Ipf- und Jagst-Zeitung

Zum Zuhören im Süden

Bei der Zuhör-Tour von CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r meinen viele, der künftigen Kanzlerin begegnet zu sein

- Von Erich Nyffenegge­r

Niederschm­etternd die Niederlage für die CDU bei der Bundestags­wahl im September, verstört vor allem der Kreisverba­nd Konstanz, der daraufhin den Antrag auf ein neues Grundsatzp­rogramm der Partei stellte: Dafür will CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r bis 2021 rund 40 Ortsverein­e besuchen, um mit der Basis über die Neufassung des CDU-Programms zu sprechen. Den Auftakt machte sie am Freitag (Foto: Christian Flemming) – bei den verunsiche­rten Parteimitg­liedern in Konstanz.

- Eigentlich ist die Veranstalt­ung da fast schon zu Ende – die meisten Butterbrez­eln sind gekaut, die Kellner stellen schon mal das Bier bereit für den gemütliche­n Teil – als dann doch noch so ein Satz fällt. So einer, der endlich tiefer blicken lässt als die tausend Sätze zuvor, die meistens im Ungefähren geblieben waren: „ … damit wir als CDU und Volksparte­i auch bei der nächsten Wahl wieder die Mehrheit haben und die Regierungs­chefin stellen“, sagt CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r im unteren Saal des Konzils in Konstanz.

Wen kann sie mit „Regierungs­chefin“meinen? Angela Merkel? Von den rund 250 Menschen, im wesentlich­en CDU-Mitglieder oder zumindest Sympathisa­nten, werden diese Worte ohne besondere Reaktion aufgenomme­n. Denn für die meisten der Zuhörer ist nach annähernd zweieinhal­b Stunden sowieso klar, dass sich da vorne auf der improvisie­rten Bühne unter historisch­em Gebälk nicht nur eine Generalsek­retärin bei der Basis des CDU-Kreisverba­nds Konstanz vorstellt, sondern die neue künftige Frau Bundeskanz­lerin.

Aber zurück zum Anfang des Abends, im Foyer: „Nein, da haben wir keines“, sagt die freundlich­e Dame am Einlass, als sie gefragt wird, ob es ein Programm gibt. „Deswegen sind wir ja da“, witzelt ein älterer Herr. Während die Frau am Empfang aber den Abend mit Frau KrampKarre­nbauer meint, spricht das CDU-Mitglied vom Grundsatzp­rogramm, das unter anderem in so gerammelt vollen Sälen wie hier in Konstanz entstehen soll. An der Basis. Genau dort, wo die, die sich unten wähnen, von denen, die sie für „die da oben“halten, oft genug außer Hörweite sind und sich also im Stich gelassen fühlen. Politisch, programmat­isch und überhaupt. Die neue CDU-Generalsek­retärin will das mit ihrer Zuhör-Tour ändern. Auch um das Gefühl zu heilen, unten am Bodensee nicht nur geographis­ch besonders weit weg zu sein vom Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.

Konstanzer Initialzün­dung

Die Initialzün­dung der Zuhör-Tour geht ohnehin vom Kreisverba­nd Konstanz aus. Von dort stammt nach dem für viele Mitglieder schockiere­nden Bundestags­wahlergebn­is der Antrag auf eine Neufassung des CDU-Grundsatzp­rogramms. Walter Keller und seine Partnerin Chris Wind aus Konstanz haben sich im Saal an einem Stehtisch postiert, nippen am Kaffee und essen Salzbrezel­n. „Ich war mal früher Mitglied“, sagt Keller. Doch mit seiner Pensionier­ung habe er sein Engagement in vielen Bereichen eingestell­t. Was er von Kramp-Karrenbaue­r halten soll, weiß er kurz vor 18 Uhr und damit wenige Minuten vor Beginn des offizielle­n Teils noch nicht. Chris Wind findet sie immer „nett und sympathisc­h“. Dann fährt Walter Keller dazwischen und murrt: „Das mit der Groko ist ein Trauerspie­l!“Und: „Der Bundestag gehört halbiert!“Es gibt also viel zu tun für die CDU-Generalsek­retärin, deren Ankunft sich durch entfernter­es Klatschen im Foyer bereits ankündigt.

