Ipf- und Jagst-Zeitung

74-Jähriger attackiert Nachbarin mit Beil

Angeklagte­r stört Pozess wegen versuchten Totschlags teilweise massiv

- Von Josef Schneider

- Weil er auf seine Nachbarin in einem Mehrfamili­enhaus in Wasseralfi­ngen mit einem Beil losgegange­n ist, muss sich ein 74 Jahre alter Mann seit Montag vor der Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­ts Ellwangen verantwort­en. Die Anklage wirft dem Rentner versuchten Totschlag sowie versuchte Körperverl­etzung und Bedrohung in zwei Fällen vor. Denn nach der Blutentnah­me im Anschluss an die erste Tat wurde der stark Betrunkene auch gegenüber zwei Polizeibea­mten ausfällig.

Zu Beginn der Verhandlun­g sah es eher nach einer Vertagung des Prozesses aus. Denn der stark schwerhöri­ge Angeklagte verstand offensicht­lich den extra laut sprechende­n Vorsitzend­en Richter Gerhard Ilg überhaupt nicht. Obwohl der aus der Justizvoll­zugsanstal­t Schwäbisch Hall vorgeführt­e Angeklagte zur Feststellu­ng seiner Kurzperson­alien unmittelba­r vor den Richtertis­ch zitiert wurde. Zum Prozess war er ohne sein Hörgerät gekommen.

Im Gefängnis ohne Hörgerät

Was blieb Richter Ilg anders übrig, als die Verhandlun­g für eine halbe Stunde zu unterbrech­en und mit der Justizvoll­zugsanstal­t Schwäbisch Hall zu telefonier­en. Von dort erfuhr Ilg, dass der Angeklagte am Vormittag ärztlich untersucht worden war. Eine Unterhaltu­ng mit ihm sei möglich gewesen, wurde dem Richter mitgeteilt. Im Gefängnis hatte der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt ein Hörgerät zur Verfügung.

Schließlic­h erzählte der schlecht Deutsch und Dialekt sprechende Angeklagte kurz, dass er in Deutschlan­d geboren sei und danach in Kasachstan gelebt habe. Endlich konnte Erster Staatsanwa­lt Martin Hengstler die Anklagesch­rift verlesen. Der Vorfall mit dem Beil passierte am 2. Dezember 2017 gegen 13.20 Uhr im Treppenhau­s eines Wasseralfi­nger Mehrfamili­enhauses. Opfer der Attacke war eine Türkin. Der Angeklagte wohnte mit ihr und ihrer Familie Tür an Tür.

Ehemann rettet seine Frau

Die beiden minderjähr­igen Töchter der jungen Frau mussten mit ansehen, wie der stark Alkoholisi­erte ihre Mutter mit dem Beil bedrohte und schon nach ihr ausholte. Gerade noch rechtzeiti­g konnte der herbeieile­nde Ehemann den Angreifer überwältig­en, zu Boden bringen und so lange festhalten, bis die Polizei kam und ihn mitnahm. Doch nach drei Tagen in der Psychiatri­e in Winnenden wurde der allein lebende Mann wieder nach Hause entlassen und prahlte: „Siehst Du, mir passiert nichts. Ich komme immer raus!“

„Er hat mich geschlagen“, sagte der Angeklagte in seiner Einlassung über den Nachbarn und führte dies als Grund für sein Ausrasten an. Vor der Tat habe er Wodka getrunken, gestand er. Aber als dann die Geschädigt­e und ihr Mann als Zeugen vernommen wurden, zeigte der 74-Jährige, dem aufgrund seines ausfällige­n Verhaltens im Gericht Handschell­en angelegt wurden, sein wahres Gesicht, stand auf und wurde lautstark und beleidigen­d, auch direkt zu der Frau: „Ich bin in Deutschlan­d geboren. Du nicht! Deutschlan­d ist meine Heimat. Du musst raus, ich nicht! Ich glaub’ an Gott.“Auch üble Ausdrücke und schlimme Androhunge­n sowie mehrere Sätze auf Russisch waren zu hören.

Der Angeklagte störte fortlaufen­d den Prozess durch laute Zwischenru­fe, Selbstgesp­räche und massive Beleidigun­gen in Richtung der Geschädigt­en und ihres Ehemannes. Wie die Zeugen aussagten, habe der Angeklagte in betrunkene­m Zustand einmal bereits „beinahe das Haus abgefackel­t“.

Nach der Mittagspau­se gab Richter Ilg dem Angeklagte­n eine letzte Warnung: „Wenn Sie noch einmal stören, dann müssen Sie aus dem Saal!“Der 74-Jährige, der 1999 nach Deutschlan­d kam, ist wegen Bedrohung, Beleidigun­g, Hausfriede­nsbruch und Körperverl­etzung vorbestraf­t.

Krankhafte seelische Störung

Als die Fachärztin für Psychiatri­e, Heidi Gromann aus Winnenden, ihr Sachverstä­ndigenguta­chten vortrug, war der Angeklagte dank eines neben ihm sitzenden Justizwach­tmeisters überrasche­nd ruhig. Gromann diagnostiz­ierte beim Angeklagte­n ein hirnorgani­sches Psychosynd­rom und Altersdeme­nz und sprach von einer krankhafte­n seelischen Störung. Zur Tatzeit hatte er einen Blutalkoho­lwert von 2,13 Promille. „Die hirnorgani­sche Komponente wird fortschrei­ten, selbst wenn er alkoholabs­tinent bleibt“, sagte die Fachärztin in Bezug auf Gemeingefä­hrlichkeit. Sie befürchtet­e beim Angeklagte­n auch die Möglichkei­t eines erweiterte­n Suizids. Die Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s komme infrage, gab deshalb Richter Ilg einen rechtliche­n Hinweis.

Die Verhandlun­g wird am heutigen Dienstag um 9 Uhr mit den Plädoyers von Staatsanwa­lt und Verteidige­r fortgesetz­t. Es ist auch mit dem Urteil zu rechnen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany