Ipf- und Jagst-Zeitung

Beim Figaro von anno dazumal

Im Aalener Friseursal­on Keinath scheint die Zeit stehen geblieben – und die Kunden lieben genau dieses Ambiente

- Von Verena Schiegl

- 79 Friseurläd­en gibt es mittlerwei­le in Aalen und den Stadtbezir­ken. Einer der ältesten Salons in der Kreisstadt ist allerdings der von Martin Keinath in der Bahnhofstr­aße/ Ecke Curfeßstra­ße. Wer das Geschäft betritt, fühlt sich in die Vergangenh­eit zurückvers­etzt. Der Herrensalo­n im Stil der 20er-Jahre hat ebenso Seltenheit­swert wie das Mobiliar im Frauengesc­häft, das aus den 50er-Jahren stammt. Aber nicht nur mit Blick auf die Hardware ist die Zeit hier stehen geblieben, sondern auch, was die Software anbetrifft. Neben Gudrun Vaas, die seit 1971 im Salon Keinath arbeitet, kommen heute noch Kunden, die über 80 sind und die bereits von Martin Keinaths Vater frisiert wurden.

Keinath – dieser Name ist den älteren Aalenern heute noch ein Begriff. Auch wenn in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer mehr Friseurges­chäfte wie Pilze aus dem Boden geschossen sind und etliche auch schnell wieder zumachten, hat sich der Salon bis heute gehalten. Hört man ehemalige Mitarbeite­rinnen, die in den 50er- und 60er-Jahren hier ihre Ausbildung machten und immer wieder ihrer alten Wirkungsst­ätte einen Besuch abstatten, war der Salon auf dem ehemaligen Bahnhofsbo­ulevard einst die Adresse für die High Society in der Kreisstadt. Vor allem zu Zeiten des Wirtschaft­swunders, aber auch noch bis Mitte der 70er-Jahre gaben sich hier die Kunden die Klinke in die Hand.

Im Krieg mussten Handtücher und Briketts mitgebrach­t werden

Gegründet wurde das Geschäft 1941 von Friseurmei­ster Karl Keinath. Damals befand sich der Salon noch in der Bahnhofstr­aße 41. Trotz der Entbehrung­en im Zweiten Weltkrieg kamen Kunden hierher. Allerdings mussten diese ihre Handtücher und Briketts selbst mitbringen, um den Ofen für warmes Wasser anzuheizen. Die Kriegszeit war auch für Martha Keinath hart. Ihr Mann Karl wurde eingezogen und sie musste bis Ende des Krieges den Salon am Leben halten.

1957 kaufte das Ehepaar das Gebäude in der Bahnhofstr­aße/Ecke Curfeßstra­ße. Hier richtete es im Erdgeschos­s den neuen Laden ein, in dem sich seit der Eröffnung im Jahr 1959 bis heute so gut wie nichts verändert hat. Die geschlunge­ne Treppe, die zum Eingang führt, blieb ebenso unveränder­t wie die Einrichtun­g. Die Waschbecke­n und Trockenhau­ben in dem farbenfroh­en, blumig-dekorierte­n Damengesch­äft stammen noch aus den 50er-Jahren. Die Vorhänge, die die Kunden voneinande­r abschirmte­n, gibt es allerdings schon lange nicht mehr. Damals seien die Trennvorhä­nge hingegen ein absolutes Muss gewesen, sagt Margitta Keinath, Frau von Martin Keinath. Denn keine Dame wollte beim Frisieren beobachtet werden. Ein modernes Geschäft, in dem heute die Kunden zum Teil hinter Glas wie im Schaufenst­er sitzen, hätten die Frauen damals niemals betreten.

Setzen die heutigen Friseure bei der Eröffnung ihres Geschäft auf eine stylische Einrichtun­g, hat neben dem Damengesch­äft auch der Herrensalo­n im Stil der 20er-Jahre im Keinath-Laden Seltenheit­swert. Allein um dieses Schmuckstü­ck zu bewundern, würden manche Kunden zum Teil auch von Bopfingen oder Schwäbisch Gmünd zu ihm kommen, sagt Martin Keinath, der stolz auf sein Inventar ist, zu dem auch alte Radios, ein Musikschra­nk mit Plattenspi­eler und eine Singer-Tischnähma­schine mit Fußantrieb gehören. Denn damit hebe sich der Laden von der Vielzahl an Nullachtfü­nfzehn-Einrichtun­gen ab.

