Aus dem Leben eines Vorkosters
Sagt der Vorgesetzte zum Restauranttester: „Ihren Job möchte ich auch haben, Mann!“Während er das äußert, zeichnet der arme Mensch die Spesenbelege des Kritikers ab, dabei halblaut murmelnd: „Essen auf Verlagskosten … Was für ein Traumberuf.“Aber hat der Mann eigentlich recht, mit dem was er da sagt? Stimmt es, dass der Besuch einer Gastronomie zu Testzwecken ein nie enden wollendes – um im Bild zu bleiben – Zuckerschlecken ist?
Die Kolumne „Aufgegabelt“existiert seit Januar 2015. Seitdem sind einschließlich dieser exakt 167 Ausgaben erschienen, die absolute Mehrheit davon Restaurantbesprechungen, in etwa 130 an der Zahl. Und natürlich waren darunter sehr viele Begegnungen mit beglückenden Tellern, auf denen die Kunst des Kochens, das ehrliche Handwerk, sich so entfaltet haben, dass es in der Tat das Schönste auf Erden war, der Vorkoster der Leser sein zu dürfen. Verführerisch schmeckende Suppen, duftige Ragouts, delikate Terrinen, filigrane Desserts. Aber es hat auch wolkenverhangene und unappetitliche Begegnungen mit Speisen gegeben: trockene Keulen von Kaninchen, die aufgrund der dilettantischen Verarbeitung ihr Leben umsonst gegeben hatten. Gummiartige Schweinehaxen von traniger Aromenstruktur. Vollendet zu Pudding gelierte Linseneintöpfe mit erschlafften Dosenwürstchen. Grauen erregende Tütensuppen, die nicht mal lange genug nach Packungsanleitung gekocht worden waren, damit wenigstens das industrielle Trockengemüse Zeit hatte, reanimiert zu werden – und also wie Heu im Halse kratzte. Literweise Soßen, die nach ihrem Geschmacksprofil weniger mit Küche als mit Chemielabor zu tun hatten. Maultaschen, die angeblich hausgemacht waren, deren Foliengeschmack und typische Form aber an ihrer Herkunft aus der Fabrik nicht den Hauch eines Zweifels ließen. Kindern wurden Eisbecher mit Eierlikör serviert, obwohl ausdrücklich Alkoholfreies gewünscht war.
Und erst der Service: Einmal wies ein an Selbstsicherheit nicht zu überbietender Kellner darauf hin, dass der Aperitif der beste Abschluss eines guten Menüs sei. Natürlich muss nicht jeder den Unterschied zwischen Digestif (nach dem Essen) und Aperitif (vor dem Essen) kennen. Ein Kellner aber schon. Mut zur Wissenslücke bewies auch eine weibliche Bedienung, die eine Frage nach dem Tagesmenü knochentrocken mit dieser Aufzählung beantwortete: „Vorspeise, Hauptgang und Dessert.“
Tatsächlich gibt es immer wieder Vorkommnisse, die im Zusammenhang mit einem getesteten Restaurant unerwähnt bleiben. Nicht, weil irgendeine Zensur das erfordern würde, sondern weil Kritik den Finger nicht in jede Wunde der menschlichen Schwäche legen muss, gerade wenn es dabei persönlich zu werden droht. Das gilt aber nicht für Köche, die das Blaue vom Himmel versprechen – auf dem Teller dann aber oft nur mit einem Häufchen kaum essbaren Elends dienen können.
Und dann sind da noch die bisweilen tragischen Fälle: Wo bereits die Eingangstür schief in den Angeln hängt und die Bedienung noch schiefer an der Theke lehnt, hinter der der Koch am Zapfhahn selbst zu seinen besten Kunden zählt. Wenn also wenig Hoffnung besteht, dass sich eine Gastronomie noch einmal hochrappelt. In solchen Fällen muss und soll kein Text entstehen. Aber auch kein Neid um einen Job, der oft genug weniger Zuckerschlecken als viel mehr hartes Brot ist. Sämtliche „Aufgegabelt“-Folgen unter www.schwäbische.de/ aufgegabelt