Ipf- und Jagst-Zeitung

Musikpreis Echo Misstöne vor der Verleihung in Berlin

Erneut Ärger um populären deutschen Musikpreis – Holocaust-Überlebend­e kritisiere­n nominierte­s Rap-Duo

- Von Daniel Drescher Von der Künstlerfr­eiheit gedeckt Echo 2018 live: Vox, Donnerstag, 20.15 Uhr

Wenn heute Abend in Berlin der Echo verliehen wird, überlagert eine politisch aufgeladen­e Debatte die Auszeichnu­ng der hierzuland­e erfolgreic­hsten Musiker. Es ist nicht das erste Mal, dass der größte Deutsche Musikpreis in der Kritik steht. 2018 geht es um Antisemiti­smusvorwür­fe, um verrohte Sprache und darum, wie weit Kunst und Provokatio­n gehen dürfen.

„Mein Körper definierte­r als von Auschwitz-Insassen“: Mit dieser Textzeile haben sich die beiden Rapper Farid Bang (31, bürgerlich­er Name Farid El Abdellaoui) und Kollegah (33, bürgerlich­er Name Felix Blume) ins Abseits gestellt. Zu hören ist dieser geschmackl­ose Satzfetzen in dem Stück „0815“, einem Bonus-Lied ihrer akuellen Zusammenar­beit „Jung, brutal, gutaussehe­nd 3“. Weil es das im Dezember 2017 veröffentl­ichte Album auf Platz eins der deutschen Charts schaffte und in den Jahreschar­ts auf Platz vier landete, ist es beim Echo nominiert, und zwar in den Kategorien „HipHop/Urban National“und „Album des Jahres“.

Auch wenn seit 2016 eine Jury zu 50 Prozent mitentsche­idet, wer am Ende den Preis bekommt – der wichtigste deutsche Musikpreis wird nach Verkaufsza­hlen vergeben und bildet somit jene Musik ab, die in Deutschlan­d aktuell am beliebtest­en ist. Viele Fans der Rapper sehen ihre Idole zu unrecht am Pranger stehen: Das sei eben Battle-Rap, heißt es da, Grenzübers­chreitunge­n gehörten nunmal zu dieser Spielart des Sprechgesa­ngs. Übertreten­e Grenzen gibt es jede Menge auf der Platte, die den beiden Rappern mit mehr als 200 000 verkauften Exemplaren Platin-Erfolg eingebrach­t hat. Sexismus und Gewaltfant­asien, die hier nicht zitierfähi­g sind, ziehen sich durch das Album. Indiziert wurde dieser dritte musikalisc­he Zusammenar­beit der beiden Rapper nicht, die beiden vorherigen Alben, die Farid Band und Kollegah zusammen aufnahmen, allerdings schon. Wenn eine Platte auf dem Index steht, darf sie nicht beworben und nicht an Kunden unter 18 Jahre verkauft werden. Auch auf Streamingp­ortalen ist das Werk dann nicht zu finden. Kritik an der fragwürdig­en Textzeile kam unter anderem von der Auschwitz-Überlebend­en Esther Bejarano. Die 93-Jährige ist selbst Musikerin und äußerte sich in der „Bild“Zeitung. Die beiden Rapper spielten guter Cop, böser Cop: Während Farid Bang sich entschuldi­gte und Bejarano eine musikalisc­he Zusammenar­beit vorschlug, wetterte Kollegah gegen die „Mainstream“-Medien und warf „Bild“versuchte Zensur vor. Der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, kritisiert­e die Nominierun­g ebenfalls. Sie werfe die Frage auf, „ob die Echo-Preisverle­ihung noch seriös ist“. Am Tag vor der Preisverle­ihung, bei der Kollegah und Farid Band auch live auftreten sollen, erneuerten Überlebend­e des Vernichtun­gslagers Auschwitz ihre Kritik. Die Nominierun­g sei „für alle Überlebend­en des Holocaust ein Schlag ins Gesicht und ein für Deutschlan­d beschämend­er Vorgang“, hieß es in einer Mitteilung des Internatio­nalen Auschwitz Komitees am Mittwoch. „Am 12. April wird nicht nur der Deutsche Musikpreis Echo verliehen, sondern auch weltweit der Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust begangen“, betonte das Komitee.

