Ipf- und Jagst-Zeitung

Putzig: Wie wir saubermach­en, verrät viel über Lebensstil und Charakter.

Mehr als nur Saubermach­en – Wie, warum und womit wir putzen, erzählt viel darüber, wer wir sind

- Von Jenni Roth

Wenn ich erzähle, dass es als Kind mein größter Traum war, später mal Putzfrau zu werden, ziehen die Leute die Augenbraue­n hoch oder erklären mich direkt zum pathologis­chen Fall. Tatsächlic­h finde ich Putzen gar nicht schlimm. Ich mache den Abwasch bei Freunden, sauge, nachdem ich ein Croissant gegessen habe, und wechsle meinen Küchenschw­amm, bevor die aufgewisch­ten Quinoa-Samen darin Keimlinge treiben. Und wenn ich ratlos vor weißem Papier sitze, putze ich lieber erstmal. Allerdings mache ich es nur, wenn mir danach ist. Ich putze, wenn ich es nötig habe, und nicht, wenn die Wohnung es nötig hat. Und damit bin ich weit weg von pathologis­ch und nah dran am deutschen Durchschni­tt, bescheinig­t mir Stephan Grünewald. Er ist Psychologe und Mitbegründ­er des Marktforsc­hungsinsti­tuts Rheingold, das seit Jahren das Putzen als „ideales Verlagern“erforscht.

Zurzeit wischen und reinigen die Deutschen besonders viel wie Rheingold bei tiefenpsyc­hologische­n Untersuchu­ngen herausgefu­nden haben will. Das war in der Finanzkris­e schon so und ist es wieder in der Flüchtling­skrise: „Da dringt unkontroll­iert etwas ein, wir kompensier­en das mit dem Putzen, vernichten alles Fremde in unserer deutschen häuslichen Heimat“, interpreti­ert es Grünewald.

Der Schmutz selbst wird also zur Bedrohung, das hat auch die Reinigungs­mittelindu­strie verstanden. Sie rüstet die Kunden mit Sprühpisto­len aus, nach dem Motto: Aus der Distanz den Schmutz einsprühen, und er löst sich nahezu mühelos und schnell. „Man bewaffnet sich mit Pistolen gegen Bakterien, um das Böse im Haushalt zu vernichten, solange man gegen das Böse in der Welt nichts ausrichten kann“, sagt Grünewald. „Wir befinden uns im latenten Kriegszust­and.“

Hauptsache, es glänzt

Wenn das stimmt, dürfte Entspannun­g mit Blick auf Trump und Nordkorea auch nicht in Sicht sein. Dazu passt, dass die Konzentrat­ion in vielen Mitteln aggressive­r zu werden scheint. Putzen ohne Handschuhe ist nur noch was für Elefantenh­aut. Zwar müssen einige Mittel nach neuer Gesetzesla­ge verschärft­e Hinweise und neue Piktogramm­e auf ihrem Etikett tragen – bei gleichblei­bender Zusammense­tzung der Produkte. Trotzdem warnen manche Armaturenh­ersteller, dass die scharfen Mittel die Beschichtu­ngen zerstören. Und natürlich müssen selbst umweltvert­rägliche Reinigungs­mittel „angriffig“sein, um effizient zu sein, sie sollen ja den Schmutz lösen.

Aber Putzmarken unterschie­den sich weniger nach Sauberkeit­sleistung als nach einer bestimmten Putzdramat­urgie, wie Grünewald beobachtet hat. Für jedes Bedürfnis gibt es das passende Angebot. „Wenn in einer Beziehung nicht reiner Tisch gemacht wird oder jemand verärgert ist, verspricht „Der General“eine private Bodenoffen­sive im häuslichen Kleinkrieg. Ist die Schwiegerm­utter im Anmarsch „tut es auch ein Meister Proper.“Der sorgt für eine glänzende Oberfläche, aber nicht für porentiefe Reinheit. Wichtig ist, dass das Mittel sichtbar etwas bewirkt, das beobachtet man auch bei Henkel und bewirbt etwa WC Frisch, das blaue Spuren hinterläss­t. Man verlegt sich also auf Makeup für die Möbel. Hauptsache, es glänzt – auch wenn die Bakterien bleiben.

