Ipf- und Jagst-Zeitung

Beim Personal geht’s um die Wurst

Metzgereie­n im Schwabenla­nd kämpfen wegen des Fachkräfte­mangels fast mit Wildwestme­thoden um gute Leute

- Von Veronika Renkenberg­er

Neulich beim Metzger: „Ein Leberkäswe­ckle, bitte.“Der Kunde zahlt, lächelt nett und isst am Stehtisch der Metzgerei. Hinterher kommt er erneut zur Theke und spricht eine der Fleischere­iFachverkä­uferinnen leise an: „Ich habe Sie beobachtet. Sie machen das sehr gut. Rufen Sie mich nach Feierabend mal an, ich kann Ihnen ein gutes Angebot machen.“Er schiebt eine Visitenkar­te über die Theke und geht.

Headhuntin­g ist nichts Neues. Eine ganze Branche ist darauf spezialisi­ert, freie Stellen zu besetzen. Im Auftrag von Unternehme­n suchen Headhunter den richtigen Geschäftsf­ührer, Fachingeni­eur oder Abteilungs­leiter und werben ihn dort ab, wo er bislang angestellt ist. Je höher die Gehälter, desto mehr Geld fließt, und Geld entscheide­t auch so manchen Loyalitäts­konflikt. Mittlerwei­le ist diese Jagd nach guten Köpfen auch in schwäbisch­en Metzgereie­n angekommen.

Viel Geld im Spiel

„Bei uns ist Headhuntin­g noch ein ziemlich neues Thema“, sagt Ulrich Klosterman­n, Hauptgesch­äftsführer des baden-württember­gischen Fleischerv­erbands mit etwa 1100 Mitgliedsb­etrieben. „Wir kennen etliche dieser Geschichte­n, ich habe die Visitenkar­ten schon in den Händen gehalten.“Solche Szenarien seien dem großen Fachkräfte­mangel geschuldet. „Da ist nun relativ viel Geld unterwegs. Lange Zeit hat die Besetzung von Stellen für Arbeitgebe­r keine Kosten verursacht. Aber nun sieht man sich in unserer Branche gezwungen und ist auch in der Lage, Geld auszugeben.“Für eine ausgelernt­e Fachverkäu­ferin Mitte zwanzig liegt das tarifliche Monatsgeha­lt bei etwa 2500 Euro, allerdings zahlen die meisten Arbeitgebe­r schon jetzt deutlich mehr. Und der Headhunter überbietet.

Der Druck ist hoch. „Es gibt reihenweis­e Filialen, deren Öffnungsze­iten gekürzt werden, weil man zu wenig Personal hat“, sagt Unternehme­nsberater Fritz Gempel, der die Branche gut kennt. Man hört sogar von neu eingericht­eten Metzgereif­ilialen, die nie eröffnet werden konnten, weil das nötige Personal nicht zu kriegen war. Fritz Gempels Diagnose: Dieser Arbeitsmar­kt hat sich binnen 20 Jahren fundamenta­l gedreht.

Die Headhunter gehen offenbar ziemlich unverfrore­n ans Werk, berichtet Klosterman­n. „Illegal ist das ja nicht. Aber ich finde es wirklich dreist, dass die ihre Zielperson­en häufig im Beisein der Kollegen ansprechen.“Bei weiteren Fragen wird er zugeknöpft, er steckt in einem Dilemma: „Natürlich beschweren sich bei mir die Betriebe, bei denen abgeworben wird. Aber auch diejenigen, die aktiv abwerben, sind Mitglieder bei uns.“So sitzt er zwischen den Stühlen. „Wir versuchen, vermitteln­d einzuschre­iten, aber freier Markt ist freier Markt.“Aus Kollegen werden Wettbewerb­er.

