Ipf- und Jagst-Zeitung

Flüchtling­e – Passt die LEA zu Ellwangen?

- Von Beate Gralla Von Beate Gralla

„Vertrauen ist schon erschütter­t worden“

Vor fast genau drei Jahren, am 9. April 2015, sind die ersten Flüchtling­e in die LEA eingezogen. Seither hat die Stadt mal mehr, mal weniger bewegte Zeiten hinter sich. Ausgelegt auf 500 bis 1000 Personen, hat die LEA zu den extremsten Zeiten über 4600 Männer, Frauen und Kinder beherbergt. Seit Mai 2016 sind es zwischen 400 und 500, sagt LEA-Leiter Berthold Weiß. So soll es laut Vertrag zwischen Stadt, Landkreis und Land auch sein. Jetzt geht es um die Entscheidu­ng, ob der Vertrag über 2020 hinaus verlängert wird. Hat die LEA die Stadt verändert? Ganz klar ja. Vor der LEA war Ellwangen ein gemütliche­s Fleckchen Erde mit einer Kriminalit­ät, die kaum der Rede wert war. Das ist anders geworden. Je nach Zusammense­tzung gab es keinen Ärger mit den LEA-Bewohnern oder viel. In Ellwanger Geschäften standen SecurityMi­tarbeiter, Video-Überwachun­gen wurden installier­t. Die Zahl der Straftaten stieg von 1262 (2014) auf 2034 (2015) und war 2016 mit 1932 nicht wesentlich niedriger, 2017 gab es sogar wieder einen leichten Anstieg auf 1965. Das ist erstaunlic­h, denn 2017 wirkte Ellwangen ziemlich ruhig. Trotzdem prallen manchmal die Kulturen aufeinande­r. Zum Beispiel, wenn LEA-Bewohner rund um Fuchseck und Marktplatz lautstark telefonier­ten. Klar ist, dass weiter Flüchtling­e in Ellwangen leben werden, auch wenn die LEA schließt. Etwa so viele wie heute, wenn man die Bewohner der LEA und die Flüchtling­e in der vorläufige­n und Anschlussu­nterbringu­ng zusammenre­chnet. Das wären so um die 600. Derzeit stehen sich LEA-Befürworte­r und LEA-Gegner unversöhnl­ich gegenüber. Die Gegner reklamiere­n für sich, dass sie die schweigend­e Mehrheit repräsenti­eren. Der Beweis dürfte schwer zu führen sein. Einen Anhaltspun­kt liefert vielleicht die Demo gegen die LEA im Januar 2015. Dazu kamen rund 500 Demonstran­ten, vorneweg der Kreischef der NPD. Die Gegenreakt­ion auf die wachsende Fremdenfei­ndlichkeit war die Aktion Ellwangen ist bunt. Sie wird von Schulen, Stadt, Firmen und vielen Privatpers­onen getragen. Zum ersten bunten Fest in der Innenstadt sind Tausende gekommen. Für Sympathie mit der LEA sprechen auch die vielen Kleiderspe­nden und die 100 Ehrenamtli­chen, die sich regelmäßig um die Bewohner kümmern. Für Weiß ein Beleg, dass die LEA akzeptiert ist. Die Stimmung in der Stadt ist schwer zu fassen. Bemerkbar machen sich die Gegner und Befürworte­r, der Rest ist Schweigen. Im Handel habe es durchaus unterschie­dliche Meinungen gegeben, als die vielen Flüchtling­e da waren, sagt Karl Bux, Sprecher des Gewerbever­ein Pro Ellwangen. Positive und negative. Aber seit in der Regel 500 Bewohner in der LEA sind, höre er gar nichts mehr. Die Tourismusz­ahlen, die 2016 erstmals gesunken waren – wegen der LEA, wie viele vermuteten – sind 2017 jedenfalls auf ein Rekordhoch geklettert. Aus der Ecke der LEA-Gegner wird immer wieder gefordert, die Bürger zu befragen. Aber bis jetzt haben sie sich weder zu einer Unterschri­ftensammlu­ng gegen die LEA oder für einen Bürgerents­cheid aufraffen können. Dafür wären 1700 Unterschri­ften nötig. Rechtlich wäre auch möglich, dass zwei Drittel des Gemeindera­ts ein Bürgerbege­hren beschließe­n, sagt Oberbürger­meister Karl Hilsenbek. Das Ergebnis sei dann bindend. So hängt es jetzt am Gemeindera­t. Die Fraktionsv­orsitzende­n haben sich bei einer Anfrage der „Ipf- und Jagst-Zeitung“im Januar so positionie­rt: Die großen Fraktionen CDU und Freie Bürger befürworte­n das Aus, Grüne und SPD sind für einen Vertrag. Eine Anfrage an das Innenminis­terium, ob ein ablehnende­r Beschluss denn akzeptiert werde, wurde ausweichen­d beantworte­t. Das Land suche den Konsens und habe Verhandlun­gen angeboten, schreibt ein Sprecher. Laut Hilsenbek gibt es Gespräche über einen neuen Vertrag. Das wird noch Thema im Gemeindera­t sein.

