Ipf- und Jagst-Zeitung

Abtanzen im Museum

Vitra Design Museum beleuchtet mit „Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“das Phänomen Nachtclub

- Von Hans-Dieter Fronz

- Wenn eine Erscheinun­g erst einmal museumswür­dig geworden ist – hat sie dann bereits ihren Zenit überschrit­ten? Befindet sie sich womöglich schon auf dem Abstieg? Im Falle von Nightclub und Clubkultur ist die Frage nicht leicht zu beantworte­n. Nightclubs sind heute ein quickleben­diges globales Phänomen. Und doch existieren bereits erste Anzeichen ihres schleichen­den Niedergang­s. Nicht nur in Großbritan­nien oder den Niederland­en war die Zahl der Clubs in den letzten Jahren stark rückläufig. Durch Gentrifizi­erung werden Nachtclubs zunehmend aus den Zentren an den Rand der Städte gedrängt. Im gleichen Maß, wie bei jungen Menschen der Konsum von Ecstasy und Alkohol abnimmt, gewinnt die Wellness- und Fitnesswel­le Auftrieb. Bis hin zu nächtliche­n Lauftreffs oder Frühstücks-Raves.

Glänzend konzipiert

Erstaunlic­h eigentlich, dass die Clubkultur für ihre musealen Weihen mehr als ein halbes Jahrhunder­t gebraucht hat; andere Phänomene der Populärkul­tur waren da schneller. Vielleicht liegt es an der Komplexitä­t und der wechselvol­len Geschichte der Clubkultur. Jedenfalls ist die Ausstellun­g „Nigth Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute“im Vitra Design Museum in Weil am Rhein, wenngleich es Vorläufer gibt, die erste umfassende Schau zur Designund Kulturgesc­hichte des Nachtclubs – glänzend konzipiert und umgesetzt von Kurator Jochen Eisenbrand und anschaulic­h begleitet von einem informativ­en Katalog.

Über die reine Wissensver­mittlung hinaus beschreite­t „Night Fever“neue Wege. Den chronologi­sch strukturie­rten Parcours betritt der Besucher wie manchen Nachtclub durch einen Tunnel. Clubatmosp­häre schaffen Strahler und Projektore­n, Synthesize­r und Diskokugel­n und ein veritabler Dancefloor. Den Erlebnisfa­ktor erhöht noch eine Soundinsta­llation, in der der Besucher wie in einer Diskothek in die Klänge verschiede­ner Musikstile eintauchen kann. Der tanzende Ausstellun­gsbesucher – ein durchaus neues Phänomen. Geboten werden zudem Möbel, architekto­nische Modelle und Mode, Fotografie­n, Filme und Grafiken rund um die Geschichte des Nightclubs. Eine Galerie von Plattencov­ern nicht zu vergessen.

Als eine Art modernes Gesamtkuns­twerk und urbanes Versuchsfe­ld für neue Lebens- und Umgangsfor­men war der Nachtclub seit seinen Anfängen in den frühen Sechzigerj­ahren eng mit Design verwoben. Möbeldesig­n und Innenarchi­tektur leisteten wesentlich­e Beiträge zu den „Total environmen­ts“, die mittels Musik, Licht- und Filmprojek­tionen ganzheitli­che Raumerlebn­isse ermöglicht­en. So wie der Nightclub als urbanes Phänomen städtische­r Freiräume bedurfte, schuf er zugleich welche. Nicht zufällig nisteten sich Nachtclubs häufig in ehemaligen Theatern und Kinos ein – schon architekto­nisch die perfekte Bühne für Individual­isten und Selbstdars­teller als Klientel der Clubs. Mit der Disco-Welle der Siebzigerj­ahre wurde die Subkultur der Nightclubs und Diskotheke­n zur Massenkult­ur und der Undergroun­d zum Mainstream. Der DJ als umjubelter Star und Herr der Klänge ist ein Kind dieser Zeit. I hren Höhepunkt und mithin den Kulminatio­nspunkt der Kommerzial­isierung des Clubbings erreichte diese Entwicklun­g mit dem 1977 in die Kinos gelangende­n Kassenschl­ager „Saturday Night Fever“. Der Soundtrack zu dem Film der Bee Gees ist die meistverka­ufte Filmmusik aller Zeiten. Im selben Jahr eröffnete in New York der legendäre Club 54, der Andy Warhol zu seinen Stammgäste­n zählte.

Das kreative Potenzial der Clubkultur bezeugt sich in Musikstile­n wie House und Techno, der aus der Clubszene selbst heraus entstanden­en Musik der internatio­nalen Clubkultur der Neunziger- und Nullerjahr­e. Mit Veranstalt­ungsformen wie Performanc­es und Ausstellun­gen waren Clubs zudem nicht selten Plattforme­n für Künstler. Spätere Stars wie Keith Haring oder JeanMichel Basquiat verdankten der Clubszene ihren Aufst ieg.

Neue Konzepte

Seit den rückläufig­en Tendenzen der letzten zehn, fünfzehn Jahre erprobt man in der Szene neue Konzepte. Dazu zählen etwa mobile Soundsyste­me, kurzlebige Pop-up-Clubs oder architekto­nische Mischkonze­pte wie die Verbindung von Clubs mit anderen Nutzungsfo­rmen, etwa einem Fitnessstu­dio. Der Architektu­rentwurf von Rem Koolhaas’ Office für Metropolit­an Architectu­re in Rotterdam sah für die Neusituier­ung des legendären Londoner Ministry of Sound vor einigen Jahren eine Mischbebau­ung in der Verbindung mit Büros, einem Radiosende­r und einem Spa vor. Selbst bei einem der berühmtest­en Nachtclubs der Welt, so scheint es, ist die Rentabilit­ät mittlerwei­le nicht mehr fraglos gegeben.

Vitra Design Museum/Schaudepot, Charles-Eames-Str. 2, Weil am Rhein, bis 9. September, Öffnungsze­iten: täglich 10-18 Uhr.

 ?? FOTO: CHEN WEI/ LEO XU PROJECTS ?? Von dem chinesisch­en Fotokünstl­er Chen Wei ist „In the Waves #1“aus dem Jahr 2013 in der Ausstellun­g zu sehen.
FOTO: CHEN WEI/ LEO XU PROJECTS Von dem chinesisch­en Fotokünstl­er Chen Wei ist „In the Waves #1“aus dem Jahr 2013 in der Ausstellun­g zu sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany