Das Pflänzchen Freundschaft
Ein Handschlag, der Kontinente und Kulturen verbindet – Aalen engagiert sich mit Wissen, Bildung und Ausbildung in Mosambik
Ein Handschlag, der Kontinente und Kulturen verbindet: Aalens Oberbürgermeister Thilo Rentschler und sein mosambikanischer Amtskollege Abilio Manuel Machado haben am Mittwoch einen Freundschaftsvertrag ausgearbeitet, der der Stadt Vilankulo langfristig helfen soll, die Armut zu bekämpfen. Mit Wissen, Bildung und Ausbildung made in Aalen.
- Mit öligen Händen zerlegt Artur Carlos den Motor des Mopeds. Den Vergaser hat er abmontiert, die Kette hängt durch. Aus der Wellblechhütte hinter ihm holt er Sicherungen. Es ist seine Werkstatt am Platz der Helden auf weniger als zehn Quadratmetern. Während er versucht, die Maschine wieder flott zu bekommen, feiern Tausende Menschen rings um ihn herum in Vilankulo am 1. Mai den Tag der Arbeit mit einer Parade.
Jemand klimpert auf einem Xylophon, spontan tanzt eine Frau, bunte Shirts und Fähnchen überall. Es wird gehupt, Arbeiter vieler Firmen marschieren auf, feiern die Arbeit. Denn einen Job zu haben, ist in Mosambik nicht selbstverständlich. „Es gibt nicht viel Arbeit hier“, sagt der Mechaniker, der sich vor rund sechs Jahren selbstständig gemacht hat. Fast 25 Prozent der Menschen in Mosambik sind arbeitslos, das Land zählt zu den ärmsten der Welt.
„Wir wollen etwas auf lokaler Ebene von Mensch zu Mensch tun“, sagt Aalens Oberbürgermeister Thilo Rentschler, der mit einer städtischen Delegation aus Wirtschaft, Schule, Hochschule und Gesellschaft nach Vilankulo gereist ist. Die Stadt will helfen. Mit Wissen, Bildung und Ausbildung made in Aalen.
Rechts und links führt ein sandiges Trottoir die Straße entlang, Mütter nehmen ihre Kinder an die Hand, manche flitzen über die Straße. Vorbei an Holzverschlägen, wo Obst angeboten wird, Wellblechhütten, daneben eine Frau, die im Schatten eines Baumes im Sand liegt. Der Kleinbus gleitet über die Sandstraße, holpert über Asphalt und Knochensteine bis zu einem Saal, wo sich zwei scheinbar ungleiche Städte annähern: Aalen und Vilankulo, Deutschland und Mosambik. Aalen, die Industriestadt. Vilankulo, eine Stadt an der Küste des Indischen Ozeans, die vom Tourismus lebt. Die Aalener seien die erste deutsche Delegation, die sich für Vilankulo interessiere, bemerkt der hiesige Oberbürgermeister Abilio Manuel Machado. „Es geht uns um den Austausch von Erfahrungen“, sagt er und wirkt bescheiden. Für diesen offiziellen Teil des Treffens hat er sein legeres Hemd gegen einen Anzug getauscht. Ansonsten ist die Atmosphäre locker, ja, herzlich, und das nicht nur zwischen den Delegationsteilnehmern, sondern auch unter den Menschen, die ringsum und abseits des Protokolls ihrer Arbeit nachgehen. Sie lächeln, stellen Fragen über Deutschland – Fußball? Bayern kennt man. Sowieso. Machado stellt seine Stadt vor, während ab und an das Licht im Saal kurz flackert. „Wir sind ein neues, demokratisches Land. Wenn wir uns entwickeln wollen, müssen wir in Bildung investieren und die Ausbildung verbessern.“
„Bildung ist der Schlüssel für das Überleben der Menschheit“, zitiert Marcus Lingel seinen Vater Siegfried Lingel, Honorargeneralkonsul der Republik Mosambik.
Die Arbeit der DeutschMosambikanischen Gesellschaft
Es ist ein Satz, der genauso von Siegfried Lingel stammen könnte. Seit 25 Jahren engagiert sich der aus Aalen stammende Honorargeneralkonsul der Republik Mosambik und Präsident der Deutsch-Mosambikanischen Gesellschaft (DMG) für das ostafrikanische Land, baut mit Spenden Vorschulen und Schulen, finanziert Lehrer – die Liste ist schier endlos lang. Immer wieder fällt sein Name, Menschen danken ihm für sein Engagement, heben das Glas auf ihn. Doch Lingel selbst konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht mit den Aalenern nach Mosambik reisen. Stattdessen begleitet sein Sohn, Honorarkonsul Marcus Lingel, die Delegation. Auch er steht für das, was für seinen Vater zum Kernsatz der Hilfe in Mosambik wurde: „Bildung ist der Schlüssel für das Überleben der Menschheit.“Und die beginnt im Alter von zwei Jahren.
