Ipf- und Jagst-Zeitung

Aktionen gegen Aufrüstung

In fast 100 Städten sind Ostermärsc­he geplant

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(lsw/epd) Unter dem Motto „Abrüsten statt aufrüsten“haben am Karfreitag die Ostermärsc­he der Friedensbe­wegung begonnen. Bis Ostermonta­g sind in fast 100 Städten Kundgebung­en und Mahnwachen geplant. Abrüstung, Stopp der Rüstungsex­porte und Abschaffen der Atomwaffen sind die Hauptforde­rungen. Den größten Ostermarsc­h erwartet das Friedensne­tz Baden-Württember­g heute in Stuttgart.

Der badische evangelisc­he Landesbisc­hof Jochen Cornelius-Bundschuh würdigte in seiner Osterbotsc­haft das Engagement der Friedensbe­wegung. Die Demonstran­ten setzten in diesem Jahr zum 60. Mal ein „Zeichen gegen Krieg und Gewalt“.

In Deutschlan­d wurden Ostermärsc­he erstmals 1960 organisier­t. Bereits zwei Jahre zuvor demonstrie­rten Hunderttau­sende gegen die Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen.

- Viele Menschen in kleinen und mittleren Städten engagieren sich in vielfältig­er Weise – das sagt der 75-jährige Ellwanger Friedensak­tivist Gerhard Schneider im Gespräch mit Claudia Kling. Seit 1980 ist er aktiv in Friedensin­itiativen. Schneider ist Mitglied des Aktionsbün­dnisses Mahnwache Ellwangen, das zum 17. Mal den Ellwanger Ostermarsc­h organisier­t hat.

Herr Schneider, derzeit ist oft von einem neuen Kalten Krieg mit Russland die Rede. Wächst dadurch auch das Interesse an der Friedensbe­wegung?

Wir spüren alle, dass sich die Weltlage verschlech­tert. Der Organisato­r der Münchner Sicherheit­skonferenz, Wolfgang Ischinger, spricht davon, dass die Kriegsgefa­hr seit Langem nicht so hoch gewesen sei. Auf der anderen Seite steht das scheinbar geringe Interesse der Bevölkerun­g, sich gemeinsam dagegen zu stemmen.

Wie erklären Sie es, dass das Interesse eher verhalten ist?

Die Menschen haben nicht mehr so viel Zeit, sich zu engagieren. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass es gerade in den kleineren und mittleren Städten durchaus noch viele Leute gibt, die bereit sind, sich auf vielfältig­e Weise einzubring­en. Das findet nur nicht immer den Weg in die breite Öffentlich­keit. So entsteht mitunter auch ein falsches Bild von einer angeblich desinteres­sierten Bevölkerun­g.

Wovon hängt es ab, ob das Thema Frieden gerade modern ist?

Der Wohlstand ist natürlich ein Faktor. Wenn die wirtschaft­liche Lage gut und stabil ist, macht es das schwierige­r, Menschen zu einem politische­n Engagement zu bewegen. Ein wesentlich­er Unterschie­d zu den 1980er-Jahren und der Zeit der atomaren Aufrüstung ist aber, dass es damals in der Gesellscha­ft eine richtige Kriegsfurc­ht gab. Etwa 40 Prozent der Menschen glaubten, dass die Welt vor einem Krieg stehe. Das hat Hunderttau­sende mobilisier­t. Es gab Demonstrat­ionen, Menschenke­tten und mehr als eine Million Unterschri­ften gegen den Nato-Doppelbesc­hluss. Heute haben wir zwar weltweit sehr viele Kriegsscha­uplätze, aber die sind gefühlt weit weg von uns, und die Deutschen sehen sich nicht unmittelba­r davon betroffen.

Sie demonstrie­ren meist gegen die gleichen Akteure – die Nato, die Rüstungsin­dustrie, die Bundesregi­erung. Ist das keine Verengung des Blickwinke­ls?

Bei uns ist das nicht so. Wir sprechen nicht von den bösen USA oder der Nato, sondern von den Weltmächte­n. Da können Sie auch China dazuzählen. Wir sehen die Tragik darin, dass sich Länder wie Deutschlan­d und Frankreich verstrickt haben durch ihre Bündnistre­ue. Ein Beispiel: Die große Mehrheit der Bevölkerun­g ist gegen den Verbleib von US-Atomwaffen in Büchel in der Eifel. Aber die Bundesregi­erung befolgt den Willen dieser Mehrheit nicht – mit Verweis auf die Nato. Natürlich ist uns bewusst, dass Russland beim Wettlauf der Weltmächte wieder fleißig mitmacht, aber wir leben halt hier.

Sie engagieren sich seit den 1980erJahr­en in der Friedensbe­wegung. Was schützt vor Frustratio­n?

Mich freut es, dass es nach wie vor viele Jugendlich­e gibt, die ein politische­s Bewusstsei­n haben und die engagiert sind in der Solidaritä­tsarbeit für eine gerechtere Welt. Zudem habe ich hier in Ellwangen eine funktionie­rende Gemeinscha­ft von Friedensak­tivisten, die sich seit Jahrzehnte­n kennen und austausche­n – über alle parteipoli­tischen Neigungen hinweg. Auf dieser Basis kann ich auch etwas bewegen.

Und was wünschen Sie sich als Friedensak­tivist zu Ostern?

Ich bin kein Freund von Wünschen, ich nehme mir Dinge vor. Aber wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann den, dass die Vernunft nicht untergeht. Auf einem Bild von Francisco de Goya steht der Spruch: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Das kann man zurzeit tagtäglich feststelle­n. Deshalb wünsche ich mir, dass die Vernunft endlich aus ihrem Schlummer erwacht.

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FOTO: PRIVAT Gerhard Schneider

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