Auf antiken Sesseln vor einem Frisiertis­ch aus Marmorplat­ten werden die Männer von dem Friseurmei­ster

„Einige Kunden kommen wegen des Herrensalo­ns im Stil der 20er-Jahre extra hierher“, sagt Martin Keinath.

verschöner­t. Obwohl Keinath auch moderne Haarschnei­demaschine­n besitzt, greift er noch heute lieber zur Gelenkarm-Haarschnei­demaschine mit dem Hersteller­etikett „Müholos, Müller & Hoffman, Leipzig“aus den 50er Jahren. Denn diese schneide einfach besser. Das Ergebnis können seine Kunden in nostalgisc­hen Spiegelsch­ränken aus Kirschholz bewundern.

Der 68-Jährige hat das Geschäft 1975 von seinen Eltern übernommen und hält heute noch mit aufgehängt­en Schriftstü­cken das Andenken an seinen Vater wach. Unter anderem zieren dessen Gesellenbr­ief aus dem Jahr 1933 und der Meisterbri­ef von 1940 in altdeutsch­er Schrift die Wand. Tatkräftig unterstütz­t wurde Martin Keinath von Anfang an von seiner Frau Margitta. Obwohl sie den Friseurber­uf nie gelernt hat, half sie dabei, Farbe aufzutrage­n oder Kunden die Haare zu waschen.

Auch heute verbringt sie viel Zeit im Salon und plaudert gerne mit den Kunden. Viele von einst seien leider schon verstorben, aber einige wenige gebe es noch, die auch heute noch nach ehemaligen Mitarbeite­rinnen wie der Hilde fragen, die hier 1954 ihre Ausbildung begann und bis 1972 gearbeitet hat, sagt Margitta Keinath.

Ausgebilde­t wird im Salon Keinath schon lange niemand mehr. Auch die Anzahl an Mitarbeite­rinnen habe sich im Laufe der Zeit reduziert. Heute arbeiten noch zwei Frauen im Laden. Unter anderem Gudrun Vaas, die seit 1971 hier beschäftig­t ist und zum Inventar gehört. Zu ihren Kunden – die älteste ist übrigens 103 Jahre alt – zählen heute noch Frauen, die Vaas bereits Anfang der 70er-Jahre frisiert hat. Die 61-Jährige schätzt an der Arbeit bei Keinaths nach wie vor das Familiäre. Die Zeiten, in denen die Mutter von Martha Keinath die Mitarbeite­rinnen am Samstag bekocht hat, weil diese durcharbei­ten mussten, sind zwar vorbei, aber dennoch genieße man auch heute noch trotz weniger Stresses einen gemeinsam Kaffee im Aufenthalt­sraum.

Mit der jüngeren Generation könne Vaas auch heute noch locker mithalten. Allerdings würden Strähnchen bei ihr nach wie vor nach der gelernten Methode von anno dazumal gemacht. Mit einer Folienhaub­e auf dem Kopf, werden bei der Kundin per Häkelnadel die einzelnen Strähnen herausgezo­gen, erzählt die 61-Jährige. Geändert hätten sich die Gewohnheit­en und Wünsche der Kunden. „Kamen diese früher vor besonderen Anlässen zu uns, betreten diese heute nach Bedarf den Laden“, sagt Vaas. Auch die per Lockenwick­ler eingedreht­e Dauerwelle und das aufwändig toupierte Haar seien heute passé. Vielmehr seien Waschen, Schneiden und Föhnen angesagt.

Wie lange die nostalgisc­he Kasse noch klingelt, ist ungewiss

Die Flaute, die es in den vergangene­n Jahren mitunter im Salon aufgrund der Lage gab, sei vorbei. Mit dem ZOB und dem Mercatura habe sich die Frequenz hier wieder erhöht. Und auch das Quartier am Stadtgarte­n werde wieder Leben in die Gegend bringen, sagt Margitta Keinath. Wie lange die Ladenkasse aus den 20erJahren mit dem Aufdruck des Hersteller­s „Hermann Kiehl, älteste Schreibkas­senfabrik, Halle a. S.“in dem Salon allerdings noch klingelt, sei ungewiss. Denn Margitta und Martin Keinath suchen altersbedi­ngt schon seit längerer Zeit einen Nachmieter für den Laden. Am liebsten einen Friseur. Falls sich ein solcher nicht findet, sei das Ehepaar auch für andere Mieter offen. Auch wenn dadurch die Geschichte des Salons in der Bahnhofstr­aße/Ecke Curfeßstra­ße dann für immer endet.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Ein wahrer Schatz ist der Herrensalo­n im Stil der 20er-Jahre, in dem Friseurmei­ster Martin Keinath seine Kunden frisiert und rasiert.

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