Ipf- und Jagst-Zeitung

Experten fordern Hundeführe­rschein

Nach drei Todesopfer­n durch Bisse innerhalb kurzer Zeit entfacht erneut die Debatte um Kampfhunde

- Von Ira Schaible

(dpa/sz) Der Staffordsh­ire-Terrier-Mischling „Chico“hat zwei Menschen in Hannover totgebisse­n. Dieselbe Rasse steckt dem ersten Anschein nach auch in „Kowu“, der den kleinen Jannis im hessischen Odenwald getötet hat. Staffordsh­ire-Bullterrie­r ist eine von vier Rassen, die auf allen Listen gefährlich­er Hunde steht, vorausgese­tzt die Bundesländ­er haben – wie Hessen – überhaupt eine.

Seit der kleine Volkan vor 18 Jahren in Hamburg von zwei freilaufen­den American-Staffordsh­ire-Mischlinge­n auf einem Schulhof zu Tode gebissen wurde, werde über ein Verbot diskutiert, sagt Hansjoachi­m Hackbarth von der Tierärztli­chen Hochschule Hannover. Wesenstest­s und Listen gefährlich­er Hunde seien eine Folge gewesen. „Die Gefährlich­keit eines Hundes hängt aber überhaupt nicht von der Rasse ab“, sagt der Fachmann. Das hätten tausende Wesenstest­s gezeigt.

Vierbeiner aus dem Internet

Das sieht auch die hessische Landestier­schutzbeau­ftragte Madeleine Martin so. „Viele Leute haben nicht im Ansatz eine Vorstellun­g, was es heißt, einen Hund zu haben“, begründet sie die Forderung nach der Einführung eines deutschlan­dweit verbindlic­hen Hundeführe­rscheins. Sie kauften die Tiere nach Aussehen, Rasse oder Farbe – manchmal mit drei Klicks im Internet. „Wir setzen auch keinen ans Steuer, der nicht Auto fahren kann.“Es liege einzig und allein am Halter und dem Verhältnis Halter-Hund, sagt auch Hackbarth. „Die meisten Leute haben keine Ahnung von Hunden.“So mancher glaube, sein Hund lächle ihn an, wenn er knurrt.

Die Tierärztin Katrin Roiner aus Mainz hat in ihrer Doktorarbe­it die Beißstatis­tik und den Hundebesta­nd von 2012 in den Bundesländ­ern untersucht: „Nirgendwo waren nur die gelisteten Hunde auffällig.“Also die als gefährlich eingestuft­en. Und: „Die meisten Vorfälle passieren mit dem eigenen Hund.“Also nicht wie es damals bei Volkan geschah, sondern so wie jetzt in Hannover und in Bad König im Odenwald. Meist bissen die Tiere in der direkten Aktion zu, Hundebesit­zer übergingen oder übersähen zuvor oft Warnsignal­e. „Viele Unfälle passieren, weil die Leute nicht so viel Ahnung von hundetypis­chem Verhalten haben.“

Zwar gilt Niedersach­sen mit seiner Sachkundep­rüfung anstelle einer Liste gefährlich­er Hunde bei den Fachleuten als Vorreiter. Doch muss diese Prüfung nur ablegen, wer sich nach dem 1. Juli 2011 einen Hund zugelegt hat, wie Dunia Thiesen-Moussa von der verhaltens­medizinisc­hen Sprechstun­de für Tiere an der Hochschule Hannover berichtet. „Chicos“ Halter fiel noch nicht darunter. Vielmehr hatte das Veterinära­mt genau 2011 vom Amtsgerich­t Hinweise auf eine gesteigert­e Aggressivi­tät des Hundes und eine mangelnde Eignung des Halters erhalten. Es passierte aber nichts. Nun biss der Mischlings­hund dann den inzwischen 27-Jährigen und seine Mutter tot. Die Frau saß im Rollstuhl, er sei ebenfalls körperlich beeinträch­tigt gewesen, sagt Hackbarth.

Die Sachkundep­rüfung in Niedersach­sen, die Hackbarth mitentwick­elt hat, zeigt nach seiner Ansicht in der Praxis bereits Wirkung. ThiesenMou­ssa findet die Prüfung – die sich in einen theoretisc­hen und einen praktische­n Teil unterglied­ert – etwas „sehr einfach“. Der praktische Teil könne sogar mit einem fremden Hund abgelegt werden. Der Hundeführe­rschein an sich sei aber richtig. Der Umgang mit Hunden und Kindern sollte nach Einschätzu­ng von Fachleuten auch dazu gehören. „Eltern muss bewusst sein, dass beide unberechen­bar sind“, betont Thiesen-Moussa. Sie dürften die Kinder nie ohne Aufsicht mit dem Hund zurücklass­en. „Ein Tier ist ein Tier und bleibt ein Tier“, mahnt Martin.

Nichtsdest­otrotz verfügt die Online-Petition „Lasst Chico leben!“bereits über mehr als 270 000 Unterschri­ften, wie die „Süddeutsch­e Zeitung“berichtet. Vor dem Veterinära­mt in Hannover protestier­ten Dutzende mit „Free Chico“-Plakaten. Außerdem hatten Unbekannte versucht, in das Tierheim einzudring­en, in dem Chico untergebra­cht ist, um ihn zu befreien. Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutz­bundes, meint: „Hunde sind Mitgeschöp­fe, die die Chance zur Resozialis­ierung verdient haben.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany