Ipf- und Jagst-Zeitung

„Der Enkeltag ist inzwischen weitaus wichtiger als Fußball“

Bayern-Legende Hans-Georg Schwarzenb­eck über seinen anstehende­n 70. Geburtstag, Spannung im Titelrenne­n und seinen Namen

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München-Harlaching, ein Frühlingst­ag Ende März. Hans-Georg Schwarzenb­eck sitzt in seinem Wohnzimmer, hinter ihm ein Blick hinaus in den Garten. Hier tobte er schon als Kind herum, das Grundstück gehörte seiner Großmutter. Heute lebt er hier mit seiner Frau Hannelore, mit der er seit Juli 1971 verheirate­t ist. „Weit weg“, sagt er, „hat’s mich ja noch nie gezogen.“Weder privat, noch im Fußball. Am Dienstag feiert der einst wohl weltbeste Vorstopper, den alle immer nur „Katsche“nannten, seinen 70. Geburtstag. Für das einzige persönlich­e Interview zu diesem Anlass bat er exklusiv den Münchner Autor Florian Kinast zu sich nach Hause – für ein langes Gespräch über sein Leben, seine Karriere, seine Familie.

Herr Schwarzenb­eck, die Vorbereitu­ngen zur pompösen Geburtstag­sfeier laufen sicher auf Hochtouren, oder?

Gar nicht. Ich feiere ganz klein mit meiner Familie. Ob 69 oder 71, ein runder Geburtstag oder ein ungerader, ist mir gleich. Ich mag wie immer meine Ruhe.

Ihren 60. Geburtstag feierten Sie noch in Ihrem Schreibwar­enladen nahe der Isar, kurz danach sperrten Sie für immer zu. Ist Ihnen das Aufhören schwergefa­llen?

Nein. Es war an der Zeit. Das Geschäft ist immer schwierige­r geworden. Die längeren Ladenöffnu­ngszeiten, die Konkurrenz mit Internet. Wenn du in drei Stunden gerade eine Zeitung verkaufst, fragst dich schon: Herrschaft­szeiten, ob das noch Sinn macht. Außerdem läuft mein Geschäft noch ein bisserl weiter.

Wie muss man sich das vorstellen?

Ich beliefere nach wie vor den FC Bayern, fahre jeden Morgen an die Säbener Straße, bringe die Zeitungen und Zeitschrif­ten vorbei und bei Bedarf Büroartike­l. Und dann fahr ich heim zum Frühstück.

Und auf der Geschäftss­telle treffen Sie dann immer Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge?

Die sind um die Uhrzeit noch selten da. Meistens treffe ich nur die Putzkolonn­e.

Hätte es Sie nie gereizt, nach Ihrer Karriere selbst bei Bayern unterzukom­men? Oder woanders als Trainer oder Manager?

Nein, ich hab immer gewusst, als Trainer, das wäre zu viel Stress für mich. Permanent unter Druck, nicht sicher, ob du nach drei Niederlage­n morgen noch auf der Bank sitzt. Außerdem hätte ich als Trainer vermutlich weg müssen aus München. Das wollte ich nicht.

Aber als Spieler hatten Sie doch sicher Angebote von anderen Vereinen.

Einmal rief mich ein Journalist an, 1973, als mein Vertrag bei Bayern auslief. „Du Katsche“, sagte er, „der Holst ist in München. Der will dich.“Der Holst war Manager bei der Hertha. Hat auch gestimmt, aber bevor der Holst mich sprechen konnte, hat unser Manager, der Robert Schwan angerufen, und gemeint: „Katsche, magst deinen Vertrag verlängern?“Damit war das Thema durch.

Und Angebote aus dem Ausland?

Eine nette Episode: Kurz vor der WM im März 74 spielten wir in Frankfurt gegen Schottland. Mein Gegenspiel­er war Dennis Law, der lange in Manchester spielte, erst United, dann City. Law wurde ir- gendwann ausgewechs­elt, und als ich nach Abpfiff in den Spielertun­nel ging, stand er plötzlich da. Mit einem Berater. Und fragte, ob ich nicht nach Manchester wechseln mag, da könnte ich richtig gutes Geld verdienen.

Und was haben Sie geantworte­t?

Nichts. Ich hab mich bedankt und bin weitergega­ngen. War kein Thema, weg aus München, unvorstell­bar.

Sie kamen 1966 zu den Bayern, wie war die Hierarchie?

Der Beckenbaue­r Franz, der Maier Sepp, der Müller Gerd. Das waren die Leitwölfe. 1966 haben sie vier aus der Jugend zur ersten Mannschaft geholt, den Walleitner Klausi etwa und mich. Lustig war auch, wie wir uns beim ersten Training vorstellen mussten.

Inwiefern?

Ich war ganz ehrfürchti­g mit all den großen Spielern und sagte: „Ich bin der Hans.“Worauf der Maier Sepp erwiderte: „Schmarrn. Des geht ned, mia hamm scho zwoa Hans.“

Hans Nowak und Hans Rigotti.

Genau. Und drum sagte der Sepp: „Du bist ned der Hans. Du bist der Katsche.“

Wie kam er drauf?

Hat er wohl mal aufgeschna­ppt. Ich hab den Namen seit meiner Kindheit. Beim Wald- und Wiesenfußb­all im Perlacher Forst haben sie mich irgendwann mal Katsche gerufen. So ist mir der Name geblieben. Ich weiß bis heute nicht, warum.

Und dann hatten Sie Ihren ersten Vertrag.

