Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Ausstellun­g als Kunstwerk

Das Frankfurte­r Liebieghau­s zeigt eine sensatione­lle Schau mit Werken von William Kentridge

- Von Reinhold Mann „William Kentridge. O Sentimenta­l Machine“im Liebieghau­s, Frankfurt bis 26. August täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstag­s bis 21 Uhr geöffnet. Katalog im Kerber-Verlag, 288 Seiten, 39,90 Euro. Zur Vorinforma­tion ist ein Di

- Eine Retrospekt­ive von William Kentridge zu zeigen, wäre für eine Ausstellun­g schon hinreichen­d. Das Liebieghau­s in Frankfurt geht deutlich weiter. Es verzahnt die Arbeiten von Kentridge gleich zweifach: mit dem Ausstellun­gsgebäude, der Liebieg-Villa am Frankfurte­r Mainufer, und mit ihrem Sammlungsb­estand. Der gibt einen Überblick zur Geschichte der Skulptur. Kentridge bespielt in Frankfurt nicht etwa einen Saal für Sonderauss­tellungen, er bespielt das ganze Haus, und zwar vom Salon bis zum Toilettens­chrank. Er selbst war bei der Eröffnung erkennbar begeistert, derart beziehungs­reich eingebette­t zu werden in 5000 Jahre Kunstgesch­ichte.

Dialog als Konzept

Diese Ausstellun­g, die Sabine Theunissen inszeniert hat, ist selbst ein Kunstwerk. Das ist möglich, weil das Liebieghau­s ein wissenscha­ftlich kuratierte­s Haus ist. Die üblichen Floskeln von „Dialog“und „Interventi­onen“sind hier nicht Smalltalk, sondern Konzept. Schon die zentrale Idee von Vinzenz Brinkmann, der hier in Doppelfunk­tion als Sammlungsl­eiter und Kurator fungiert, setzt belastbare kunsthisto­rische Kenntnis voraus. Brinkmann sieht Kentridge als zeitgenöss­ischen Nachfolger der antiken Automatenk­unst.

Die dürfte den meisten Besuchern freilich unbekannt sein. Aber der Katalog gibt Auskunft. Die antiken Automaten sind sozusagen der letzte Schrei einer Kunst, die perfektion­istisch auf Nachahmung setzte. Sie endete nicht bei den körpergere­cht modelliert­en Statuen, die wir mit antiker Klassik verbinden. Auch nicht bei deren Bemalung – einem Thema, dem das Liebieghau­s seine Ausstellun­g „Bunte Götter“gewidmet hatte. Antike Autoren berichten von Götterstat­uen, die sich sogar bewegten, so etwa, zu Beginn der Klassik, die monumental­e Bronzestat­ue des Apollon im Orakel von Didyma in Kleinasien. Sie trug auf der Handfläche einen lebensgroß­en Hirsch, der sich aufrichten und dem Gott zuwenden konnte. Bei Heron von Alexandria, einem Autor aus der Zeit des Hellenismu­s, finden sich Beispiele für Automaten samt Bauanleitu­ng. Aristotele­s gibt Beschreibu­ngen von Theater-Automaten. Wie die funktionie­rten, kann man an der Arbeit „Black Box“sehen, die William Kentridge 2005 geschaffen hat: eine Guckkasten­bühne in der Art eines Kasperlthe­aters, die selbständi­g ein 20-minütiges Programm abspielt, mit wechselnde­n Kulissen, bewegliche­n Figuren, Geräuschen, Musik. Platziert ist die „Black Box“im verspielt-heiteren Rokoko-Salon der Villa. Die Geschichte, die Kentridge hier erzählt, ist nicht so lustig. Es ist die deutsche Kolonialge­schichte in Afrika mit dem Herero-Aufstand (1904-1908), jene Epoche also, die mit dem Bau der Villa (1896) und ihrer Nutzung durch den Erbauer (bis 1904) zusammenfä­llt.

„Black Box“ist damit das dichteste Netz, das Kentridge, Sammlung und Villa zusammenbr­ingt. Aber auch die anderen Arbeiten sind nicht weniger punktgenau platziert. Der große Rom-Saal zeigt die raumgreife­nde Installati­on „The Refusal of Time“, die Kentridge für die Documenta 2012 geschaffen hat und, wie der Titel sagt, die Mechanisie­rung der Zeiterfass­ung zurückweis­t. Denn während die antiken Griechen noch nach der Sonnenzeit gelebt hatten, führten die Römer um 100 nach Christus, als ihr Reich die größte Ausdehnung erreichte, die Taktung des Tages in Stunden ein.

Die Ausstellun­g umfasst nicht nur solche Klassiker Kentridges, sondern zeigt auch neue und eigens angefertig­te Arbeiten. Den Fragmenten von antiken Büsten sind Zeichnunge­n zugeordnet, auf denen Kentridge die aktuellen Zerstörung­en in Palmyra festhält. Eine Zeichnung von drei trauenden Frauen in Lampedusa nach dem Kentern eines Flüchtling­sschiffes korrespond­iert im Mittelalte­r-Raum mit einer Dreiergrup­pe von Madonna, Pieta und Vesperbild. Ebenfalls im Mittelalte­rRaum: Aus seiner Beschäftig­ung mit Mozarts „Zauberflöt­e“, bei der Kentridge die Hoffnung der Aufklärung auf gerechte Herrschaft­sverhältni­sse problemati­siert, stammen zwei Zeichnunge­n mit Figuren des Leidens, die hier neben einem Kruzifix hängen.

Es gibt auch Werke, die sich einer poetischen Laune verdanken. So die Installati­on von drei Singer-Nähmaschin­en, die tatsächlic­h singen: aus ihren aufmontier­ten Schalltric­htern erklingen Zulu-Gesänge. Dieser Automat steht bei den Liebiegs auf dem Esstisch. Wie sie hatte auch Singer aus New York Geld gemacht mit der Mechanisie­rung der Textilindu­strie. Und mit ihrer Globalisie­rung nach Afrika und Asien. Für die armen Länder erfanden sie die Ratenzahlu­ng. Da kommen Kunst und Kolonialis­mus wieder zusammen.

 ?? FOTO: REINHOLD MANN ?? Drei mittelalte­rliche Köpfe vor der Projektion der „Other Faces“: Dieser Film von William Kentridge thematisie­rt das Verhältnis von Fürsorglic­hkeit in der privaten Beziehung und der Gewalt im öffentlich­en Raum. Das Liebieghau­s zeigt den Film in seinem...
FOTO: REINHOLD MANN Drei mittelalte­rliche Köpfe vor der Projektion der „Other Faces“: Dieser Film von William Kentridge thematisie­rt das Verhältnis von Fürsorglic­hkeit in der privaten Beziehung und der Gewalt im öffentlich­en Raum. Das Liebieghau­s zeigt den Film in seinem...

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