Pato, Sapo, Cão – Ente, Kröte, Hund. Bunte Tierbilder kleben an den Wänden der Vorschule in Vilankulo, die die Schüler ausgemalt haben, darunter steht das Wort auf Portugiesisch. Zahlen, Buchstaben, Formen pinnen an der Wand, auf dem Boden liegen Legosteine, im Regal die Bücher, Spiele, Kuscheltiere. Die Wände strahlen rosa, violett, blau, türkis. Das Gebäude gleicht einer Villa Kunterbunt, in der Kinder geradezu animiert werden, spielerisch zu lernen. Sie sitzen um Tische im Klassenzimmer, begrüßen die Besucher aus Aalen mit einem Lied, klatschen, ein Mädchen dreht sich zum Fenster – draußen zu toben, das wäre jetzt schön. 70 Kinder zwischen zwei und fünf Jahren besuchen derzeit die Vorschule, 25 davon stammen aus ärmsten Familien der Umgebung. Ihr Schulgeld bezahlt die DMG. Wie wichtig dieses Engagement im Bereich Bildung ist, belegt eine Studie der amerikanischen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID): 59 Prozent der Drittklässler könnten nicht ein Wort lesen. Und die, die es können, schaffen nur fünf Wörter pro Minute. Warum? Es fehlt an frühkindlicher Bildung. „Kinder, die in einer Vorschule Portugiesisch lernen, haben in der Schule bessere Voraussetzungen. Man kann hier mit wenig Mitteln viel erreichen“, sagt Marcus Lingel, der immer mehr Mitstreiter für die DMG gewinnt, darunter namhafte Firmen, Institutionen und Privatpersonen aus dem Ostalbkreis, darunter Claus Albrecht. Noch vor Ort kündigt der Aalener Stadtrat und Unternehmer an, einen Vorschulkindergarten in der Umgebung Vilankulos zu finanzieren.
Das Land braucht dringend Hilfe
Endlich können die Kinder nach draußen, zupfen einen am Hosenbein, lachen, klatschen ab. Sie rennen über den Sand zu einem Podest oder zur Schaukel. Drei quetschen sich darauf, während daneben Delegationen aus Aalen und Vilankulo im Schatten des Baumes Platz nehmen. Zwei Tage lang haben unter anderem Hochschulrektor Gerhard Schneider, Mapals Ausbildungsleiter Uwe Heßler, Hartmut Schlipf als Leiter der Kaufmännischen Schule Aalen, Helmut Kühnle (ehemaliger Rektor des THG) und Hermann Schludi, Vorsitzender des Aalener Städtepartnerschaftsvereins, mit ihren Gegenübern aus Vilankulo erörtert, wie Aalen den Menschen helfen kann, einen Weg aus der Armut zu finden. Denn das Land braucht dringend Hilfe: Die Vereinten Nationen ordnen Mosambik im Jahr 2016 auf Platz acht der weltweit ärmsten Länder ein. Die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Arbeitsplätze entstehen kaum, es mangelt an gut ausgebildeten Fachkräften. „Ein wichtiger Punkt, den wir deshalb besprochen haben, war die Bildung“, berichtet Machado.
Bereits nach den ersten Gesprächen gebe es einige Ideen, wie man Vilankulo unterstützen könne, sagt Rentschler und baut dabei unter anderem auf das Aalener Know-how: „Wir haben Unternehmer, die wissen, wo man anpackt.“
Die Oberbürgermeister haben gemeinsam den Freundschaftsvertrag ausgearbeitet und reichen sich die Hand. Es ist ein Händedruck, der Kontinente und Kulturen verbindet – und Geschichte schreibt, „denn es ist der erste Freundschaftsvertrag überhaupt zwischen einer deutschen und einer mosambikanischen Stadt“, sagte der deutsche Botschafter Detlev Wolter, der die Aalener Delegation begleitet. „Es wird eine Freundschaft sein, die etwas Konkretes bringt“, glaubt der Diplomat.
