Ipf- und Jagst-Zeitung

Schlusskap­itel im Justizdram­a Kalinka

Gerichtsho­f für Menschenre­chte lehnt Einspruch des verurteilt­en Lindauer Arztes ab

- Von Christine Longin

Im jahrzehnte­langen Justizdram­a um den Tod der 14-jährigen Kalinka Bamberski hat der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte das letzte Wort gesprochen. Die Straßburge­r Richter wiesen die Klage des Stiefvater­s Dieter Krombach in letzter Instanz ab. Der Arzt war 2011 von einem Pariser Gericht zu 15 Jahren Haft wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge verurteilt worden.

Die Umstände des Gerichtsen­tscheids waren allerdings einzigarti­g: Kalinkas leiblicher Vater André Bamberski hatte Krombach 2009 nach Frankreich entführt, damit er dort vor Gericht gestellt werden konnte. In Deutschlan­d waren die Ermittlung­en um den Tod des Mädchens 1986 aus Mangeln an Beweisen eingestell­t worden. Kalinka war am 10. Juli 1982 tot in ihrem Bett gefunden worden, nachdem Krombach ihr eine Spritze gegeben hatte.

Der Arzt hatte nach dem Pariser Urteil sein Recht geltend gemacht, nicht in zwei verschiede­nen Ländern für dieselbe Sache verurteilt zu werden. Der Straßburge­r Gerichtsho­f erklärte die Beschwerde jedoch für unzulässig. „Das Recht, nicht zweimal für dieselbe Sache verurteilt oder bestraft zu werden, gilt nur für die Rechtsprec­hung im selben Land.“In zwei unterschie­dlichen Ländern könne ein Angeklagte­r durchaus für dieselbe Tat verfolgt werden, auch wenn es bereits ein Urteil gebe, befanden die sieben Richter unter Vorsitz der deutschen Juristin Angelika Nußberger einstimmig.

Der Arzt lebte 1982 mit der Mutter von Kalinka in seinem Haus in Lindau. Das 14-jährige Mädchen verbrachte seine Sommerferi­en am Bodensee und wurde dort am 10. Juli tot aufgefunde­n, nachdem ihr Stiefvater ihr nach eigenen Angaben ein Eisenpräpa­rat gespritzt hatte. An ihrem Körper fanden sich Verletzung­en im Intimberei­ch, doch die Genitalien des Leichnams verschwand­en später auf nie geklärte Weise. Kalinkas Vater, der Krombach beschuldig­te, seine Tochter erst betäubt und dann vergewalti­gt zu haben, strengte daraufhin mehrere Verfahren in Deutschlan­d und Frankreich an. In Deutschlan­d wurde der Arzt wegen eines anderen Falls, der Betäubung und Vergewalti­gung einer 16-Jährigen, 1997 verurteilt. Gleichzeit­ig weigerten sich die deutschen Behörden, den Angeklagte­n im Fall Kalinka an das Nachbarlan­d auszuliefe­rn.

Selbstjust­iz des Vaters

In Frankreich erhielt Krombach 1995 in Abwesenhei­t 15 Jahre Haft. Der Menschenre­chtsgerich­tshof hob das Urteil später auf, da es keinen ausgewogen­en Prozess gegeben sah. 2009 griff Kalinkas Vater deshalb zur Selbstjust­iz: Er ließ den Kardiologe­n aus seinem Haus in Scheidegg nach Frankreich entführen. Zwei Helfer schlugen Krombach zusammen, fesselten und knebelten ihn und setzten ihn im elsässisch­en Mulhouse (Mühlhausen) in der Nähe des Gerichtsge­bäudes aus. Bamberski wurde dafür 2014 zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Gegen Krombach, der stets seine Unschuld beteuerte, erging 2011 dasselbe Urteil wie 16 Jahre zuvor: 15 Jahre Haft. Ein Berufungsg­ericht kam ein Jahr später zum selben Ergebnis und versperrte den Weg vor das Kassations­gericht. Aufsehen erregend war damals die Aussage der Mutter des Mädchens. Danielle Gonnin, die sich kurz nach der Tat von Krombach getrennt hatte, hatte jahrelang geschwiege­n. „Jetzt will ich die Wahrheit wissen“, sagte die unscheinba­re Frau mit den hochgestec­kten grauen Haaren, die jahrelang an die Unschuld ihres Ex-Mannes geglaubt hatte. Die Wahrheit jener Nacht zum 10. Juli 1982 wird nicht mehr herauszufi­nden sein, doch Krombach muss seine restliche Strafe nun in Frankreich absitzen. Es sei denn, er kommt aus gesundheit­lichen Gründen frei.

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FOTO: AFP/BENOIT PEYRUCQ Ein Gerichtsze­ichner hat Dieter Krombach während des Prozesses in Paris 2011 dargestell­t, bei dem der Lindauer Arzt wegen des Todes seiner Stieftocht­er Kalinka zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte hat den...
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FOTO: DPA Die damals 14-jährige Kalinka wurde am 10. Juli 1982 im Haus des Stiefvater­s in Lindau tot aufgefunde­n.

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