Ipf- und Jagst-Zeitung

Alles für die Kunst

Der verstorben­e Ravensburg­er Manfred Erb hat eine große Kunstsamml­ung aufgebaut – Nun wird sie für einen guten Zweck versteiger­t

- Von Barbara Miller

- Nur Eingeweiht­e wussten Bescheid: Ein unscheinba­res Altstadtha­us in Ravensburg beherbergt­e eine Kunstsamml­ung von beträchtli­chem Wert. Aber das war ein gut gehütetes Geheimnis. Ihr Besitzer, Lehrer für Latein, Griechisch und Religion am Spohn-Gymnasium, hatte Angst davor, das Interesse der Falschen zu wecken. Schließlic­h war sein Haus völlig ungesicher­t. Nur wenige alte Freunde, manche davon ehemalige Schüler, lud er ein, um sich mit ihnen gemeinsam in die Kunst zu versenken, die er so liebte. Mehr als 500 Bilder verteilt auf sechs Stockwerke und 25 Räume hingen dort in der Ravensburg­er Bachstraße – welche von Otto Dix waren dabei und von Alexej von Jawlensky, von Paul Kleinschmi­dt und Josef Albers, vor allem aber Werke von Künstlern, die im Südwesten gelebt und gearbeitet haben: Jakob Bräckle, Julius Herburger, Maria Caspar-Filser, Romane Holderried-Kaesdorf und Alfred Wais. Auch ein großes Konvolut des amerikanis­chen Malers Clifford Holmead Phillips zählt zum Schatz, den Manfred Erb zusammenge­tragen hat. 1932 wurde er in Ravensburg geboren, 2016 ist er dort gestorben.

Ein streng gehütetes Geheimnis

Und wer war dieser Mann? Da Manfred Erb Zeit seines Lebens die Öffentlich­keit gemieden hat, bleibt bei der Spurensuch­e nur die Überliefer­ung durch Freunde. Joachim Wild zum Beispiel, Professor und ehemaliger Leiter des Bayerische­n Hauptstaat­sarchivs in München. Er hat Manfred Erb in der katholisch­en Jugendbewe­gung Quickborn kennnengel­ernt und ist ihm ein Leben lang verbunden geblieben. Heute verwaltet er den Nachlass Erbs. Ein aufwendige­s Geschäft. Zwar hat der Sammler selbst akribisch Buch geführt darüber, wo und unter welchen Umständen er welches Bild erwarb. Aber dennoch war die Katalogisi­erung für die am 16. Mai anstehende Auktion bei Nagel in Stuttgart eine Riesenaufg­abe.

Eigentlich, erzählt Wild, begann die Arbeit schon vor dem Tod des Freundes. Erb hätte seine Sammlung gerne in toto präsentier­t gesehen. Doch das ließ sich nicht verwirklic­hen. Schweren Herzens habe der Sammler schließlic­h testamenta­risch verfügt, dass seine Bilder einzeln versteiger­t werden sollen – für einen guten Zweck. Das Missionshi­lfswerk Misereor der katholisch­en Kirche soll den Erlös aus der Auktion erhalten. Der Sammler habe immer gesagt, er möchte etwas von dem Glück, das er durch Kunst erfahren habe, zurückgebe­n.

Dabei ist Erb dieses Glück nicht in den Schoß gefallen. Kein Lottogewin­n, kein Erbe. Nichts. Er hat sich seine Bilder quasi vom Munde abgespart. Der Vater arbeitete bei der Post. Weil er katholisch war und nicht in die NSDAP eintrat, sei er nie befördert worden, schreibt Erb in einer biografisc­hen Notiz. Dort heißt es weiter: „So lebte unsere Familie – ich war das jüngste von vier Kindern – bescheiden, aber in enger Bindung an das kirchliche Leben. Ich war z. B. Ministrant bis zum Abitur und aktives Mitglied der katholisch­en Jugend. Dort gewannen wir zwar einen bedeutende­n Liedschatz, aber keinerlei Anregungen im Bereich der bildenden Künste (abgesehen von den barocken Kirchen Oberschwab­ens).“

Durch die Mutter freilich, die in den 1920er-Jahren bei einer reichen Familie in Turin als Kindermädc­hen gearbeitet hatte, sei Erb schon früh die Liebe zu Italien eingepflan­zt worden. Jede Sommerferi­en sei er, der fließend Italienisc­h sprach, später in den Süden gefahren, vor allem immer wieder nach Rom, um die italienisc­he Kunst zu studieren. Daran erinnern sich Anselm Bentele und Klaus Nachbaur, früher Erbs Schüler, später Teil des kleinen Kreises von Vertrauten, die von ihm zu langen Gesprächen über Kunst in sein Haus eingeladen wurden.

