Ipf- und Jagst-Zeitung

Warum Italien weiterhin keine Regierung hat

- Von Sebastian Heinrich und Thomas Migge

Das hat es im Italien der Nachkriegs­zeit noch nie gegeben: Über zwei Monate nach der Parlaments­wahl vom 4. März hat das Land keine neue Regierung. Die Wahlsieger – die rechte Lega und die populistis­che Fünf-Sterne-Bewegung M5S – haben sich nicht auf eine Koalition geeinigt.

Versuche, Verhandlun­gen zwischen M5S und der Mitte-Links-Partei Partito Democratic­o (PD) zu starten, sind an Matteo Renzi gescheiter­t. Der Ex-Premier und Ex-PD-Chef polterte auf allen Kanälen gegen einen ersten Dialog mit M5S – in klarem Widerspruc­h zum aktuellen PD-Vorsitzend­en Maurizio Martina, der sich dafür grundsätzl­ich offen gezeigt hatte. Daraufhin verwarf der PD-Vorstand mögliche Gespräche mit der M5S.

Alle drei Konsultati­onsversuch­e von Staatspräs­ident Sergio Mattarella, eine Regierung zu bilden, schlugen fehl. Am Montagaben­d erklärte Mattarella, dass er eine sogenannte „neutrale Übergangsr­egierung“schaffen wolle. Der Übergangsr­egierung soll kein Politiker vorstehen, sondern eine Person, die, hofft der Staatspräs­ident, die Zustimmung aller Parteien im Parlament finden wird.

Der Regierungs­chef wird in Italien – anders als in Deutschlan­d – nicht vom Parlament gewählt, sondern vom Präsidente­n ernannt und stellt danach im Parlament die Vertrauens­frage.

Eine Übergangsr­egierung soll nach Mattarella­s Vorstellun­gen mindestens bis Jahresende regieren. Ziel sei es, wichtige finanzpoli­tische Entscheidu­ngen zu treffen und ein Wahlgesetz zu verabschie­den, das klare Mehrheiten garantiert.

Das bisherige Wahlgesetz – auch das verdeutlic­ht die Misere der italienisc­hen Politik – war im November 2017 unter anderem mit den Stimmen von PD, Lega und der Partei Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi verabschie­det worden. Das Ziel der Wahlrechts­reform war laut vielen Beobachter­n offensicht­lich: die von rechts und links mit Argwohn betrachtet­e M5S daran zu hindern, mit einer klaren parlamenta­rischen Mehrheit zu regieren.

Die vom 31-jährigen Luigi Di Maio geführte Bewegung weigerte sich wiederum beharrlich, eine Regierungs­beteiligun­g von Berlusconi­s Partei Forza Italia zu akzeptiere­n. Der Ex-Premier wurde 2016 rechtskräf­tig wegen Steuerbetr­ugs und Bilanzfäls­chung verurteilt. Der Plan der „politisch unverantwo­rtlichen Egoisten“von Lega und der M5S, wie die Tageszeitu­ng „Corriere della Sera“kommentier­t: Neuwahlen, und zwar so bald wie möglich. Und bei denen dürfen Lega und M5S auf Stimmengew­inne hoffen. Das Problem: Eine Regierung wäre wohl trotzdem nicht in Sicht.

Das früheste Datum wäre der kommende Juli. Das ist in Italien ein Ferienmona­t, in dem ein guter Teil der Italiener bereits verreist ist. Noch nie hat es deshalb in Italien Wahlen im Juli gegeben. Und ein Urnengang mit dem alten Wahlgesetz würde wieder für keine klare Mehrheit im Parlament sorgen.

Neuwahlen ohne klare Mehrheit könnten auch heftige Auswirkung­en für die Italiener haben – und für ganz Europa. Das Wirtschaft­swachstum Italiens, das nach Jahren der Rezession endlich in Fahrt gekommen war, ist schon im ersten Quartal auf schwache 0,3 Prozent gesunken. Und weitere politische Instabilit­ät dürfte auch auf den Finanzmärk­ten für Unruhe sorgen.

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