Pauker trotz Pension
Wegen Lehrermangels kehren Rentner in die Klassenzimmer zurück
„Der Bitte einzuspringen, bin ich gerne nachgekommen, da ich schon immer gerne Lehrer war“, sagt Albrecht Schmid.
- Eigentlich ist er in Rente. Seinen Lehrerjob hat Frieder Henne dennoch nicht ganz an den Nagel gehängt. Der 67-Jährige ist einer von zehn Pensionären, die derzeit aufgrund von Lehrermangel an Aalener Schulen aushelfen.
Nur wenige Monate hat der Aalener seinen Ruhestand genießen können, der mit Blick auf seine sportlichen Aktivitäten ohnehin keiner ist. Denn in seiner Funktion als Trainer der Regionalliga-Volleyballer und der Volleyball-Landesliga der Damen bei der MADS Ostalb hat der passionierte Sportler ohnehin kaum eine freie Minute. Da er allerdings auch unabhängig vom Sport kein Mensch sei, der nur zuhause sitzen könne, sei es für den dreifachen Vater keine Frage gewesen, einmal in der Woche an der Kaufmännischen Schule auszuhelfen. Auch weil er seinen Beruf als Lehrer für Biologie und Sport immer gerne ausgeübt habe.
Seit Februar vergangenen Jahres unterrichtet er an der Kaufmännischen Schule donnerstags zwei Klassen des Wirtschaftsgymnasiums und eine Klasse der Wirtschaftsschule in Biologie – ein Fach, für das es wie bei allen anderen naturwissenschaftlichen Fächern wie Physik, Chemie oder Mathematik immer schwerer werde, Lehrer zu gewinnen. Warum, liegt für Henne auf der Hand. Mittlerweile seien 80 Prozent aller Lehrer an Schulen Frauen. Und diese studierten lieber Englisch, Französisch oder Deutsch. Darüber hinaus entstünden angesichts des hohen Frauenanteils mit Blick auf Mutterschutz und Elternteilzeit an den Schulen auch in anderen Fächern immer mehr Personalengpässe.
Biologie-Lehrerin ist in den Mutterschutz gegangen
Schwieriger werde der Betrieb auch angesichts der Halbtagskräfte. Diesen zu organisieren, sei für den Schulleiter mitunter recht schwer. Insofern können mit dem Einsatz pensionierter Lehrer Unterrichtsausfälle kompensiert und Lehrermangel ausgeglichen werden, bestätigen das Regierungspräsidium Stuttgart, das für Gymnasien und Berufliche Schulen zuständig ist, sowie das Staatliche Schulamt in Göppingen, das für alle anderen Schulen verantwortlich zeichnet.
In den Mutterschutz gegangen ist am 1. März auch eine Lehrerin am Kopernikus-Gymnasiums Wasseralfingen (KGW) – der Schule, an der Henne von 1978 bis 2016 tätig war. Und hierhin ist er Anfang März auf Anfrage von Schulleiter Michael Weiler wieder zurückgekehrt, um die Lücke zu schließen, die die werdende Mutter im Fach Biologie hinterlassen hat. Seit einer Woche unterrichtet der 67-Jährige an zwei Tagen jeweils sechs Stunden an seiner alten Wirkungsstätte. Unter anderem auch Schüler der Klasse zehn, die er vor seinem Ruhestand bereits in Klasse acht betreut hat. Und diese jetzt trotz Rente weiter begleiten zu dürfen, sei schön, sagt Henne.
Mit beiden Schulen habe er einen befristeten Arbeitsvertrag geschlossen. Während es früher nicht erlaubt war, als Pensionär mehr als sechs Stunden zu unterrichten, ohne dass diese Leistung von der Rente abgezogen wird, hätte sich dies aufgrund des Lehrermangels mittlerweile geändert. Oder, es sei, wie es das Regierungspräsidium formuliert, die Hinzuverdienstgrenze geöffnet worden, so dass es beim Einsatz in Mangelbereichen keine Deckelung beim Deputat gibt.
Schon vor Jahren in den Schuldienst zurückgerufen wurde Albrecht Schmid. Nachdem er 2010 am Theodor-Heuss-Gymnasium in den Ruhestand verabschiedet worden ist, wo er 37 Jahre lang Englisch, Religion und später in der Oberstufe auch Ethik unterrichtet hat, half er bis 2013 drei Jahre lang an der Kaufmännischen Schule in den Fächern Englisch und Ethik aus. Wegen des damals schon herrschenden Lehrermangels habe ihn Schulleiter Hartmut Schlipf gebeten, einzuspringen. „Der Bitte bin ich gerne nachgekommen, da ich schon immer gerne Lehrer war“, sagt Schmid.
Doch auch nach Beendigung der Lehrertätigkeit am Berufsschulzentrum setzte sich Schmid nicht zur Ruhe. 2013 stieg er bei der Deutschen Angestellten Akademie (DAA) in Aalen in den Lehrdienst ein. „Da für das Berufskolleg Sozialpädagogik ein Englischlehrer gebraucht wurde, der die Qualifikation zum Unterrichten in der Sekundarstufe 2 hat , habe ich zugesagt“, sagt der mittlerweile 72-Jährige, der heute noch bei der DAA die Fächer Religion und Ethik unterrichtet. Wie lange? „Das steht in den Sternen“, sagt Schmid, der im April 73 Jahre alt wird.
Noch bis zum Schuljahresende will Frieder Henne am KGW aushelfen. Länger eher nicht. An der Kaufmännischen Schule könnte er es sich hingegen vorstellen, ein Jahr dranzuhängen. Dass im Schuldienst auf Rentner zurückgegriffen wird, sei in Ordnung. Allerdings müsste sich das Kultusministerium auch Gedanken darüber machen, wie es fortan den Lehrermangel auch ohne Pensionäre in den Griff bekommen will. Nach Ansicht von Henne müsste auch angesichts eines hoch technisierten Deutschlands im Unterricht mehr Wert auf Naturwissenschaft und Technik gelegt werden. Wenn diese Fächer spannend aufbereitet würden, ließen sich auch Mädchen dafür interessieren und würden dann im Falle eines Lehramtsstudiums auch solche Fächer wählen.
Vom achtjährigen Gymnasium hält Frieder Henne nichts
Sprachen seien im Schulsystem hingegen überrepräsentiert. Anstatt ordentlich Englisch zu lernen, würden die Schüler mit weiteren Sprachen wie Französisch, Latein oder Spanisch überfrachtet. Auch die Einführung des Grundschul-Englischs hält Henne für fragwürdig. „Die Kinder sollten lieber erst richtig Deutsch beherrschen, bevor man sie mit einer weiteren Fremdsprache überfordert.“
Ein Gegner ist Henne auch mit Blick auf G 8. Das Ziel, Studenten früher in den Arbeitsmarkt zu bekommen, sei nicht erreicht worden. „Im Gegenteil: Mittlerweile brechen 25 Prozent ihr Studium ab und jeder Dritte geht nach dem Abitur erst einmal ins Ausland und gönnt sich nach dem Stress ein Sabbatjahr.“Darüber hinaus werde das Niveau durch das achtjährige Gymnasiums schlechter. „Wenn Schüler heute eine Arbeit von vor 15 Jahren schreiben müssten, würde das Ergebnis katastrophal ausfallen.“