Die Ausstellung als Kunstwerk
Das Frankfurter Liebieghaus zeigt eine sensationelle Schau mit Werken von William Kentridge
- Eine Retrospektive von William Kentridge zu zeigen, wäre für eine Ausstellung schon hinreichend. Das Liebieghaus in Frankfurt geht deutlich weiter. Es verzahnt die Arbeiten von Kentridge gleich zweifach: mit dem Ausstellungsgebäude, der Liebieg-Villa am Frankfurter Mainufer, und mit ihrem Sammlungsbestand. Der gibt einen Überblick zur Geschichte der Skulptur. Kentridge bespielt in Frankfurt nicht etwa einen Saal für Sonderausstellungen, er bespielt das ganze Haus, und zwar vom Salon bis zum Toilettenschrank. Er selbst war bei der Eröffnung erkennbar begeistert, derart beziehungsreich eingebettet zu werden in 5000 Jahre Kunstgeschichte.
Dialog als Konzept
Diese Ausstellung, die Sabine Theunissen inszeniert hat, ist selbst ein Kunstwerk. Das ist möglich, weil das Liebieghaus ein wissenschaftlich kuratiertes Haus ist. Die üblichen Floskeln von „Dialog“und „Interventionen“sind hier nicht Smalltalk, sondern Konzept. Schon die zentrale Idee von Vinzenz Brinkmann, der hier in Doppelfunktion als Sammlungsleiter und Kurator fungiert, setzt belastbare kunsthistorische Kenntnis voraus. Brinkmann sieht Kentridge als zeitgenössischen Nachfolger der antiken Automatenkunst.
Die dürfte den meisten Besuchern freilich unbekannt sein. Aber der Katalog gibt Auskunft. Die antiken Automaten sind sozusagen der letzte Schrei einer Kunst, die perfektionistisch auf Nachahmung setzte. Sie endete nicht bei den körpergerecht modellierten Statuen, die wir mit antiker Klassik verbinden. Auch nicht bei deren Bemalung – einem Thema, dem das Liebieghaus seine Ausstellung „Bunte Götter“gewidmet hatte. Antike Autoren berichten von Götterstatuen, die sich sogar bewegten, so etwa, zu Beginn der Klassik, die monumentale Bronzestatue des Apollon im Orakel von Didyma in Kleinasien. Sie trug auf der Handfläche einen lebensgroßen Hirsch, der sich aufrichten und dem Gott zuwenden konnte. Bei Heron von Alexandria, einem Autor aus der Zeit des Hellenismus, finden sich Beispiele für Automaten samt Bauanleitung. Aristoteles gibt Beschreibungen von Theater-Automaten. Wie die funktionierten, kann man an der Arbeit „Black Box“sehen, die William Kentridge 2005 geschaffen hat: eine Guckkastenbühne in der Art eines Kasperltheaters, die selbständig ein 20-minütiges Programm abspielt, mit wechselnden Kulissen, beweglichen Figuren, Geräuschen, Musik. Platziert ist die „Black Box“im verspielt-heiteren Rokoko-Salon der Villa. Die Geschichte, die Kentridge hier erzählt, ist nicht so lustig. Es ist die deutsche Kolonialgeschichte in Afrika mit dem Herero-Aufstand (1904-1908), jene Epoche also, die mit dem Bau der Villa (1896) und ihrer Nutzung durch den Erbauer (bis 1904) zusammenfällt.
„Black Box“ist damit das dichteste Netz, das Kentridge, Sammlung und Villa zusammenbringt. Aber auch die anderen Arbeiten sind nicht weniger punktgenau platziert. Der große Rom-Saal zeigt die raumgreifende Installation „The Refusal of Time“, die Kentridge für die Documenta 2012 geschaffen hat und, wie der Titel sagt, die Mechanisierung der Zeiterfassung zurückweist. Denn während die antiken Griechen noch nach der Sonnenzeit gelebt hatten, führten die Römer um 100 nach Christus, als ihr Reich die größte Ausdehnung erreichte, die Taktung des Tages in Stunden ein.
Die Ausstellung umfasst nicht nur solche Klassiker Kentridges, sondern zeigt auch neue und eigens angefertigte Arbeiten. Den Fragmenten von antiken Büsten sind Zeichnungen zugeordnet, auf denen Kentridge die aktuellen Zerstörungen in Palmyra festhält. Eine Zeichnung von drei trauenden Frauen in Lampedusa nach dem Kentern eines Flüchtlingsschiffes korrespondiert im Mittelalter-Raum mit einer Dreiergruppe von Madonna, Pieta und Vesperbild. Ebenfalls im MittelalterRaum: Aus seiner Beschäftigung mit Mozarts „Zauberflöte“, bei der Kentridge die Hoffnung der Aufklärung auf gerechte Herrschaftsverhältnisse problematisiert, stammen zwei Zeichnungen mit Figuren des Leidens, die hier neben einem Kruzifix hängen.
Es gibt auch Werke, die sich einer poetischen Laune verdanken. So die Installation von drei Singer-Nähmaschinen, die tatsächlich singen: aus ihren aufmontierten Schalltrichtern erklingen Zulu-Gesänge. Dieser Automat steht bei den Liebiegs auf dem Esstisch. Wie sie hatte auch Singer aus New York Geld gemacht mit der Mechanisierung der Textilindustrie. Und mit ihrer Globalisierung nach Afrika und Asien. Für die armen Länder erfanden sie die Ratenzahlung. Da kommen Kunst und Kolonialismus wieder zusammen.