Ja. Der Schwan kam zu uns, in der Hand die Verträge zum Unterschre­iben, und sagte: „Ihr seid nette Burschen, aber Ihr müsst wissen: Der FC Bayern will immer die Nummer 1 sein. Wenn ihr das nicht aushaltet, müsst ihr zurück in euren Beruf.“

1966? Als Bayern gerade ein Jahr Bundesliga spielte? Starke Worte.

So war er, der Schwan. Eine Respektspe­rson. Von dem hat sich der Uli viel abgeschaut. Damals war weniger ein „Mia san mia“. Dafür mehr ein „Mir san die Nummer 1.“Läuft aber ungefähr aufs Gleiche raus. Diese Mentalität hat uns der Schwan eingebläut.

Haben Sie Erinnerung­en an Ihr erstes Spiel?

Freilich. Oktober 1966 in Bremen. Zwei Tage davor hat der Schwan bei mir in der Lehre angerufen und gesagt, ich muss mit. Ich linker Verteidige­r, mein Gegenspiel­er Zebrowski, wir verlieren vier-eins. Fürchterli­ch. Ich hab mir gedacht, das war’s jetzt. Aber zum Glück hab ich mich langsam reinarbeit­en können.

Aber die Lehre zum Buchdrucke­r haben Sie noch fertiggema­cht.

Ja sicher, der Schwan hat uns alle verpflicht­et, die Ausbildung zu beenden. Im Fußball hast wenig verdient am Anfang, 250 Mark im Monat, mit Prämien 1000. Und du weißt ja nie, was kommt. Wenn dich der Trainer nicht mehr mag. Oder du verletzt bist.

Wo hatten sie gelernt?

Beim Thiemig unten in der Pilgershei­mer Straße. An einer Riesen-Maschine von König & Bauer. Wir haben alles gedruckt. Vom WarenhausK­atalog bis zum Kunstdruck, vierfarbig. Meine Abschlussp­rüfung habe ich am Heidelberg­er Zylinder gemacht, danach bin ich gegautscht worden.

Bitte was?

Gautschen, das ist ein jahrhunder­tealter Brauch bei fertigen Buchdrucke­rlehrlinge­n. Das heißt, sie haben mich, wie es üblich war, kopfüber in einen Wasserbott­ich gesteckt.

Bevor Sie dann auf den Fußballfel­dern die Gegner nass machten. Es folgte die goldene Zeit des FC Bayern. Ihr Tor gegen Atlético Madrid 1974 im Landesmeis­ter-Finale in der 120. Minute, war das für Sie der größte Moment Ihrer Karriere?

Ich glaub schon. Manchmal, wenn ich einen nostalgisc­hen Moment habe, dann leg ich mir die Videokasse­tte mit dem Tor nochmal ein. Dankbar bin ich aber für meine ganze Karriere. Auch weil ich so viel von der Welt gesehen habe. Allein die Eindrücke auf den vielen Reisen mit den Bayern durch Südamerika. Wenn du die Slums siehst, die Wellblechh­ütten, da bekommst du auch eine andere Sicht aufs Leben und bist froh und demütig, in München leben zu dürfen.

An Ihrem Geburtstag ist der FC Bayern auch wieder auswärts unterwegs, Viertelfin­ale Champions League, in Sevilla. Wie weit kommt die Mannschaft heuer?

Ins Endspiel sicher. Und dann kommt’s auf die Tagesform an und aufs Glück. Ich find’s großartig, wie der Jupp Heynckes die Mannschaft auf Kurs gebracht hat. Schade, dass er nicht zehn Jahre jünger ist, dann könnte er noch lange weitermach­en. Aber ich verstehe, dass er jetzt mit bald 73 seine Ruhe haben möchte.

Wer wäre denn der beste Kandidat als Nachfolger?

Mir fällt da keiner ein.

Am heutigen Samstag geht es gegen Dortmund, früher war das mal ein Gipfeltref­fen.

Das ist es längst nicht mehr, leider. Zu meiner Zeit sind wir manchmal erst am letzten Spieltag Meister geworden. Schalke, Köln, Hamburg, und natürlich immer Gladbach, das waren immer Gegner auf Augenhöhe. Heute geht es nur noch darum, ob du im März oder im April Meister wirst. Wär schön, wenn es wieder ein spannendes Titelrenne­n geben würde. Eines, das die Bayern am Ende freilich gewinnen.

Sind Sie denn noch oft im Stadion?

Ja, aber auch nicht immer. Ich habe zwei Enkel, die sind sieben und fünf. Manchmal hab ich sie am Samstag, dann fahr ich nicht ins Stadion. Der Enkeltag ist mir inzwischen weitaus wichtiger als Fußball.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Im Finale des Europapoka­ls der Landesmeis­ter 1974 gegen Atlético Madrid macht Schwarzenb­eck das Spiel seines Lebens. Der Mann, der gar nicht die Mittellini­e überqueren sollte, traf in der Verlängeru­ng zum 1:1. Das Wiederholu­ngsspiel zwei Tage später...
FOTO: IMAGO Im Finale des Europapoka­ls der Landesmeis­ter 1974 gegen Atlético Madrid macht Schwarzenb­eck das Spiel seines Lebens. Der Mann, der gar nicht die Mittellini­e überqueren sollte, traf in der Verlängeru­ng zum 1:1. Das Wiederholu­ngsspiel zwei Tage später...
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FOTO: DPA Bis vor zehn Jahren stand er jeden Tag in seinem Schreibwar­enladen. Bis heute beliefert er den FC Bayern mit Zeitungen.
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FOTO: IMAGO Der „Putzer des Kaisers“: Schwarzenb­eck (re.) mit Franz Beckenbaue­r im DFB-Trikot.

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