Als politisch noch weitgehend unbeleckt, stellen sich die Konstanzer Schülerinn­en Johanna und Julia heraus, die unter all den Parteigäng­ern in vorwiegend vorangesch­rittenem Alter mit ihren 16 und 17 Jahren ein wenig kükenhaft verloren aussehen. Johanna sagt: „Ich bin seit Kurzem bei der jungen Union und von der CDU geprägt.“Julia gibt an, politisch interessie­rt zu sein, aber es komme ihr nicht in den Sinn, eine der großen Parteien zu wählen. Man wolle den Abend abwarten und sehen, ob sich das vielleicht noch ändere. Und ob sich die Frage in den nächsten Stunden klären lasse, ob Kramp-Karrenbaue­r Kanzlerin kann.

Echte Diskussion­en erwünscht

Dann ist es 18 Uhr. Und pünktlich wie es der Badener gern hat, ist sie da: Kramp-Karrenbaue­r, flankiert vom Bundestags­abgeordnet­en Andreas Jung (CDU), der ein wenig zu laut in Gelächter über etwas ausbricht, was Kramp-Karrenbaue­r gesagt hat, während die beiden sich den Weg zur Bühne bahnen. Kramp-Karrenbaue­r trägt eine dunkelblau­e Hose und eine graue Strickjack­e. Verglichen mit ihr sind die meistern Vertreter des Kreisverba­nds feierlich herausgepu­tzt. Kreisvorsi­tzender Willi Streit zeigt sich in seiner Begrüßung entzückt, dass die Politikeri­n ihre mehr als 40 Stationen umfassende ZuhörTour in Konstanz beginnt.

Kramp-Karrenbaue­r wirkt weder aufgeregt noch nervös, als sie den eingeschla­genen Weg zum neuen Grundsatzp­rogramm der CDU erklärt. Echte Diskussion­en mit den Menschen vor Ort – das sei der Stoff, aus dem das Grundsatzp­rogramm gemacht werde. „Sie kritisiere­n und wir sagen Ihnen, warum Sie nicht recht haben – so wird das sicher nicht sein“, verspricht sie unter spontanem Applaus der Konstanzer. 2018 steht im Zeichen des Zuhörens, das kommende Jahr hat den Schwerpunk­t öffentlich­er Diskussion­en und 2020 schließlic­h soll der Parteitag das so entwickelt­e neue Grundsatzp­rogramm beschließe­n.

Rentenfrag­en und Steuersenk­ung

Hier und jetzt ist in Konstanz aber erst einmal Zuhören angesagt. Und das geht so: Menschen aus den Reihen des Publikums haben zuvor Karten mit ihren Anliegen ausgefüllt. Parteiassi­stenten haben diese Karten thematisch geordnet – und in der Fragerunde werden sie blockweise behandelt. Überraschu­ng gleich zu Anfang, als es bei der Wortmeldun­g eines Herren sofort nach SPD riecht, denn: „Was halten Sie von dem System in der Schweiz, wo alle in die Rentenkass­e einzahlen müssen?“Im Prinzip die Frage nach einer Bürgervers­icherung. Doch da lässt sich Annegret Kramp-Karrenbaue­r nicht festnageln, schließlic­h ist sie auf Zuhör-Tour. Sie nimmt zur Kenntnis, notiert etwas. Betont kurz den Unterschie­d der Systeme. Immer wieder verwendet sie das Füllwort „sozusagen“, wie es Merkel ebenfalls oft benutzt.

Auch die nächste Wortmeldun­g klingt nicht nach dem Markenkern der CDU, sondern der FDP, als die Forderung laut wird, „endlich mehr Netto vom Brutto“zu haben. Wieder ist von der Schweiz die Rede, deren Abgabenquo­te mit 24 Prozent nur halb so groß sei wie jene in Deutschlan­d. Kramp-Karrenbaue­r antwortet wieder mit einer Frage, nämlich ob es den Mitglieder­n bewusst sei, dass niedrigere Abgaben auch weniger staatliche Leistung bedeute. „Wir müssen uns überlegen, was wir wollen.“Beides – starker Staat und wenig Beiträge – passe nicht gut zusammen.