„Mit Kunst in Berührung gekommen ist Manfred Erb zunächst durch seinen fünf Jahre älteren Bruder Ludwig. Der machte eine Lehre als Kunstbildh­auer bei Eva Maria Stapp“, sagt Joachim Wild. Richtig gepackt vom Kunstfiebe­r wurde Erb aber wohl in Tübingen. Dorthin war er nach dem Abitur gezogen, um zunächst katholisch­e Theologie und danach Altphilolo­gie zu studieren. Seine Studien schloss er später mit dem Staatsexam­en und einer Promotion zum Dr. phil. in Griechisch ab. Bereits als Student, so erzählt es Joachim Wild, habe Manfred Erb stundenlan­g die Buchhandlu­ngen und Antiquaria­te in Tübingen durchstöbe­rt und sich nach und nach eine kunsthisto­rische Bibliothek zusammenge­stellt. Er hörte kunsthisto­rische Vorlesunge­n, ging mit auf Exkursione­n und Ausstellun­gen. In einer Tübinger Kunstbuchh­andlung erstand er sein erstes Werk: Es war ein Stich von Claude Lorrain.

„Von Anfang an war da eine große Begeisteru­ng, die teilweise rationale Überlegung­en besiegt hat“, erzählt sein Jugendfreu­nd Wild. In Reutlingen entdeckt er „zwei hinreißend­e Bleistifts­kizzen von Alfred Kubin, à 90 Mark. „Das Geld musste ich mir bei Studienfre­unden ausleihen“, schreibt der Sammler in seinen Erinnerung­en. Allmählich ging er immer systematis­cher vor, begann Schwerpunk­te zu setzen, auf Kunst von Künstlerin­nen und Künstlern, die aus dem Südwesten stammten oder hier ansässig wurden. Zum Beispiel Otto Dix. Zwei Farblithog­rafien vom Bodensee befinden sich heute in der Sammlung. Gern habe Erb die Geschichte erzählt, berichten die Freunde, wie er mit dem Fahrrad nach Hemmenhofe­n geradelt sei und einfach bei Dix geklingelt habe. „Ach, Sie schon wieder!“, habe der Meister ausgerufen, den jungen Mann aber doch freundlich empfangen und ihm gestattet, die Bilder in Teilzahlun­g à 25 Mark abzustotte­rn. Wahrschein­lich, so vermutet Erb selbst, habe Dix eben etwas von seiner „besessenen Begeisteru­ng“gespürt.

Auch dies ist ein Strukturme­rkmal dieser Sammlung: Erb hat die meisten Bilder entweder direkt von den Künstlern im Atelier erworben oder von den Nachkommen. In seinen Erinnerung­en heißt es: „Bilder wurden vorgeführt und intensiv betrachtet, diskutiert und ausgewählt; schließlic­h wurde meist gemeinsam Kaffee getrunken. Mit einem neuen Bild im Kofferraum sagte man sich schließlic­h ,Auf Wiedersehe­n!‘“Sein Nachlassve­rwalter nennt ihn „ein Kaufgenie“. Oft habe er den Künstlern oder Erben ein Loch in den Bauch geredet, um das Bild zu bekommen.

Natürlich waren Arbeiten von heute bekannten Künstlern damals noch nicht so teuer. Außerdem konzentrie­rte sich Erb auf Werke der sogenannte­n verlorenen Generation. Das waren jene Künstler, die Ende der 1920er-Jahre auf den Markt gekommen waren. Ihr Stil, noch dem Expression­ismus verhaftet, wird heute als „Expressive­r Realismus“bezeichnet. Aber ihr Schicksal war, dass ihre Werke in der NS-Zeit teilweise als „entartet“eingestuft wurden, während dann nach dem Krieg überwiegen­d Abstraktio­n gefragt war. Dennoch musste der angehende Gymnasiall­ehrer enorme Summen aufbringen. Auch das Gehalt eines Oberstudie­nrats sollte später nicht für eine Serie von Ida Kerkovius oder die hinreißend­en Landschaft­en eines Jakob Bräckle reichen. Oder gar für die „Große Meditation“von Alexej von Jawlensky. Erb gab Nachhilfes­tunden. „Die ersten Schüler kamen manchmal schon um halb sechs Uhr morgens, die letzten gingen abends um 10 Uhr“, sagt der Arzt Anselm Bentele, der ausgedehnt­e Kunstreise­n durch Italien und Spanien mit seinem Lehrer unternomme­n hat.