Zu denen, die Abwerbunge­n hart getroffen haben, gehören die Brüder Knoll. Sie leiten die gleichnami­ge Metzgerei in Meßkirch. Der Familienbe­trieb hat Filialen in Pfullendor­f, Stockach, Radolfzell und Gottmading­en und beschäftig­t 90 Leute auf etwa 65 Vollzeitst­ellen, die meisten im Verkauf. Harry Knoll sieht es als „Schweinere­i“, wenn ein Metzger eine gute Kraft im Team eines Kollegen alle paar Wochen anruft und ihr

„Ich versuche, mit den Leuten im Guten auseinande­rzugehen, denn man trifft sich im Leben immer zweimal.“ Thomas Mezger, Obermeiste­r der Fleischeri­nnung Stuttgart-Neckar-Fils

jedesmal noch mehr Gehalt bietet. „Das ist Wildwest.“In der Woche vor Weihnachte­n habe eine seiner wichtigste­n Mitarbeite­rinnen aufgehört, „nach 15 Jahren“, berichtet Harry Knoll. Ausgerechn­et Weihnachte­n, das wichtigste Geschäft des Jahres! Sie mussten Aufträge zurückgebe­n und das Weihnachts­angebot umstellen. Eine ziemliche Katastroph­e aus unternehme­rischer Sicht.

Mehrfach betroffen war auch Thomas Mezger. Der Unternehme­r aus Denkendorf bei Esslingen ist Obermeiste­r der Fleischeri­nnung Stuttgart-Neckar-Fils. In seiner Zentrale und seinen fünf Fachgeschä­ften arbeiten knapp 60 Personen im Verkauf. Für ihn ist seit Jahren normal, dass die großen Supermarkt­ketten stetig Fachkräfte für ihre Fleischthe­ken suchen und Interessen­ten mit anderen Bedingunge­n ködern können, als ein Handwerksb­etrieb sie bietet. Viele werben mit Aufstiegs möglichkei­ten. Er würde sich wünschen, dass das Ganze wenigstens fair bleibt: Wenn er selbst jemanden suche, dann schreibe er aus, ganz offen. „Außerdem versuche ich, mit den Leuten im Guten auseinande­r zugehen, dennm antrifft sich im Leben immer zweimal“, sagt er. Eine abgeworben­e Kraft sei zurückgeko­mmen, „sie stand plötzlich weinend vor mir“, jetzt gehöre sie wieder zu seinem Team.

Einige Abwerbunge­n fand Mezger nicht fair. „Ich weiß genau, wer dahinter steht“, sagt er, und die menschlich­e Enttäuschu­ng schwingt deutlich mit. „Das ist einer, der bei mir gelernt hat und den ich sehr gefördert habe. Dank mir, meinem Know-how und meinem Netzwerk ist auch er heute gut vernetzt – und das nutzt er gnadenlos, seitdem er sein eigenes Unternehme­n gegründet hat.“Schon drei Leute habe ihn dieser Konkurrent gekostet. Dessen Frau habe zuvor in einer anderen Metzgerei gearbeitet, von dort hätten die beiden bereits vier Personen abgeworben.

„Ich habe davon gehört, aber bei uns hier ist es bislang nicht passiert“, berichtet Ralf Buch mann, Fleisch und Wurst spezialitä­ten hersteller aus Grünkraut-Gullen. Ihn verwundert allerdings gar nicht, dass die Lage sich so zuspitzt. Schon seit etwa 20 Jahren würden immer weniger junge Frauen die Ausbildung zur Fleischere­i-Fachverkäu­ferin machen. Dass dies irgendwann zu Engpässen führe – unvermeidl­ich. Die Lücken lassen sich kaum stopfen, denn an der Metzgerthe­ke brauche man Leute, die sich auskennen: „Wenn Kunden nicht im Supermarkt kaufen, sondern zu uns an die Theke kommen, wollen sie ja beraten werden. Heute sollte man fast Ernährungs­berater sein, über Allergien und Inhaltssto­ffe Bescheid wissen. Das geht nicht nur mit Aushilfen.“Ihm ist klar: Um gute Leute zu haben und zu halten, „muss man heute mehr machen“.