Und diese erste konkrete Idee stammt von der Aalener Firma Mapal, die über Workshops Programmierer ausbilden will, um sie mittelfristig als Entwickler einzubinden. „In Mosambik gibt es viele gute Leute mit Potenzial“, weiß Mapals Ausbildungsleiter Uwe Heßler, der Afrika oft bereist hat. Für viele gehe es nach der Grundschule nicht weiter: zu schlecht die Ausbildung, zu teuer die Uni. Mapal und die Aalener Hochschule schließen sich deshalb zusammen. Auszubildende könnten vom Aalener IHK-Bildungszentrum und der Hochschule aus per Skype Menschen eine einfache Programmiersprache beibringen. „Es macht Sinn, dass wir es versuchen“, glaubt Heßler, zumal weltweit der Markt an Programmierern leer gefegt sei und nicht zuletzt Mapal nach Entwicklern suche. „Sinnvoll wäre es auch, deutsche Lehrer für drei, vier Wochen hierher zu schicken, um die Lehrer vor Ort auszubilden. Das sind Multiplikatoren“, schlägt Stadtrat Claus Albrecht vor. Man komme nur weiter, wenn man die Menschen in ihrer Heimat ausbilde und ihnen so eine Perspektiven biete. Damit verhindere man, dass sie Richtung Europa flüchten, sagt Rentschler.
Funken fliegen gegen die Schweißerbrille. Gegenüber sägt ein Mann quietschend ein Stück einer Stahlstange ab – ein Tröpfchen Öl? Gibt es nicht. In der Halle nebenan hämmern Ali José und seine Mitschüler alte Holzlatten und Bretter zu einem Treppenmodul zusammen. Schlosser, Maurer, Betonbauer oder Elektriker wie Leonel Delfim werkeln in ihren Hallen in der Berufsschule von Vilankulo. Delfim schraubt einen Draht in die Lüsterklemme. Der 22Jährige tippt zwischendurch auf den Schalter – der Strom fließt, das Licht brennt. Es sind handwerkliche Basics, die die jungen Menschen innerhalb eines halben Jahres lernen. Nicht mehr, nicht weniger. Gerade im technischen Ausbildungsbereich will Mosambiks ehemaliger Präsident Eine Zusammenarbeit von Wirtschaft und Unternehmen durch projektbezogene Kooperationen zu ermöglichen; Aufbau und Unterstützung der beruflichen Ausbildung an Schulen und Hochschulen; Joaquim Alberto Chissano eng mit Aalen kooperieren, wie er bei seinem Besuch im vergangenen Jahr in Aalen bekräftigte.
soziale und kulturelle Aktivitäten zwischen Vilankulo und Aalen zu fördern; Austausch und Unterstützung in den Bereichen Umweltmanagement und allgemeine Verwaltungsaufgaben.
Partnerschaftsverein als Dreh- und Angelpunkt
Nur: Wie kann eine Zusammenarbeit über zwei Kontinente und 8300 Kilometer Luftlinie hinweg funktionieren? Und warum überhaupt? „In einer globalisierten Welt geht uns das Schicksal Afrikas etwas an“, sagt Aalens Hochschulrektor Gerhard Schneider. Politisch, wirtschaftlich, kulturell und in den Bereichen Bildung und Verwaltung wollen Aalen und Vilankulo nun zusammenarbeiten. Aalen beweise Mut, da es nicht einfach sei, Bürger von einer solchen Freundschaft zu überzeugen, glaubt Marcus Lingel. „Ich wünsche mir, dass es eine Freundschaft zwischen Menschen, Kommunen und Institutionen wird“, sagt Oberbürgermeister Thilo Rentschler, wohl wissend, dass das nicht von heute auf morgen geschieht. Für ihn werde der Städtepartnerschaftsverein ein Dreh- und Angelpunkt sein.
Dessen Vorsitzender Hermann Schludi sieht den Verein als Katalysator, der sich darum kümmert, Netzwerke und Beziehungen unter den Menschen und Institutionen zu knüpfen. Die Entfernung spiele dabei keine Rolle, schließlich „erreicht man über elektronische Medien heute fast Gleichzeitigkeit über viele Tausend Kilometer hinweg. Da müssen wir neue Wege gehen.“Nun komme es darauf an, mit welchen Inhalten die Freundschaft beider Städte gefüllt wird. Das wolle man nach der Rückkehr in Aalen analysieren, ergänzt Rentschler, man müsse sehen, was aus dem zarten Pflänzchen entsteht. „Es muss wachsen.“