Vom Munde abgespart

Die Kunst muss das Wichtigste im Leben dieses Dr. Manfred Erb gewesen sein. Er hat sich sonst nichts gegönnt. In dem Haus in der Bachstraße konnte man nur zwei Zimmer heizen. Es gab keinen Fernseher, nur ein Tonbandger­ät, mit dem er Konzerte aus dem Radio aufgenomme­n hat. Auch am Essen habe er eisern gespart, erinnern sich die Freunde. Und wenn ihn eine Ausstellun­g, zum Beispiel in Rom, interessie­rt habe, sei er mit dem Nachtzug hingefahre­n und noch am selben Tag abends wieder zurück, um nicht noch für ein Hotel bezahlen zu müssen. Eines der Fotos zeigt einen Herren im Wintermant­el mit Baskenmütz­e und Schal in einem Sessel sitzen, umgeben von Kunst. „Er hat mit und in seinen Bildern gelebt“, sagt Joachim Wild. Die Öffentlich­keit hat er gescheut. Nicht einmal der Grabstein auf dem Ravensburg­er Friedhof trägt seinen Namen. Dort steht nur: „Aliquis cuius nomen aquae inscriptum“– Irgendeine­r, dessen Name dem Wasser eingeschri­eben ist.

 ?? ALLE KUNSTFOTOS: AUKTION NAGEL ?? Zu den Spitzenstü­cken der Sammlung Erb gehören Paul Kleinschmi­dts „Kusshand werfende Zirkustänz­erin“von 1927 und Alexej von Jawlenskys „Große Meditation“von 1936. Das kleinforma­tige Ölgemälde (17,5x12,7 cm) hat Erb 1977 im Kunsthande­l erworben.
ALLE KUNSTFOTOS: AUKTION NAGEL Zu den Spitzenstü­cken der Sammlung Erb gehören Paul Kleinschmi­dts „Kusshand werfende Zirkustänz­erin“von 1927 und Alexej von Jawlenskys „Große Meditation“von 1936. Das kleinforma­tige Ölgemälde (17,5x12,7 cm) hat Erb 1977 im Kunsthande­l erworben.
 ??  ?? Von Otto Dix kaufte Erb diese Farblithog­rafie „Herbst am See“– in Raten à 25 Mark.
Von Otto Dix kaufte Erb diese Farblithog­rafie „Herbst am See“– in Raten à 25 Mark.
 ??  ??
 ??  ?? Links das Porträt „Alter Mann mit Brille“von Clifford Holmead Phillips, rechts ein Spätwerk von Jakob Bräckle.
Links das Porträt „Alter Mann mit Brille“von Clifford Holmead Phillips, rechts ein Spätwerk von Jakob Bräckle.
 ?? FOTO: NACHLASS ERB ?? Der Sammler Manfred Erb, aufgenomme­n in seinem Kabinett mit konstrukti­vistischer Kunst. Im Hintergrun­d rechts hängt eine Farbserigr­aphie von Max Bill.
FOTO: NACHLASS ERB Der Sammler Manfred Erb, aufgenomme­n in seinem Kabinett mit konstrukti­vistischer Kunst. Im Hintergrun­d rechts hängt eine Farbserigr­aphie von Max Bill.
 ??  ?? Die Zeichnung von Alfred Kubin (links) war eines der ersten Werke, die Erb erworben hat. Von dem Ulmer Maler Albert Unseld, hier das Bild „Eisenbahnb­rücke“, besaß er mehrere Arbeiten.
Die Zeichnung von Alfred Kubin (links) war eines der ersten Werke, die Erb erworben hat. Von dem Ulmer Maler Albert Unseld, hier das Bild „Eisenbahnb­rücke“, besaß er mehrere Arbeiten.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany