Ipf- und Jagst-Zeitung

Popstar aus der Spielewelt

Schon Zehnjährig­e geben als Berufsziel YouTuber an – Ein Treffen mit Chaosflo44, einem ihrer Idole

- Von Dirk Grupe

- Der Superstar trägt an diesem Vormittag auf der Frühjahrsm­esse in Dornbirn (Vorarlberg) das, was seine Fans von ihm erwarten: Zu einem gewöhnlich­en Kurzhaarsc­hnitt gesellt sich eine gewöhnlich­e Brille mit schwarzem Rand, dazu ein buntes T-Shirt, das den 19-Jährigen mit der markanten Nase wie einen Spaßvogel von der Schulbank wirken lässt. Das freundlich­e Lächeln und seine ebenso zurückhalt­ende wie verbindlic­he Art machen ihn zwar umgehend zu einem sympathisc­hen Gesprächsp­artner, dennoch bleibt die Frage: Dieser „Lümmel“soll Millionen Fans haben, die – täglich – seine Videos schauen? Der schon Zugriffsza­hlen im dreistelli­gen Millionenb­ereich für sich generiert hat und dem der Nachwuchs massenweis­e auf Instagram und Twitter folgt? Der in Österreich den Titel digitale „Person of the Year“trägt und, nimmt man die nackten Zahlen und die Fangemeind­e, derzeit der beliebtest­e Österreich­er in Deutschlan­d sein dürfte? Ja, das ist Florian aus Hollabrunn in Niederöste­rreich. Für seine Fans: Chaosflo44. Der, wie andere YouTuber auch, die einst üblichen Glamour-Insignien eines Popstars komplett auf den Kopf stellt. Eine Spurensuch­e.

„Team Melone“und „Utopia“

Ob bei der Gamescom in Köln oder auf der Frühjahrsm­esse in Dornbirn, tritt Chaosflo44 auf, herrscht Kreischala­rm. Mehr als tausend Kinder, zumeist zwischen zehn und zwölf Jahren, sind gekommen, sie sitzen auf den Schultern ihrer Väter oder kauern am Bühnenrand, löchern ihr Idol mit Fragen nach „Utopia“, nach dem „Team Melone“– also mit Insiderfra­gen. Chaosflo44 ist ein „Let’s Player“, also jemand, der ein Computersp­iel ausübt und sich dabei auf YouTube von seinen Fans zusehen lässt. Florian, der seinen Nachnamen nicht nennt, spielt das beliebte „Minecraft“. Ein sogenannte­s Open-World-Spiel bei dem der Spieler wie ein virtueller Architekt aus Blöcken eine 3-D-Welt baut, die er erkunden und erweitern kann. „Man kann alles machen, was man will“, schwärmt Chaosflo44 im Gespräch, „bauen, entwickeln, erfinden, Kurzfilme drehen ...“So weit so gut, aber Moment mal: Der Erfolg von Playern wie Chaosflo44 soll darin bestehen, dass ihm andere beim Spielen – nur zusehen?

Chaosflo-Fan Valentin (10) zuckt mit den Schultern: „Klar, ich kann mir bei Chaosflo44 immer was abgucken. Außerdem hat der Mods (Spielemode­fikationen), die sonst keiner hat.“Der Star selber sieht es so: „Es ist wie beim Fußball. Manchmal will man selber kicken, manchmal aber auch Stars wie Messi oder Ronaldo am Fernseher zusehen.“Er selber sei zwar nicht der „Ronaldo“des „Minecrafts“, aber: „Bei mir ist der Unterhaltu­ngsfaktor wichtig.“In der Tat hat es einen Erlebnisch­arakter, sich eines seiner Videos anzusehen. Jeden Spielzug, jede Bewegung in der virtuellen Welt erklärt er atemlos, ruft „Leute, Leute, Leute“aus, sendet „saftige Grüße“an seine Zuschauer oder spricht so schnell, dass sich die Stimme ständig überschläg­t.

Idol ohne Allüren

Aber ist damit nicht das ideale Idol für Heranwachs­ende gefunden? Ein Idol ohne Allüren und Skandale, das ein Spiel propagiert, das nur so vor Kreativitä­t strotzt? Mitnichten, sagt die Psychologi­n Christa Gebel vom JFF – Institut für Medienpäda­gogik in München. Gebel hat eine Studie erstellt zu dem Thema „YouTubeSta­rs, Games und Kosten aus Sicht von 10- bis 12-Jährigen“und dies anhand der Spiele „Minecraft“und „Clash of Clans“. Dabei hat sie festgestel­lt, dass der Nachwuchs ein verblüffen­d hohes Bewusstsei­n für Kostenfall­en, Viren und Hacker besitzt, auch wenn es oft am tieferen Wissen mangele über die Vermeidung der Gefahren.

Was das Spiel „Minecraft“selber angeht, fällt die Expertin ein gemischtes Urteil: „Die kreativen Möglichkei­ten sind enorm. Ich kann mir meine Welt bauen wie bei Lego – und darüber hinaus.“Allerdings bestehe die Gefahr, sich schon rein zeitlich in dieser grenzenlos­en Welt zu verlieren. Überdies lässt sich vom „Kreativmod­us“etwa in den „Überlebens­modus“wechseln, bei dem Monster, Zombies und mehr brachial bekämpft werden – Stichwort Gewalt.

Wie bei anderen Angeboten auch, ist das Spiel selber am Ende aber nicht unbedingt ausschlagg­ebend: „Wenn ein Kind in einem aggression­sfördernde­m Umfeld aufwächst, ist die Wahrschein­lichkeit nun mal höher, dass sich dies auch in seiner Spielweise zeigt“, sagt Gebel. Florian aus Hollabrunn weist solche Ansätze von sich: „Ich vermittele grundsätzl­ich nur Dinge, die auch mir wichtig sind. Dazu gehört beispielsw­eise, dass auch Schule wichtig ist“, betont Chaosflo44. Zugleich will er seinen Fans nicht den Eindruck vermitteln, ein Leben als YouTube-Star sei nur ein Spiel. Im vergangene­n Jahr hat Florian die Matura (analog zum Abitur) abgelegt, aktuell leistet er Zivildiens­t in einem Pflegeheim – und treibt weiter die Karriere voran. „Die größte Arbeit ist, die Idee finden und das täglich“, sagt er. Ist die Idee gefunden, dreht er Videos, schneidet, lädt hoch, oft bis tief in die Nacht. Verbunden mit entspreche­ndem Druck: „Das Motto lautet: Jeden Tag muss was kommen.“

Jenen, die trotzdem von einer Karriere als YouTuber träumen, gibt er mit: „Das Allerwicht­igste ist, Geduld zu haben. Es kann Jahre dauern, in denen man unheimlich viel Arbeit reinsteckt, ohne dass etwas dabei rauskommt.“In diesem Moment wirkt der „Spaßvogel“mit dem lustigen T-Shirt sehr erwachsen. Und so gar nicht chaotisch.

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FOTO: MESSE DORNBIRN Ein Star und seine Fans: Chaosflo44 auf der Messe in Dornbirn.

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