Glanz steht generation­sübergreif­end für die Sehnsucht der Menschen nach einem großbürger­lichen Lebensstil mit Silber und lackierten Holzmöbeln, heißt es im Buch „Putzen als Passion: Ein philosophi­scher Universalr­einiger für klare Verhältnis­se“der Philosophi­n Nicole Karaphylli­s. Die Lizenz zum Faulsein – gutes Gewissen inklusive – verspreche wiederum die Marke Frosch mit der Botschaft: Eine saubere Umwelt ist wichtiger als eine saubere Wohnung, es muss nicht tipptopp sein. Das Öko-Segment wächst und wächst, wie der Erfolg von Ecover zeigt oder die Bemühungen anderer Marken, mit umweltfreu­ndlichen Inhaltssto­ffen zu werben.

Neutralsei­fe und Wurzelbürs­te

Mein Putzschran­k hat nicht viel zu bieten. Eine Geschichte mit simplem Plot, und für die Reinigungs­industrie bin ich wohl ohnehin ein hoffnungsl­oser Fall: Essigreini­ger, Neutralsei­fe, Scheuermil­ch. Gallseife noch und, immerhin, ein Glasreinig­er. Dazu eine Wurzelbürs­te. Während andere ihre Schwammtüc­her nach Einmalgebr­auch wegwerfen, wandern meine erstmal in die Waschmasch­ine. Den Boden wische ich, indem ich mit einem Lappen aus alten Bettlaken durch die Wohnung robbe – und damit auch noch den Fortschrit­t zunichte mache, der uns immerhin aufrechtes Putzen per Wischmob ermöglicht. Immerhin bin ich mit meiner Strategie so nicht den Wellenbewe­gungen des Marktes ausgesetzt, die Grünewald beschreibt: Aufrüstbew­egungen („mit Atomspreng­köpfen auf den Flaschen, als direkt einsetzbar­e Distanzwaf­fe für totale Vernichtun­g“) überlappen sich demnach mit dem Prinzip Lavendel: haut- und materialsc­honende Mittel, die das Heim in eine natürliche Oase verwandeln. „In wirtschaft­lich schlechten Zeiten will man sich wohlfühlen, es sich zu Hause schön machen“, sagt auch FroschMark­etingleite­r Wolfgang Feiter.

Vor etwa zehn Jahren habe diese Phase eingesetzt, Frosch brachte damals Raumerfris­cher auf den Markt, dazu einen Weichspüle­r, der erste auf pflanzlich­er Basis, ohne Schlachtab­fälle. Man besprüht die Duschwand mit Himbeer-Entkalker, und der Duftflakon im Gästeklo macht die Rundum-Wellness perfekt. Duft- und Farbwelten dominieren neuerdings den Markt.

Aber der Geruch kann täuschen. Wenn es nach Zitrone riecht, denkt man: schön, sauber. Das ist kulturell geprägt, weil schon die Oma mit Zitronensä­ure putzte. In Südamerika verbindet man hingegen Chlor mit einem positiven Reinheitsg­efühl, also mischt man dort in alle Putzmittel etwas Chlor. Für uns riecht Chlor ätzend, bestenfall­s nach Schwimmbad, weshalb schon in den 1980er-Jahren „die deutsche Hausfrau mit Zitruskraf­t, die selbst harte Krusten schafft“wienerte, bis „strahlende­r Glanz wie am ersten Tag das traute Heim erfüllt.“

’’ Man bewaffnet sich mit Pistolen gegen Bakterien, um das Böse im Haushalt zu vernichten. Stephan Grünewald, Psychologe und Marktforsc­her über die Putz-Motivation

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FOTO: DPA Für das saubere Heim sind immer noch meist Frauen zuständig. Ob man eine Putzkraft engagiert oder selbst feudelt, ist dabei nicht nur eine Frage der Finanzen, sondern auch der inneren Einstellun­g.
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FOTO: CB Mit scharfen Waffen gegen den Dreck der Welt

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