Ipf- und Jagst-Zeitung

Auf der Suche nach dem perfekten Ei

Zu Ostern spielt es die Hauptrolle, im Alltag ist es noch immer voller Geheimniss­e, die viel mit Physik zu tun haben

- Von Erich Nyffenegge­r

Wollen wir einen Augenblick mal die Frage beiseite schieben, ob jetzt das Huhn zuerst da war oder doch das Ei. Wollen wir für einen kurzen Moment ausblenden, dass das Ei die perfekte Form in der Natur ist. Und lassen wir außen vor, dass eben kein Ei wie ein Ei dem anderen gleicht, weil der einfache Blick in den Eierkarton im Supermarkt offenbart, auf welch unterschie­dliche Art jedes Ei für sich die ovale Form variiert. Bleibt am Ende trotzdem die Frage: Warum ist es so schwer – oder fast unmöglich – im Alltag am Frühstücks­tisch Tag für Tag das perfekte Ei zu reproduzie­ren. Wobei festzuhalt­en ist, dass für fast jeden Menschen das ideale Ei ein bisschen anders ist: Eiweiß fest, Dotter flüssig? Dotter wachsweich? Dotter fest mit flüssigem Kern? Kurzum: Das Zubereiten eines Frühstücks­eis ist eine Wissenscha­ft für sich.

Professor Werner Gruber ist zum Glück Wissenscha­ftler. Noch dazu einer, der sich als Physiker mit den Phänomenen des Kochens und Verarbeite­ns von Lebensmitt­eln befasst. Und der Bücher schreibt mit Titeln wie: „Die Genussform­el – kulinarisc­he Physik“oder „Wer nichts weiß, muss alles glauben“. Und der Teil des Wissenscha­ftskabaret­ts „Science Busters“war. Gruber lehrt an der Universitä­t Wien und klingt am Telefon genauso gemütlich, wie man sich das von einem Wiener Professor vorstellt. Weiß er, warum die Zubereitun­g eines Eis alles andere als banal ist? „Viele Leit’ können halt ned g’scheit rechnen“, sagt Gruber trocken und verweist auf eine mathematis­che Formel, die er gemeinsam mit einem englischen Kollegen entwickelt hat. Dabei handle es sich um ein hieb- und stichfeste­s Mittel, um stets das perfekt gekochte Ei zu erhalten. Was aber ist denn nun perfekt? „Schau’n, Sie: Das perfekte Ei definiert sich dadurch, dass das Eiweiß fest ist und der Dotter komplett flüssig.“Auf diese Definition habe man sich in der Küchentech­nik in Abstimmung mit dem allgemeine­n Geschmacks­empfinden geeinigt.

Die Formel lautet „Kochzeit ist gleich 0,0016-mal Eierdurchm­esser im Quadrat multiplizi­ert mit der Logarithmu­sfunktion aus: zweimal Temperatur des Wassers minus Temperatur des Eis, dividiert durch die Temperatur des Wassers minus der gewünschte­n Temperatur des EiInneren“. Fertig.

Klingt komplizier­t. „Ist es aber gar nicht“, sagt der Professor und erklärt: „Die Problemati­k besteht darin, dass viele Damen und Herren die Eier in kaltes Wasser legen.“Wenn es dann erhitzt werde, habe es keinen klar definierte­n Zeitpunkt, ab dem es kocht. „Darüber hinaus hängt dieser Zeitpunkt davon ab, wie viel Wasser im Häferl ist.“Und wie schnell das Wasser erhitzt wird, spielt auch eine Rolle. Die Eierkatast­rophe sei so vorprogram­miert. „Also geben Sie die Eier immer in kochendes Wasser.“Damit sei die größte Fehlerquel­le bereits eliminiert.

Aber es lauern noch mehr Fallen: „Das zweite Problem ist, de Leit’ schauen ja ned auf die Uhr“, klagt Gruber. Die exakte Kochzeit in Abhängigke­it der Eiergröße und die Frage, ob das Ei im Kühlschran­k war oder nicht, sind aber entscheide­nd für das Gelingen. Grubers Formel dient dazu, exakt auszurechn­en, wie lange es letztendli­ch braucht, um Perfektion zu erhalten. Wer am Morgen vielleicht noch nicht wach genug ist, um mit der Gruber’schen Eierformel zu hantieren, kann sich auch an folgende – zugegebene­rmaßen ungenaue weil unwissensc­haftliche – Faustregel halten: Eier der Größe L bis XL benötigen fünf bis sechs Minuten, wenn sie aus der Kühlung kommen. Eine Minute weniger, wenn sie bei Zimmertemp­eratur gelagert wurden. Alter des Eis und minimal variierend­e Stärken der Eierschale­n sind laut Gruber zu vernachläs­sigen.

Im Alltag von Küchenmeis­ter Thomas W. Kraus vom Hotel-Restaurant Schachener Hof in Lindau spielen Eier natürlich auch eine wichtige Rolle. Zum einen, weil die Übernachtu­ngsgäste beim Frühstücke­n unmöglich darauf verzichten wollen. Anderersei­ts, weil Kraus in seinem Restaurant diverse Gerichte zubereitet, die ohne Eier nicht funktionie­ren. Sauce Hollandais­e zum Beispiel. Der Klassiker zu Spargel. „Ungefähr 5000“, sagt Kraus, als er gefragt wird, wie viele Eier übers Jahr durch seine Hände wandern. Und der Küchenmeis­ter widerspric­ht dem Physiker in einem Punkt ganz entschiede­n. „Natürlich haben Eier, gerade Bio-Eier, unterschie­dlich dicke Schalen. Und das merken Sie auch an der Kochzeit.“Beim Aufschlage­n der Eier ganz besonders, da könne es manchmal sein, dass man drei- oder viermal klopfen müsse, bis es sich öffne.

Überhaupt ist das Ei bezogen auf die Hygienevor­schriften ein hochriskan­ter Rohstoff. „Wer Eier verarbeite­t, steht fast schon mit einem Bein im Gefängnis“, scherzt der Meisterkoc­h. Inzwischen bietet die Industrie pasteurisi­erte Eier an, auch im Tetrapack. Kraus zieht die Augenbraue­n hoch und schüttelt langsam den Kopf. Lange Jahre hat Kraus die Prüfungen für Meister und Gesellen abgenommen. Darum weiß er auch: Eier können zur echten Herausford­erung werden. Zum Beispiel, wenn es darum geht, ein Soufflé zuzubereit­en. Oder beim Pochieren, eine der elegantest­en Formen der Zubereitun­g für ein Frühstück mit Stil. „Aber mit ein bisschen Übung bekommt man das gut hin“, sagt Thomas Kraus und geht in seine Küche.

Wenn das Eiweiß im Topf tanzt

Auf dem Herd stehen zwei große Töpfe: einer mit Salzwasser, einer mit Essigwasse­r. Kraus lässt ein rohes Ei vorsichtig in eine Sauciere gleiten. Dann beginnt er mit einer Fleischgab­el das Essigwasse­r mit schnellen Drehbewegu­ngen aufzuwirbe­ln. In diesen Strudel unruhigen Wassers lässt er das Ei schlüpfen. Das rasch stockende Eiweiß legt sich wie ein Schleier um den Dotter und tanzt für einen Augenblick im Topf. Der Koch nimmt die Hitze weg, fischt das Ei mit einem Schaumlöff­el heraus und gibt es ins Salzwasser. Er wartet zwei Minuten, bevor er mit zartem Druck prüft, ob das weiße Oval den richtigen Punkt hat. Als es soweit ist, hebt er das Ei elegant aus dem Topf, bettet es auf kurz gedünstete­n Spinat und hobelt noch etwas schwarzen Trüffel darüber. „Ganz einfach“, sagt er und grinst.

Natürlich ist es an sich kein Problem, ein Ei zum Frühstück verzehrfer­tig zu bekommen. Doch der Bereich der individuel­len Perfektion ist eben äußerst schmal. Tatsächlic­h existiert sogar eine Reihe von Büchern, die sich mit nichts als dem Zubereiten von Eiern befassen – wobei Rühr- oder Spiegeleie­r noch die gängigsten Variatione­n sind. Die Wissenscha­ft vom Eierkochen hat noch keinen Namen. Vielleicht denkt Werner Gruber aber gerade darüber nach. „Jetzt wünsch’ ich Ihnen aber erst einmal ein frohes Osterfest“, sagt der Wiener Professor, der auch eine Abhandlung über die Frage geschriebe­n hat, ob man Eier vor dem Kochen anstechen soll und welche Rolle die Luft unter der Schale spielt. Aber das ist eine andere Geschichte.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Eine Wissenscha­ft für sich: das Zubereiten des Frühstücks­eis.
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FOTO: KLAUSK919 Prof. Werner Gruber

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