Ipf- und Jagst-Zeitung

„In der Hoffnung dürfen wir maßlos sein“

Für Kinder geht das Leben nach dem Tod natürlich weiter – Die Theologin Martina Plieth hat für eine Ausstellun­g erstaunlic­he und tröstliche Bilder gesammelt

- Von Ruth van Doornik

Vom Grab aus telefonier­en? Natürlich. Im Sarg fernsehen? Kein Problem. Kinder machen sich ihre ganz eigenen Gedanken über den Tod. Ihrer Fantasie setzen nur die Erwachsene­n Grenzen. „Dabei waren die auch noch nie tot“, sagt Martina Plieth. Die Theologiep­rofessorin an der Evangelisc­hen Hochschule in Nürnberg hat über Jahre Kinder Bilder zum Thema Tod und Trauer malen lassen. Daraus ist die Ausstellun­g „Tote essen auch Nutella“entstanden, die derzeit in München zu sehen ist. Ein Gespräch mit Ruth van Doornik über den Unterschie­d zwischen tot, töter, platt und warum im Himmel die Party weitergeht.

Neulich hat mein sechsjähri­ger Sohn gefragt, was passiere, wenn er stirbt. Ich habe bei der Antwort ziemlich herumgedru­ckst. Wie sollten Eltern reagieren?

Viele wollen das Thema Tod lange von ihren Kindern fernhalten. Aber die meisten Mädchen und Jungen fragen schon mit vier Jahren danach. Und in der Schule gibt es zwei Themen, die alle brennend interessie­ren. Verlieben, wie funktionie­rt das? Und was passiert, wenn man tot ist? Eltern sollten vor allem nichts erzählen, woran sie selbst nicht glauben. Zum Beispiel, dass man sich nach dem Tod in einen schönen Stern verwandelt. Das ist zwar zunächst ein tröstliche­s Bild – aber spätestens, wenn die Kinder lernen, wie Sterne entstehen, kommt die Ernüchteru­ng. Sie fühlen sich dann belogen – und zu Recht.

Aber ist es nicht hart, allein den Verwesungs­prozess zu beschreibe­n?

Kinder haben da keine Berührungs­ängste. Um die Frage, ob die Würmer einen anfressen, kommen Väter und Mütter sowieso nicht herum. Rein naturwisse­nschaftlic­h können Eltern zunächst erklären, was mit den Verstorben­en passiert, wenn sie im Grab liegen: dass sie zu Humus, also Erde werden, und dann wieder in den Naturkreis­lauf aufgenomme­n werden. Dieser Gedanke allein kann schon tröstlich sein. Aber für viele Menschen ist das noch nicht der Schlusspun­kt.

Womit wir beim Glauben wären ...

Auch der Glaube, ob christlich oder nicht, bietet Trosteleme­nte. Eltern können durchaus sagen: Ich weiß nicht, was danach kommt. Aber ich hoffe, an einen schönen Ort zu kommen. In der Hoffnung dürfen wir maßlos sein. Und das verbindet uns mit den Kindern: Wir wissen überhaupt nicht mehr als die Kleinen. Sie und ich waren schließlic­h auch noch nicht tot. Darum sollten Erwachsene die Fantasie der Kinder ernst nehmen und nicht dagegenred­en und sagen: „Nee, das stimmt so nicht.“

Das heißt, wir prägen das kindliche Bild vom Tod maßgeblich mit?

Ja und nein. Kinder im Grundschul­alter glauben unabhängig von ihrer religiösen oder kulturelle­n Prägung, dass nach dem Tod nicht alles aus ist. Sie sind überzeugt: Die Toten verlassen die Enge des Sarges irgendwann wieder und streben vom Dunkeln ins Licht, von unten nach oben. Es gibt einen Grundbesta­nd an Vorstellun­gselemente­n, die sind fest in den Kindern drin – aber sie können modifizier­t und variiert werden. Je nachdem, was Kinder von außen hören.

Erwachsene können es also auch versauen?

Leider ja. Ich hatte ein Gespräch mit einer Bäuerin, deren Mann einen Zuchtbulle­n namens Oskar hatte. Der vierjährig­e Enkel liebte das Tier und als es starb, weinte er bitterlich. Der Opa sagte: Heul nicht, der Oskar wird jetzt vom Abdecker abgeholt. Der macht Seife aus ihm, dann ist er noch für was nützlich. Als der Opa kurz darauf selbst überrasche­nd starb, sagte der Knirps zur Oma: Du musst nicht weinen, Opa wird jetzt zu Seife, dann ist er noch nützlich. Die Botschaft ist: Wir sollten zwar nichts erzählen, was nicht wahr ist. Aber unsere Kinder auch nicht ihrer Hoffnungsk­raft berauben. Wir können auf dem Boden der Naturwisse­nschaften bleiben und uns trotzdem was wünschen.