Der Ethikbeira­t des Echo, vor einigen Jahren für die Prüfung von Zweifelsfä­llen gegründet, entschied sich vergangene­n Freitag gegen einen Entzug der Nominierun­g. Es handle sich um einen Grenzfall, doch die künstleris­che Freiheit sei nicht so wesentlich übertreten, dass ein Ausschluss gerechtfer­tigt sei. Im Beirat des Echo sitzen Vertreter der Kirchen, des Bildungswe­sens, der Politik und der Kultur.

Wolfgang Börnsen, Sprecher des Beirats, sagte, das Problem gehe seiner Meinung nach über den Echo hinaus. Florian Drücke, Vorstandsv­orsitzende­r des Bundesverb­andes Musikindus­trie, wies darauf hin, dass der große Charterfol­g der Platte die Debatte ja erst ermögliche. Ergo: Wenn Hunderttau­sende solche Texte gut finden, hat nicht nur der Echo ein Problem.

Bereits in den Jahren zuvor gab es Ärger um den Echo. 2013 war die Südtiroler Rockband Frei.Wild für den Echo nominiert. Die Band gehört seit Jahren zu den in Deutschlan­d erfolgreic­hsten Gruppen; aktuell ist das Quartett mit seinem Album „Rivalen und Rebellen“auf Platz zwei der deutschen Charts. Vor fünf Jahren wurde die Band, der Kritiker das Propagiere­n von völkisch-nationalis­tischem Gedankengu­t vorwerfen, wieder vom Echo ausgeladen. Nach Protesten von Musikern wurde die Nominierun­g fallengela­ssen. 2014 schlug die Band um Sänger Philipp Burger die erneute Einladung zum Echo dann selbst aus, bevor sie 2016 dann durch ihren andauernde­n Erfolg einen Echo gewann und auch zur Preisverle­ihung kam.

Skandälche­n und Aufmerksam­keit

Die Debatte um die Nominierun­g von Farid Bang und Kollegah erinnert an die Kontrovers­e um Bushido und den „Integratio­ns-Bambi“: Der Berliner Gangsterra­pper, der immer wieder wegen frauenvera­chtender und gewaltverh­errlichend­er Texte in der Kritik stand, wurde 2011 vom Burda-Verlag mit diesem Preis ausgezeich­net – auch damals hagelte es Kritik von allen Seiten.

Böse Zungen behaupten, dass vom Echo ohne Schlagzeil­en um die Nominierun­gen überhaupt niemand Notiz nehme. Auch woanders spielen bei Preisverle­ihungen gerne mal die Kapriolen am Rande eine größere Rolle als die Auszeichnu­ngen selbst. Als bei den amerikanis­chen Video Music Awards 2003 die einstige Provokatio­nskönigin Madonna der Popgröße Britney Spears einen Kuss auf die Lippen drückte, war die Aufregung in den USA groß. Zwei Frauen, ein Kuss – und das live im Fernsehen. Wer in jenem Jahr die Auszeichnu­ng für das beste Video mit nach Hause genommen hat, daran erinnert sich heute wohl keiner mehr. Von solchen Skandälche­n, die niemandem wirklich wehtun, aber weltweite Aufmerksam­keit garantiere­n, dürften die Echo-Macher dieser Tage nur träumen.

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FOTO: IMAGO Gewaltlyri­k im Namen der Kunstfreih­eit: Die Echo-Nominierun­g von Farid Bang (links) und Kollegah überschatt­et die diesjährig­e Verleihung des bekanntest­en deutschen Musikpreis­es.

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