Sina Gatter zieht fünf vor zwölf die Reißleine
Uhren- und Schmuckgeschäft in der Reichsstädter Straße schließt nach über 90 Jahren seine Pforten
- Die Uhr ist für das Geschäft „Silvia Gatter – Uhren, Schmuck und Trauringe“abgelaufen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Der kleine Laden in der Reichsstädter Straße schließt Anfang Mai nach über 90 Jahren seine Pforten. Damit verliert die Stadt nicht nur einen weiteren alteingesessenen Familienbetrieb, sondern mit der Geschäftsaufgabe geht wieder ein Stück Aalener Geschichte zu Ende. Neben der nachlassenden Frequenz in der Innenstadt und der hohen Ladenmiete seien vor allem die Konkurrenz des Onlinehandels und der damit zurückgehende Umsatz ausschlaggebend gewesen, die Reißleine zu ziehen, sagt die Inhaberin Sina Gatter.
Den schnuckeligen, 35 Quadratmeter großen Laden einmal schließen zu müssen und damit die Ära der Familie Gatter in der Innenstadt zu beenden, hätte sich die 26-Jährige vor sechs Jahren nicht vorstellen können. Alles hinzuwerfen sei nie infrage gekommen. „Ich schaffe das“, lautete stets das Motto der jungen Frau. Als Ende März 2012 die Mutter von Sina Gatter, Silvia Gatter, nach schwerer Krankheit gestorben ist, sei es für sie keine Frage gewesen, den Familienbetrieb weiterzuführen.
Morgens zur Schule, mittags in den Laden
Damals war sie gerade einmal 20 Jahre alt und besuchte die Fachschule für Gestaltung, Schmuck und Gerät in Schwäbisch Gmünd, wo sie ihren Abschluss zur staatlich geprüften Gestalterin mit Goldschmiedemeister machte. Morgens die Schulbank zu drücken und ab mittags im Laden zu arbeiten, sei hart gewesen, sagt die heute 26-Jährige. Tatkräftig unterstützt wurde sie in dieser Zeit von Sonja Weißhaar, die seit über zwölf Jahren im Geschäft arbeitet und mit zwei weinenden Augen an die Schließung des Ladens denkt.
Der Name Gatter gehört seit über 90 Jahren zur Geschichte des Aalener Einzelhandels. 1919 von dem Uhrenmacher Hermann Gatter in Oberkochen gegründet, zog der Uhren- und Schmuckladen 1925 in das Erdgeschoss des Hauses in der Reichsstädter Straße 10, die vor dem Ersten Weltkrieg noch Hauptstraße hieß. Unter dem Namen Uhren Gatter führte auch der Sohn des Firmengründers, Helmut Gatter, bis 1988 das Geschäft in der Innenstadt, der vielen alten Aalenern noch heute unter dem Spitznahmen Piep in Erinnerung ist, weil er stets pfeifend durch die Fußgängerzone geradelt ist, sagt Sina Gatter. Nach ihm übernahm Erica Gatter das Familiengeschäft und nannte es in „Schmuckvitrine“um. Einen weiteren Generationenwechsel, einhergehend mit einem neuen Namen, gab es im Jahr 1993. Mit „Silvia Gatter – Uhren, Schmuck und Trauringe“öffnete die Schwiegertochter von Erica Gatter nach Umbauarbeiten den Laden in völlig neuem Gewand.
In dem Geschäft groß geworden ist die Tochter von Silvia Gatter, Sina Gatter. Noch gerne erinnert sie sich an die rosigen Zeiten, in denen sich die Kunden
„Der Onlinehandel macht den Einzelhandel immer mehr kaputt“, sagt Sina Gatter.
die Klinke in die Hand gaben. Davon könne heute allerdings keine Rede mehr sein. Aus Liebe zu dem Beruf und zu ihrer verstorbenen Mutter hat sie 2012 den Laden übernommen und diesen, so gut es ging, über Wasser gehalten. Einfach sei das nicht gewesen, sagt Sina Gatter. Ein schwerer Schlag sei die Kündigung einer Mitarbeiterin gewesen, die kurz nach dem Tod ihrer Mutter Opfer eines Raubüberfalls im Laden wurde. Nachdem diese gegangen sei, stand sie mit Sonja Weißhaar alleine da, die für sie eine wichtige Stütze gewesen sei und sich stets mit dem Geschäft familiär verbunden fühlte.
Die Arbeitslosigkeit, in die Weißhaar mit der Geschäftsaufgabe stürzt, hätte ihr Sina Gatter gerne erspart. Auch sie selbst wollte hier in Rente gehen. Doch die Einnahmen stünden in keinem Verhältnis zu den Ausgaben, sagt die 26-Jährige, die hofft, dass Weißhaar schnell einen neuen Arbeitsplatz findet. Angesichts der hohen Miete in Höhe von 1175 Euro für 35 Quadratmeter, des Lohns für eine Angestellte und der Versicherungen bleibe unterm Strich nicht mehr viel übrig. „Ich stehe von morgens bis abends im Laden und verdiene mit 900 Euro weniger als ein Hausmeister“, sagt Sina Gatter, und das sei auf Dauer nicht tragbar. „Würde ich am Tag 1000 Euro Gewinn machen, wäre es auch möglich gewesen, in den Laden zu investieren und die in die Jahre gekommene Einrichtung zu erneuern. Aber wir machen gerade ein Drittel von dem Umsatz.“
Irgendwann wird es in der Innenstadt nur noch Ketten geben
Freuten sich junge Menschen früher über ein Goldkettchen, muss es heute eher ein iPhone sein, sagt Gatter. Doch das sich wandelnde Konsumverhalten sei nicht Schuld am zurückgehenden Umsatz. Vielmehr mache der Onlinehandel den Einzelhandel immer mehr kaputt und führe über kurz oder lang dazu, dass ein Geschäft nach dem anderen schließt und die Innenstadt nur noch aus Ketten, Handyläden oder Optikern besteht. „Die Kunden lassen sich bei uns beraten und schauen, was es gibt, kaufen es dann aber letztlich im Internet“, sagt Sina Gatter. „Zu uns kommen die Kunden dann, wenn es darum geht, bei den online erworbenen Uhren die Batterien zu wechseln oder die Armbänder zu kürzen.“Solch kleinere Reparaturen, von denen man nicht leben könne, würden in der hauseigenen Werkstatt getätigt. Alle anderen aufwendigen Reparaturarbeiten würden an eine Goldschmiede- oder Uhrenwerkstatt vergeben.
Kunden würden die Geschäftsaufgabe bedauern, hätten aber auch Verständnis dafür. Am 5. Mai hat der Laden von Sina Gatter das letzte Mal geöffnet. Noch vor Ostern wird der Räumungsverkauf beginnen. Was in die 35 Quadratmeter einmal einziehen wird, steht in den Sternen, sagt die 26-Jährige. Sie selbst geht Aalen und ihren Kunden aber nicht verloren. Am 4. Juni fängt sie als Vollzeitkraft ein paar Häuser weiter im Geschäft „T4 you“an und hält auf diese Weise in ihrer Person den Namen Gatter am Leben.