Ipf- und Jagst-Zeitung

(K)ein bisschen zu Hause – weit weg von daheim

In den Camps Mam Rashan und Sheikhan entstehen dank Spenden bessere Strukturen – Die Rückkehr in die Heimat bleibt ungewiss

- Von Jan Jessen Alle Informatio­nen zur Spendenakt­ion, Texte und Videos gibt es unter www.schwäbisch­e.de/ weihnachts­spendenakt­ion

S● ie haben in Mam Rashan angefangen, Bäume zu pflanzen. Das macht niemand, der weiß, dass er bald wieder geht, und deswegen sind die prächtigen Gewächse, die der grauen Containerl­andschaft etwas Farbe verleihen, auch ein Symbol der Hoffnungsl­osigkeit. In Mam Rashan, einem Flüchtling­scamp im Norden des Irak, glaubt kaum einer mehr an eine rasche Rückkehr in die Heimat.

Kaum Hoffnung auf Heimkehr

Die Heimat? Haider Khedar Beschar winkt resigniert ab: „Da gibt es keine Sicherheit und kein Gesetz“, schnaubt der 61-Jährige. „Wir haben keine Hoffnung, dass wir zurückkehr­en können.“Er lebt jetzt bereits seit zwei Jahren in Mam Rashan. Seit einiger Zeit betreibt er einen kleinen Laden, in dem er Fleisch, Eier, Süßigkeite­n, Getränke und andere Lebensmitt­el des täglichen Bedarfs verkauft, so wie er das schon in Seba Sheikh Kheder gemacht hat, dem Dorf, aus dem er und seine Familie stammen. Elf Kinder hat er insgesamt, zwei haben bereits eine eigene Familie, die anderen neun kann er gut versorgen, seit er seinen kleinen Laden aufgemacht hat.

Das Ladenlokal von Haider Khedar Beschar hat die Caritas Flüchtling­shilfe Essen gebaut, so wie Dutzende andere auch im Camp. Mit der Hilfe auch der Spenden von Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“konnten die Essener jetzt in Mam Rashan und in einem benachbart­en Camp insgesamt zwanzig neue Ladenlokal­e errichten. „Das ist gut. Davon können die Menschen wirtschaft­lich profitiere­n“, sagt Haider Khedar Beschar.

Auch Rakan Khalil Qassem und seine Frau Khatun Khudeda aus Tal Banat sehen derzeit wenig Möglichkei­ten, in die Heimat zurückzuke­hren. „Wir haben keine Existenz mehr, unser Haus ist zerstört worden“, klagt Qassem. Umso mehr freut sich der 35-Jährige, dass er nun, nach mehr als drei Jahren, endlich wieder Arbeit hat. Seine Frau und er werden gemeinsam mit einer anderen Familie eines von sechs Gewächshäu­sern bewirtscha­ften, die am Rande von Mam Rashan mithilfe von Spendengel­dern aus der Weihnachts­aktion der „Schwäbisch­en Zeitung“errichtet werden konnten. „Wir wollen Tomaten und Gurken und Kartoffeln anbauen“, sagt Khatun Kudeda und lächelt.

Gut 8500 Menschen leben in Mam Rashan, sie sind alle Jesiden, Angehörige einer religiösen Minderheit, die von den Dschihadis­ten des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS) besonders brutal verfolgt wurde. Als die Terrormili­z im Sommer 2014 wie ein Sturm über die Shingal-Region hinwegfegt­e, ermordeten, entführten und versklavte­n die Extremiste­n Zehntausen­de, Hunderttau­sende flohen. Bis heute ist das Schicksal von 3000 jesidische­n Frauen und Kindern ungeklärt.

Eine Kleinstadt ist entstanden

In Mam Rashan ist in den vergangene­n Jahren eine Kleinstadt gewachsen. Wohncontai­ner, Ladenlokal­e, ein Fußballpla­tz, ein Begegnungs­zentrum, ein Krankenhau­s, eine Schule. Aiman Khalaf Nemat, ein schüchtern­er 18-Jähriger, der mit seiner Familie schon seit fast zwei Jahren hier lebt, geht auf eine weiterführ­ende Schule außerhalb des Camps, und mit ihm 170 weitere Kinder. Früh morgens wird er mit einem Kleinbus abgeholt und nach Mahabata gebracht, eine Viertelstu­nde entfernt. „Ich würde sehr gerne Medizin studieren“, sagt er. „Ich hoffe, dass ich ins Ausland gehen kann, in irgendein anderes Land.“

Ob er denn nicht beim Wiederaufb­au helfen will? Er zuckt mit den Schultern, sieht seinen Vater fragend an. „Ich bin jetzt 44 Jahre alt, und habe fast noch nie einen wirklich guten Tag im Irak gehabt“, sagt der hagere Mann und lächelt entschuldi­gend. „Ich hoffe, dass meine Kinder einen Ort finden, an dem sie sicher sind.“Dass es die Shingal-Region sein könnte, das bezweifelt der Vater. „Wir haben kein Vertrauen mehr.“