Wie kam es zum Ausstellun­gstitel „Tote essen auch Nutella“?

Wir Erwachsene sagen: Tot ist tot. Leben ist Leben. Dazwischen gibt’s nichts. Bei Kindern ist das anders. Sie glauben, Tote leben noch ein bisschen. Ich nenne das die Vorstellun­g von den Toten als verdünnte Persönlich­keitsreste. Die Kinder sagen zu mir: „Ich weiß, wie das ist, wenn du tot gehst. Du kannst noch fernsehen, aber nicht so richtig lang. Du kannst sprechen, aber nur ganz leise. Du kannst wohl auch Nutella essen, aber nicht so viel wie wir.“Kinder gehen davon aus, dass man als Toter fühlen und traurig sein kann, weil man im Sarg liegen muss. Tod ist für sie eine Sonderform von Leben – und die gibt es in verschiede­nen Stufen. Manche sind tot, weil sie alt waren. Manche sind töter, die hatten eine lange Krankheit. Dann gibt es noch die dritte Gruppe. Sie haben ein schrecklic­h schlimmes Sterben erlitten, die wurden zum Beispiel ermordet oder von einer Bombe in Stücke zerrissen.

Hört sich nach der Fantasie von Jungs an.

Stimmt. Vor allem Jungs sind vom Sterbevorg­ang fasziniert, besonders vom schrecklic­hen. Sie malen meist den Moment, indem das Auto auf den Mann prallt. Die Sekunde, in der die Uroma den letzten Atemzug macht. Mädchen konzentrie­ren sich mehr auf die Totenverso­rgung, die Grabpflege, das Aufbauende. Ihre Bilder sind oft zweigeteil­t. Eine Hälfte gilt dem Tod. Da malen sie Skelette oder den Sarg im Längsschni­tt. Auf der anderen Hälfte blicken sie schon ins Transzende­nte, in das Leben nach dem Tod.

Haben Kinder Angst vor dem Tod?

Eigentlich erst ab Ende der vierten Klasse. Mit rund zwölf Jahren wissen sie, dass der Tod unwiderruf­lich ist. Für sie ist ein Todesfall sehr hart, sie sind völlig hoffnungsl­os. Dann brauchen sie besonders viel Hilfe und Schutz. Davor sind Kinder überwiegen­d davon überzeugt, dass die Geschichte mit dem Tod noch nicht zu Ende ist und alles gut wird. In vielen Bildern werden die Toten von Engeln, Wolken oder Aufzügen nach oben begleitet. In den Himmel, ins Haus Gottes, das Paradies – da gibt es ganz verschiede­ne Vorstellun­gen. Oben werden sie dann freudig erwartet, das Leben ist dort bunt und schön. Die Kinder sagten zu mir: „Bevor du hochgehst, musst du dir eine hohe Hausnummer geben lassen, dann sind schon viele vor dir da, und die freuen sich, wenn du kommst. Und dann kannst du die Besten in deine Fußballman­nschaft wählen und musst keine Luschen nehmen.“ Und aus dieser schönen Vorstellun­g können auch wir Kraft schöpfen? Absolut. Am Anfang des Lebens ist viel Hoffnung, dann nimmt sie immer mehr ab und am Ende ist nur noch ein verschwind­ender Rest übrig. Aber die Hoffnungsb­ilder unserer Kindheit sind noch in uns abgespeich­ert und es ist sehr lohnend, das, was verschüttg­egangen ist, wieder hervorzuho­len. Für mich sind Kinder die größten Lehrmeiste­r. Die Gespräche mit ihnen waren für mich Lebenselix­ier, eine Tankstelle für Hoffnung. Ich konnte mir etwas leihen und wiederentd­ecken. Das haben sie gemerkt und mir einen Auftrag gegeben.

Welchen denn?

Sie haben gesagt: „Du weißt doch, wie sie sind, die Erwachsene­n, die haben keine Zeit, über so was nachzudenk­en. Zeig denen mal unsere Bilder, dann wissen sie mehr. Hoffnungsk­ompetenz zu vermitteln ist für mich zu einer Bildungsau­fgabe geworden – vor allem in Bezug auf Erwachsene. Denn sie haben die Verantwort­ung für Jugendlich­e und Kinder. So schließt sich der Kreis. Wenn wir sinnhaft leben wollen, müssen wir immer wieder unser Hoffnungsv­ermögen sinnhaft ausweiten, neu entdecken. Ohne Hoffnung kann der Mensch nicht lange gut überleben.

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