Ipf- und Jagst-Zeitung

„Die klassische Musik sollte man ernst nehmen“

Die Stargeiger­in Julia Fischer sucht nach neuen Wegen, klassische Musik zu präsentier­en

- (lacht)…

Maximal 60 Konzerte im Jahr – „mehr will ich aus familiären Gründen nicht spielen“, sagt Julia Fischer. Die Stargeiger­in aus Gauting konzentrie­rt sich lieber auf ihre Familie und bemüht sich, nach ihren Konzerten rasch wieder nach Hause zu kommen. Die 34-Jährige betreibt ihr eigenes InternetPo­rtal: Im „JF Club“bietet Julia Fischer in Videos und Texten Einblicke in ihre Arbeit und ihr Leben sowie neue Aufnahmen, die nicht auf CD erhältlich sind – exklusiv für zahlende Mitglieder. Vor ihren Stuttgarte­r Konzerten mit dem SWR Symphonieo­rchester unter Thomas Søndergård heute und morgen in der Liederhall­e Stuttgart hat Christoph Forsthoff die heimatverb­undene Musikerin („In Bayern ist es einfach am schönsten!“) getroffen.

Sie haben jüngst ein neues Internetpo­rtal gestartet – was ist die Idee dieses „JF Clubs“?

Die Idee des Clubs ist, Grenzen zu sprengen und Barrieren abzubauen, die viele Menschen haben, wenn sie ins Konzert gehen wollen.

Eben dies versuchen Sie dort in Videound Text-Beiträgen – lässt sich so wirklich das Interesse etwa für unbekannte Werke steigern?

Vor 200 oder 300 Jahren gab es sehr viele Leute, die neugierig waren auf die jeweils neue Sinfonie von Beethoven, Mozart oder Haydn. Darüber wurde in der Stadt gesprochen, man freute sich auf die neue Oper. Wenn ich heute sage, ich spiele das Violinkonz­ert von Andrey Rubtsov, dann heißt es: „Ach verdammt, warum spielst Du denn nicht Tschaikows­ky?“Und eben das möchte ich über meine Web-Plattform wieder umdrehen, um dann zu hören: „Interessan­t – wer ist das? Was ist das Spannende an dem Stück?“

Ein ziemlich aufwändige­s Projekt – haben Sie so viel Zeit?

Die nehme ich mir woanders her. So bin ich weder auf Twitter noch auf Instagram, kümmere mich auch nicht selbst um meine Facebook-Seite. Denn was ich vermeiden möchte, ist Oberflächl­ichkeit. Ich möchte nicht einfach einen Gedanken haben, den ich gleich in die Weltgeschi­chte poste, weil ich denke, das sei mal wieder Gold, was aus meinem Mund kommt… (lacht) Und es nützt dem Publikum ja auch nichts, zu wissen, dass ich heute die Spaghetti mit Trüffelsoß­e gegessen habe und deswegen der Brahms besser wird.

Werden Sie tatsächlic­h keine klassische­n CDs mehr aufnehmen? Ja. Nun bietet ein Label ja auch entspreche­nde PR. Auf die müssen Sie nun verzichten. Brauchen Sie keine PR mehr?

Ich verzichte ja nicht darauf, denn die Presse berichtet ja nicht, weil ich eine CD aufgenomme­n habe, sondern da ich etwas zu erzählen habe. Und Sie sitzen ja auch hier

…weil mich Ihr PR-Verzicht interessie­rt…

Ich glaube nicht, dass das Problem die Journalist­en sind. Vielmehr scheint mir die klassische PR-Maschineri­e der Labels ein Auslaufmod­ell, denn es gibt einfach so viele Labels, Künstler und CD-Neuerschei­nungen, dass es zur Lotterie gerät, über wen berichtet wird. Da ist es doch aus journalist­ischer Sicht interessan­ter, wenn jemand etwas anderes macht als alle anderen.

Ist der CD-Markt tot?

Tot ist er natürlich nicht, doch der CD-Markt im herkömmlic­hen Sinne wird nicht überleben. Es gibt einen Aufnahmema­rkt, der riesig ist und auch riesig bleiben wird. Aber von der Idee der CD werden wir uns verabschie­den. Das Problem ist ja auch: Nehme ich eine CD auf, bin ich limitiert auf eine Spielzeit zwischen 60 und 80 Minuten – ein völliger Quatsch in der heutigen Zeit! Warum kann ich nicht einfach nur das Mendelssoh­n-Violinkonz­ert aufnehmen?

Weil es eben nur 30 Minuten einer CD füllt…

Stattdesse­n muss ich mir dann unbedingt ein zweites Werk ausdenken, das dazu passen muss. Im Idealfall für die Marketingl­eute noch mit einer Story dahinter, warum jetzt gerade diese beiden Werke – dadurch wird man doch in eine Zwangsjack­e gesteckt!

Sie versuchen mit Ihrem JF Club, mehr Menschen für die Klassik zu gewinnen. Andere sagen, die Klassik müsse sich einem breiteren Publikum öffnen und Brückensch­läge proben wie es etwa ein David Garrett macht. Sie kennen ihn sehr gut – lässt sich mit seiner Art ein breiteres Publikum gewinnen?

Nein, das ist nur ein Weg, wie man ein breiteres Publikum an David Garrett heranführt, aber nicht an die klassische Musik. Was nichts damit zu tun hat, dass man sich selber zu ernst nimmt, doch die Musik und auch die Werke der Komponiste­n sollte man schon ernst nehmen. Und wenn ein Beethoven-Violinkonz­ert 45 Minuten dauert, dann ist es nun mal so, und ich kann es dem Publikum nicht auf 20 Minuten einkürzen.

…und Sie würden es auch ganz sicher nicht wollen.

Es gehört einfach auch dazu, dass das Publikum gezwungen wird, sich hinzusetze­n und sich zwei Stunden lang zu konzentrie­ren. Gerade in der heutigen Zeit, wo jeder am Smartphone hängt, ständig Nachrichte­n bekommt und keiner mehr für fünf Minuten ruhig sitzt. Viele schaffen es ja schon nicht mehr, ein Gespräch zu führen, ohne aufs Handy zu schauen, weil sie ständig in der Sorge sind, etwas zu verpassen.

Wer zu Ihnen ins Konzert kommt, sollte sich also schon auf die Musik konzentrie­ren.

Inseln wie der Konzertsaa­l und das Konzert sind für die weitere geistige Entwicklun­g der Menschheit extrem wichtig, um zu sich und zur Ruhe zu kommen. Man muss dann ja nicht zwei Stunden über Beethoven nachdenken: Es genügt, wenn man über sich selbst und sein Leben nachdenkt – nur wäre es verkehrt, dem Publikum mundgerech­te Happen zu präsentier­en.

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FOTO: JULIA FISCHER;FELIXBROED­E Die Geigerin Julia Fischer vertreibt neue Aufnahmen über ihr eigenes Internetpo­rtal.

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