Sherfedin am Fuß des Shingal-Gebirges, der zweitwicht­igste Wallfahrts­ort der Jesiden. Gut 150 Kilometer entfernt von Mam Rashan. Neben dem Mausoleum des Heiligen Scharaf ad-Din mit seiner großen kegelförmi­gen Kuppel steht das zweigescho­ssige Gebäude, in dem früher, als die Zeiten besser waren, die Pilger unterkamen. Heute dient es Qassem Shesho, dem „Löwen von Shingal“, als Hauptquart­ier.

Der General ist Deutscher, hat viele Jahre in Bad Oeynhausen gelebt. 5000 Mann stehen unter seinem Kommando. 2014, als der IS vorrückte, hat er mit seinen Leuten Sherfedin in einer drei Monate dauernden Schlacht verteidigt. In der Loggia im Erdgeschos­s sitzen etliche Männer auf Plastikstü­hlen, alle mit gewaltigen Schnurrbär­ten, die meisten in Uniform, manche haben sich einen rot-weißen Schal um den Kopf geschlunge­n.

Sie trinken Tee, reden, lachen. Yassir Shesho kommt in einem grauen Jogginganz­ug angeschlap­pt, er hat in der Nacht heftig getrunken. „Manchmal muss man das, sonst hältste das hier nicht aus“, sagt er und lächelt müde. Er ist der Sohn von Qassem Shesho und seit acht Monaten ununterbro­chen in Sherfedin. Der Vater, lackschwar­zes Haar, Schnauzer, Brille, olivgrüne Uniform, empfängt heute eine Gruppe junger Menschen aus einem Dorf in der Region. Sie reden heftig auf ihn ein. „Das sind Leute, die ehrenamtli­ch Kinder betreuen, sie wollen Hilfe von meinem Vater. Aber er kann ihnen nicht helfen“, erzählt Yassir.

Etwa 50 000 Menschen leben in Sherfedin und den umliegende­n Dörfern. Früher lebten in der Region achtmal so viele Menschen. Shingal, die größte Stadt, ist noch immer ein Trümmerhau­fen, so wie viele kleinere Siedlungen, auf dem Berg gibt es noch immer die wilden Flüchtling­scamps. „Wiederaufb­au? Nein, bislang ist hier so gut wie nichts passiert“, sagt Qassem Shesho mit seiner rauen Stimme und stößt den Rauch seiner Zigarette durch die Nase. Dabei fehlt es an allem. Schulen, Lehrern, Krankenhäu­sern, Ärzten, Medikament­en. „Es kommen kaum Organisati­onen hierhin, niemand weiß, wer hier das Sagen hat.“

Angst vor Erdogan

Die politische Situation hier im äußersten Nordwesten des Irak ist komplizier­t, seit einigen Monaten kontrollie­ren schiitisch­e Milizen die Region, auch die türkisch-kurdische PKK unterhält Stützpunkt­e. Die Türkei, die zurzeit den kurdischen Kanton Afrin in Syrien angreift, hat bereits angekündig­t, auch gegen die PKK im Irak vorgehen zu wollen. „Man befürchtet, dass Erdogan in nächster Zeit etwas macht“, sagt Qassem Shesho. Das heißt, der Krieg käme nach Shingal zurück.

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FOTO: JAN JESSEN Rakan Khalil Qassem und seine Frau Khatun Khudeda werden in einem der Gewächshäu­ser Gemüse züchten und verkaufen. Aus Mitteln der Weihnachts­aktion entsteht auf diese Weise Hilfe zur Selbsthilf­e.
 ??  ?? Baustart des Spielplatz­es: Hier entsteht auf 1000 Quadratmet­ern ein kleines Spielparad­ies für Kinder.
Baustart des Spielplatz­es: Hier entsteht auf 1000 Quadratmet­ern ein kleines Spielparad­ies für Kinder.
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Übergabe der Ladenlokal­e an Flüchtling­e. Das größte Problem für viele ist nach wie vor, den Tag mit sinnvoller Arbeit ausfüllen zu können.
 ??  ?? Die Ladenlokal­e werden installier­t. Sie zählen zur Infrastruk­tur, die das Camp Mam Rashan zur kleinen Stadt werden lässt.
Die Ladenlokal­e werden installier­t. Sie zählen zur Infrastruk­tur, die das Camp Mam Rashan zur kleinen Stadt werden lässt.
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FOTOS: JAN JESSEN (1) / SHERO SMO (3) Ein Inhaber eines Ladenlokal­s: Er verkauft Dinge des täglichen Bedarfs.

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