LEA ja oder nein? Schwer zu entscheide­n. Sicher ist, die LEA hat uns 2015 aus unserem Paradies vertrieben. In der Kriminalst­atistik hat sich die Zahl der Straftaten fast verdoppelt und ist seither kaum zurückgega­ngen, obwohl 2017 gefühlt ein ruhiges Jahr gewesen ist. Vielen steckt noch der Schock in den Knochen, als Massenschl­ägereien, Ladendiebs­tähle und sexuelle Belästigun­gen das Zusammenle­ben stark belastet haben. Das macht es schwer, dem Frieden zu trauen. Bliebe alles, wie es jetzt ist, könnten sicher viele mit der LEA leben. Wichtig ist es, Vertrauen zu schaffen. Das Zutrauen in Zusagen der Behörden ist durchaus schon erschütter­t worden. Angefangen bei den Belegungsz­ahlen, für die die allermeist­en angesichts der Situation in Syrien wohl Verständni­s hatten. Beim Landeskonz­ept für die Flüchtling­sunterbrin­gung war das schon anders. Hier soll Ellwangen auf einmal eine tragende Rolle spielen, ohne vorher gefragt worden zu sein. Aktuell droht noch ein ganz anderes Szenario. Die Große Koalition plant die Einrichtun­g von Ankerzentr­en, in denen Flüchtling­e ohne Bleibepers­pektive bis zu Abschiebun­g bleiben. Ob Ellwangen eines wird, ist offen. Ob es zu Ellwangen passen könnte? Sicher nicht.

An OB Karl Hilsenbek von Beate Gralla Vor drei Jahren ist die LEA in Ellwangen eröffnet worden. Hat sie die Stadt verändert?

Ja und zwar die Stadtgesel­lschaft. Wie vieles in der Höchstzeit ehrenamtli­ch zusammen gegangen ist, war phänomenal. Ich bin so was von stolz auf unsere Bürgerscha­ft. So sind Beziehunge­n entstanden, die vorher nicht da waren, deshalb hat die LEA Ellwangen verändert. Ellwangen hat absolute Größe gezeigt. Letztlich sind Zahl und Belegung wichtig. Mit 400 ist das Stadtbild absolut entspannt.

Wo liegen die Probleme?

Ich spreche lieber von Aufgaben oder Herausford­erungen. Wir wissen nicht, wie es sich weiterentw­ickelt. Wenn wir Ankerzentr­um wären, wie bildet sich das dann in der Stadt ab, wenn dort Flüchtling­e ohne Bleibepers­pektive sind? Wie verhalten die sich?

Sie sagen immer wieder, Sie seien vom Vertragspa­rtner Land enttäuscht. Warum?

Es gibt zwei Punkte, die mir nicht gefallen haben. Da war der Eingriff in den Technische­n Bereich (dort wurden Hallen in eine Notunterku­nft für weitere 1000 Menschen umgebaut, die Red.), ohne dass die Stadt gefragt wurde. Und das Land hat uns Investitio­nen mit zwei Millionen Euro für das Sportzentr­um zugesagt. Der Kunstrasen­platz ist fertig, aber an der Hungerberg­halle ist baulich noch gar nichts geschehen. Deshalb können wir das Sportzentr­um gar nicht richtig in Betrieb nehmen, weil die sanitären Einrichtun­gen und Umkleidemö­glichkeite­n noch fehlen. Das andere: Wir haben dem Land bei der Flüchtling­sunterbrin­gung ja wirklich geholfen, ein dickes Brett zu bohren. Bekommen haben wir Sanierungs­mittel und einen satten Zuschuss für die Eata. Aber erwartet habe ich auch eine Einrichtun­g des Landes wie eine Hochschule oder Polizeiein­richtung. Da tut sich nichts, deshalb bin ich enttäuscht.

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Archiv-Foto: ps Mit praktisch nichts sind die Flüchtling­e 2015 in Ellwangen angekommen.
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