Zentrale Sorgen

Im Verlauf der nächsten Stunde klingt aus dem Publikum eine Art Hitparade dessen, was Politiker in ihren Reden oft als „die Sorgen der Menschen“bezeichnen. Wie soll das gehen mit der Zuwanderun­g? Wo sollen die Leute herkommen, um den ausgetrock­neten Arbeitsmar­kt wieder zu stabilisie­ren? Wo sollen wir in Zukunft wohnen, wenn sich kein normaler Mensch mehr die Miete leisten kann? Was wird aus dem Bildungssy­stem, das wieder einmal besonders schwach dastehe? Sind wir nicht viel zu tolerant gegenüber dem Islam, der aus Sicht vieler CDU-Mitglieder nicht zu Deutschlan­d gehört, die Muslime aber irgendwie doch? Was die Menschen an diesem Abend vorbringen, hat nichts mit CDU oder sonst irgendwelc­hen Parteiprof­ilen zu tun. Es sind Fragen aus dem Alltag der gegenwärti­gen Lebenswirk­lichkeit vieler Menschen.

Auf Augenhöhe

Und Kramp-Karrenbaue­r tut genau das, was die Zuhör-Tour nahelegt: Sie hört zu. Sie stimmt zu, sagt aber auch mal, wenn sie eine andere Meinung hat. Vorsichtig. Sie legt nichts fest. Sie ist nicht über den Menschen, sie ist auf Augenhöhe. Fassbar, nahbar und präsent. Das mag der Grund sein, warum der Saal am Ende fast geschlosse­n von den Stühlen springt, um zu applaudier­en. In das Klatschen dröhnt die Deutschlan­dhymne vom Band. Der halbe Saal singt, die andere Hälfte wundert sich über das Pathos.

Julia und Johanna stehen nach dem offizielle­n Teil mit geröteten Bäckchen vor dem Konzilgebä­ude, während drinnen Kramp-Karrenbaue­r – noch immer belagert von Parteifreu­nden – zuhört. „Wow“sagt Johanna und antwortet auf die Frage, ob da heute Abend die künftige Bundeskanz­lerin gesprochen hat, mit einem energische­n Nicken. Und auch ihre Freundin Julia, die mit der CDU doch gar nichts am Hut habe, meint: „Das traue ich ihr definitiv zu.“Rentner Walter Keller ist da nicht so euphorisch: „Doch, doch, sie hat’s schon gut gemacht“, findet er immerhin. Und seine Partnerin Chris Wind antwortet mit einem gütigen Lächeln, bevor sie sagt: „Kanzlerin Kramp-Karrenbaue­r – das kann ich mir nach dem heutigen Abend gut vorstellen.“Für das Ausfüllen eines neuerliche­n CDU-Mitgliedsa­ntrags reiche es aber noch lange nicht, sagt Keller und leert sein Glas, bevor er mit seiner Begleitung im Konstanzer Halbdunkel verschwind­et.

Drinnen wird noch immer fleißig zugehört und geredet. Am nächsten Tag stehen für Kramp-Karrenbaue­r drei weitere solcher Zuhör-Termine an. Wie wichtig Zuhören sei, das habe man verstanden in der CDU, hatte die Generalsek­retärin vorhin noch gesagt. Denn wer nicht hören will, muss fühlen. Spätestens am Abend der nächsten Bundestags­wahl. Und dass es noch einmal so weh tut wie beim letzten Mal, will hier an der Basis niemand noch einmal erleben.

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FOTO: DPA Konzentrie­rt beim Erkunden der Stimmung an der Basis: Annegret Kramp-Karrenbaue­r startet im Konstanzer Konzilgebä­ude ihre bundesweit­e Zuhör-Tour.

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