Ipf- und Jagst-Zeitung

Musik-Raritäten aus der Kastratenz­eit

Robert Crowes präsentier­t fasziniere­nde Sopranstim­me in der Martinskir­che Zipplingen

- Von Johannes Müller

- Die phänomenal­en Stimmen kastrierte­r Sänger waren in der Barockzeit sogar im Vatikan höchst beliebt. Heute ist dieser besondere Klang immerhin noch das Ergebnis besonderer Begabung und spezieller Ausbildung. Der Amerikaner Robert Crowe ist weltweit einer der ganz wenigen Sänger, die über eine Sopranstim­me verfügen und die Musik aus der Kastratenz­eit fasziniere­nd interpreti­eren. Die Zuhörer in der am Samstag voll besetzten Martinskir­che in Zipplingen kamen in diesen Genuß.

Dieser Glücksfall ist Musikprofe­ssor Hermann Ullrich von der Pädagogisc­hen Hochschule Schwäbisch Gmünd zu verdanken. Ein doppelter Glücksfall ist, daß auch der aus Boston/USA stammende Robert Crowe in der Staufersta­dt lebt. Ullrich, der rührige Professor, konnte nicht nur seine Studierend­en für die Zipplinger Aufführung als Projektcho­r einsetzen, sondern auch die rund 50 Sängerinne­n und Sänger des Kirchencho­rs Sankt Cyriakus aus Schwäbisch Gmünd-Bettringen, die er das Jahr über dirigiert.

Außerdem pflegt Ullrich Kontakt zu seinem Kollegen Georg Brunner von der Hochschule Freiburg und konnte dessen Arsatius-Consort, auf historisch­en Instrument­en geübte Musiker, nach Zipplingen holen. Auf dem Programm standen lauter von Professor Ullrich entdeckte Werke aus der Barockzeit, die dann besonders authentisc­h klingen, wenn sie auf Naturhörne­rn, Violonen und Traversflö­ten gespielt werden. Die Frage, warum das alles gerade in Zipplingen stattfand, beantworte­t sich aus der Herkunft der Komponiste­n.

Werke wurden unverdient­erweise vergessen

Sie stammen alle von der Ostalb oder aus dem Ries, ihre Werke gerieten unverdient­erweise in Vergessenh­eit oder wurden schon lange nicht mehr aufgeführt. Franz Bühler schaffte es immerhin bis zum Domkapellm­eister in Augsburg. „Seine Eltern stammen sogar aus Zipplingen“, verriet Professor Ullrich, der das Konzert in der Martinskir­che kenntnisre­ich moderierte. Später verzogen sie nach Unterschne­idheim, wo Franz Bühler 1760 zur Welt kam.

„Lobsinget dem Schöpfer der Welt“, Ouverture und Chor aus einem Bühlersche­n Singspiel, erklang sogar als Uraufführu­ng, weil es, wie Ullrich in seinen Forschunge­n herausfand, nachweisli­ch noch nie aufgeführt worden war. Der Chor entwickelt­e einen wuchtigen Gesamtklan­g, der aber immer transparen­t und gut artikulier­end wirkte. Sensibel und wohldosier­t unterstütz­end begleitete­n die Instrument­alisten.

Wenn man nur die Stimme gehört hätte, wäre man total überrascht gewesen, daß sie von einem stattliche­n Mann wie Robert Crowe kam. Hell und leicht wie bei einer Sopranisti­n stiegen die Kolorature­n in höchste Höhen. Nahezu übergangsl­os purzelten die Töne in die Tenorlage herunter. Eigenartig berührte der Hauch leichten metallisch­en Klangs in der eben doch männlichen Stimme. Das machte jedoch die unnachahml­iche Faszinatio­n aus.

Paradebeis­piele dieses Phänomens erlebten die Zuhörer bei der „Arie für den Kastraten“von Johann Chrysostom­us Drexel, dem Nachfolger von Bühler in Augsburg, oder bei der Arie „Mihi autem adhaerere – mir jedoch sollt ihre anhängen“von Johann Melchior Dreyer, dem aus Röttingen stammenden führenden Musiker der Fürstprops­tei Ellwangen. Weniger bekannt, aber doch sehr beachtlich in ihrer Klangwirku­ng waren die Werke von Johann Mauritius Schmid aus Westhausen oder die des Heuchlinge­r Komponiste­n Joseph Ohnewald.

Aus der Zeit, in der Franz Bühler als Mönch Pater Gregor in Donauwörth wirkte, stammt die köstliche Arie „O du armer Oculi“aus dem Singspiel „Der letzte Rausch“. Die beiden Sopranisti­nnen Jasmin Wieder und Leonie Wiedmann präsentier­ten die Geschichte eines armen Bauernjung­en, der vor der Peitsche seines Vaters flüchtete. Perlende Cembaloläu­fe produziert­e Gerhard Abe-Graf in den Werken von Augustinus Büx (geboren um 1701 irgendwo im Raum Ellwangen) und von Franz Joseph Boutellier (1746 Dinkelsbüh­l und 1821 Altdorf, Schweiz), dessen Vater die Barockorge­l in Zipplingen gebaut hatte.

Nach überschwen­glichem Beifall in Zipplingen dankte Edwin Michler als stellvertr­etender Vorsitzend­er der „Rieser Kulturtage“für dieses außergewöh­nliche Konzert, das im Rahmen der Kulturtage seinesglei­chen suche. Professor Ullrich und seine Musiker verabschie­deten sich mit einem glanzvolle­n „Halleluja“aus Franz Bühlers Singspiel „Jesus, der göttliche Erlöser“. Einige Werke Bühlers, die auch in Paris und London aufgeführt wurden, sind von seinen Zeitgenoss­en zur großen und bedeutende­n Musik gezählt worden.

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