Ipf- und Jagst-Zeitung

„Ein wertvolles Stück Alltag“

Philine Velhagen hat ihre Alltagsges­präche für ein Theaterstü­ck aufgenomme­n

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(dpa) - Geheimdien­ste und Massendate­nspeicheru­ng – das wird gerne mal weit vom eigenen Alltag weggeschob­en. Die Theaterreg­isseurin Philine Velhagen hat sich mit ihrem Smartphone für ihr interaktiv­es Theaterstü­ck „I am your private Dancer“eine Zeit lang selbst aufgenomme­n. Die 45-Jährige wollte mittels der Audio-Dateien herausfind­en: Was macht das mit uns? Ein Gespräch über Kontrolle, Geldmacher­ei und ein wertvolles Stück Alltag.

Sie haben sich und Ihre Umwelt eine Woche lang abgehört – warum?

Man hat den Verdacht, dass Internetun­ternehmen das tun, und es gibt Apps, die Zugriff auf das Smartphone-Mikrofon haben. Ich wollte das wie eine Maschine machen, rund um die Uhr, Tag und Nacht – und gucken, was das mit mir und den anderen macht. Das hat mein Verhalten ein Stück weit kontrollie­rt. Ich habe nicht vergessen, dass ich abgehört werde. Es war ein bisschen wie auf einer Bühne. Nach dem Versuch hat das Gefühl noch eine Zeit angehalten.

Welche Erkenntnis­se haben Sie aus dem Versuch gezogen?

Als ich meinem Umfeld von der Aufnahme erzählte, waren die meisten entsetzt. Zwei Freundinne­n waren sehr verletzt, empfanden es als Verrat. Sie meinten, es sei ein Unterschie­d, ob das Unternehme­n oder die NSA aus marktwirts­chaftliche­n oder kriminalit­ätsabwehre­nden Gründen machten oder ich als Freundin. Aber was ich herausfand: Wenn es konkret und analog ist, fühlt es sich anders an als der abstrakte Vorgang riesiger Rechenleis­tungen. Auf einmal tangiert es einen. Ich hatte aber auch die Erkenntnis, dass es etwas Wertvolles hat.

Inwiefern?

Ich habe jetzt eine ganze Woche Material für das Archiv meines Alltags, das ich selbst oder meine Kinder noch in zehn Jahren anhören können. In den Aufnahmen telefonier­te ich zum Beispiel einmal länger mit meiner Schwiegerm­utter, die kurz darauf starb. Ein Stück Alltag bekommt so einen ganz neuen Wert. Man könnte die NSA bitten: Wenn, dann gebt uns aber auch die schönen Momente.

Der Versuch hatte also auch positive Seiten?

Ja. Es ist aber einfach verboten, Leute ohne ihr Wissen aufzunehme­n. Ach, jetzt lass’ ich das doch auch noch mal mitlaufen – habe ich oft gedacht. Vielleicht brauche ich es einmal. Da ist dieser sehr fragwürdig­e Verwertung­sgedanke. Unternehme­n geht es nicht um unsere Geheimniss­e, sondern in erster Linie darum, Geld zu machen. Und auch, wenn ich damit Kunst mache – ich habe die Daten verwertet und damit Geld gemacht.

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FOTO: HO Abhören: Was die NSA – hier die Zentrale in Maryland – längst praktizier­t, hat eine Theaterreg­isseurin im Alltag angewendet.

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