Vorhaben mit neuen Forderungen
- Gewaltig dicke Luft im Amtszimmer des Aalener Oberbürgermeisters: Dort haben Thilo Rentschler und sein Erster Bürgermeister Wolfgang Steidle am Dienstagmittag ordentlich ihren „Kragen“geleert über die jüngsten Forderungen von Bahn und Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg für einen künftigen Bahnhalt Aalen-West. Entgegen aller bisherigen Annahmen und Planungen sollen demnach dessen Bahnsteige nun plötzlich 270 Meter lang und 76 Zentimeter hoch werden. Was das Vorhaben aus Sicht der Stadt Aalen nahezu unrealisierbar erscheinen lässt, auch finanziell.
Von einem „richtigen Ärgernis“und einem Trauerspiel sprach Rentschler. Nach klaren „Signalen“für die Unterstützung dieses Bahnhalts Aalen-West, zuletzt aus dem badenwürttembergischen Verkehrsministerium, und nach Absprachen mit allen Beteiligten habe die Stadt die Planungsaufträge vergeben und ihre Hausaufgaben erledigt. Ausgegangen war sie dabei vom Maßstab anderer Regionalzughalte entlang der Remsbahn und auch auf Aalener Stadtgebiet und hatte für den künftigen Bahnhalt West eine Bahnsteiglänge von 170 Metern bei einer Höhe von 55 Zentimetern angenommen. Was geschätzte Baukosten von drei bis 3,5 Millionen Euro bedeuten würden.
Der erste Nackenschlag kam dann in Gestalt eines Briefs der Deutschen Bahn, die unter Verweis auf erst jüngst geänderte Betriebsverordnungen für einen Bahnhalt Aalen-West nun plötzlich eine Bahnsteighöhe von 76 Zentimetern fordert. Nackenschlag Nummer zwei ließ nicht lange auf sich warten: Die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg teilte der Stadt mit, dass sie eine Bahnsteiglänge von 270 Metern wünsche. Begründung: Weil langfristig deutliche Fahrgaststeigerungen zu erwarten seien, sei auch der Einsatz längerer Regionalzüge perspektivisch möglich. Und schließlich flatterte der Stadt ein drittes Schreiben ins Haus, diesmal wieder von der Bahn. Die teilt darin sinngemäß mit, dass sie ihren Förderantrag beim Land für den Bahnhalt West wieder zurückgezogen habe – wegen der Unsicherheiten in Zusammenhang mit den ja jetzt zu erwartenden Kostensteigerungen. Was ja sicher, wie die Bahn schreibt, auch im Interesse der Stadt sei.
Es geht nicht viel zusammen
Und was dann schließlich vollends OB Thilo Rentschler und seiner Mannschaft die Zornesröte ins Gesicht trieb. Denn abgesehen davon, dass er ein solches Vorgehen für „absolut nicht normal“hält und man über die wahren Hintergründe, wie er meint, trefflich spekulieren könnte – es gehe auch nicht viel zusammen zwischen diesen jüngsten Forderungen und den bisherigen Absprachen beziehungsweise Fakten.
Neue Triebzüge bereits bestellt
Als da wären: Bei der Sanierung und Hochstufung des Aalener Hauptbahnhofs war Vorgabe der Bahn eine Bahnsteighöhe von 55 Zentimetern. Jene Höhe, die auch viele andere Bahnhalte entlang der Remsbahn aufweisen, sofern sie nicht noch die niedrigere Höhe von 38 Zentimetern haben. Bisher sei noch kein Bahnsteig mit 76 Zentimetern an der Remsbahn gebaut worden. Mit einer Einstiegshöhe von 55 Zentimetern hat auch das Eisenbahnverkehrsunternehmen GoAhead all seine neuen Triebzüge bestellt, mit denen es ab Dezember 2019 als neuer Betreiber des Regionalverkehrs auf der Remsbahn hier im Halbstundentakt fahren will. Und schließlich messen die längsten Bahnsteige am Aalener Hauptbahnhof, an denen auch die langen Intercity-Züge halten, nur gut 230 Meter. Weshalb müssen es an einem künftigen Bahnhalt West, so fragt man sich im Rathaus, also plötzlich 270 Meter sein?
„Welche Sträuße Land und Bahn gerade miteinander ausfechten, ist mir völlig egal“, schimpft Rentschler, während Steidle klar macht, man lasse sich durch „unpassende Vorschriften“auch nicht jede angedachte städtebauliche Entwicklung rund um einen neuen Bahnhalt West kaputt machen. Der OB sagt aber auch das: Die Stadt werde alles daran setzen, diesen Bahnhalt West zu bekommen, allerdings nicht um jeden Preis.
Denn durch das ganze Gerangel tut sich – abgesehen von enormen Verteuerungen durch höhere und längere Bahnsteige – bei der Finanzierung ein weiterer gewaltiger Stolperstein auf: Würden Züge mit 55 Zentimetern Einstiegshöhe an 76 Zentimeter hohen Bahnsteigen halten, würde dies das Land nicht mehr als barrierefrei einstufen. Und somit die finanzielle Förderung verweigern.
Weitere „bürokratische Blüten“
Nach den drei Briefen habe man sofort beim Verkehrsministerium und bei der Bahn interveniert, sagt Rentschler. Was in der Reaktion allerdings nur neue „bürokratische Blüten und skurrile Vorschläge“hervorgebracht habe. Etwa den, den Bahnhalt West dann eben mit zweierlei Bahnsteighöhen zu bauen – mit 55 und mit 76 Zentimetern. „Wir müssen mit vereinten Kräften alle Beteiligten wachrütteln, um wieder zu unserem ursprünglichen Ziel zu gelangen“, sagt Rentschler. Hoffnungen setzt er außer in die Abgeordneten auch in den baden-württembergischen Verkehrsminister Winfried Hermann, der an diesem Mittwoch im Aalener Rathaus zu Gast sein wird.