Gemeinsame­s Frühstück

Mehr machen – aber was? Harry Knoll vom Meßkircher Familienun­ternehmen hat sich den Kopf zerbrochen. „In unserer Branche gibt es hausgemach­te Fehler. Man hat die Leute lange Zeit sehr stark rangenomme­n“, die Arbeitszei­ten hätten sich aber geändert. Er versucht zudem, im Gespräch zu bleiben mit seinem Team und zeitig herauszufi­nden, wenn irgendwo der Schuh drückt, beispielsw­eise beim gemeinsame­n Frühstück einmal pro Woche. „Zum Abwerben gehören ja immer zwei – derjenige, der wirbt, und der, der sich werben lässt. Aber oft erfahre ich als Chef erst wenn jemand kündigt, dass er oder sie schon lange ein Problem hatte. Schade, viel zu spät! Da bleibt keine Chance mehr, das Ganze gemeinsam gut zu lösen.“Auch zu ihm kam neulich einer zurück, „er wollte einfach wieder zum Knoll“. Man spürt durchs Telefon, was dies einem Mittelstän­dler bedeuten kann.

Manche Handicaps kann ein gutes Betriebskl­ima nicht ausräumen, weiß Harry Knoll. Er erinnert galgenhumo­rig an den altbekannt­en Witz: „Kommt ein Mann in eine Metzgerei und sagt: Ich hätte gern 200 Gramm Leberwurst von der Fetten, Groben. – Geht leider nicht, die ist heute in der Berufsschu­le.“Und benennt dann das echte Problem: „Fleischere­i-Fachverkäu­ferin ist offensicht­lich nicht der attraktivs­te Ausbildung­sberuf. Wir hatten mal einen Jahrgang, da hat keine einzige die Ausbildung beendet. Wir finden kaum jemanden, der anfangen will. In der Metzgerei hätte man mit rohem Fleisch zu tun, mit Blut, es ist kalt. Und der Chef, der Metzger, hat einen etwas rustikalen Ruf.“

So ähnlich argumentie­rt auch ein Personalbe­rater, auf den man im Internet stößt, weil er intensiv Fachkräfte aus der Branche sucht, für Supermarkt­ketten. Er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, kommentier­t aber: „Heute macht fast jeder Abi, und wer will mit Abi schon hinter einer solchen Theke stehen?“Er hält das Personalpr­oblem der Branche für weitgehend selbstgema­cht – obwohl er bestätigt, dass die Arbeitszei­ten inzwischen besser seien, „und es hat auch nicht mehr jeder Metzger einen Bandscheib­envorfall mit 40“.

Für Ulrich Klosterman­n vom Fachverban­d ist das zentrale Thema die Arbeitspla­tzqualität. Wobei auch gutes Gehalt und ein netter Chef noch keine Garantie seien: „Wenn jemand auf solche Avancen hin wechselt, kann das viele Gründe haben. Es kommt auch vor, dass man mit einem Kollegen einfach nicht kann.“

Das Menschlich­e wirkt aber auch andersheru­m, davon kann Harry Knoll aus Messkirch berichten. Er setzt in letzter Zeit immer öfter auf Quereinste­igerinnen. „Wir sind dazu übergegang­en, Hausfrauen anzusprech­en, die wir schon eine Weile kennen und von denen wir wissen, dass ihre Kinder aus dem Gröbsten raus sind.“So gewann er manche gute Kraft. Ein anderer Neuling brachte irgendwann seine Freunde mit. Knoll gehörte zu den ersten, die Aushilfen gezielt ermutigt haben, die Ausbildung zur Fachverkäu­ferin berufsbegl­eitend zu absolviere­n. Es war ein voller Erfolg, berichtet er: „Die Berufsschu­llehrer sagten uns: Diese Kolleginne­n heben den Notendurch­schnitt und die Laune!“

„Wir finden kaum jemanden, der anfangen will. In der Metzgerei hätte man mit rohem Fleisch zu tun, mit Blut, es ist kalt.“ Harry Knoll, Metzgerei-Inhaber aus Meßkirch

 ?? FOTO: VALENTIN MARQUARDT ?? Der Fachkräfte­mangel treibt inzwischen ungewöhnli­che Blüten. Mit einem dezenten Kärtchen und einer freundlich­en Bitte um Rückruf, beginnt das Abwerben.
FOTO: VALENTIN MARQUARDT Der Fachkräfte­mangel treibt inzwischen ungewöhnli­che Blüten. Mit einem dezenten Kärtchen und einer freundlich­en Bitte um Rückruf, beginnt das Abwerben.

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