Europas Bewährungsprobe
Donald Trump stellt die Europäer vor ihre bislang härteste sicherheitspolitische Bewährungsprobe. Durch die Aufkündigung des Atomabkommens mit Iran hat sich der US-Präsident endgültig aus der Friedensdiplomatie zurückgezogen. Wenn die Europäer – allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Schulterschluss mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – nicht alles tun, um diese Lücke auszufüllen, kann im Nahen Osten schnell ein Flächenbrand entstehen. Dann droht ein atomares Wettrüsten zwischen Iran und Saudi-Arabien, dann kann der SyrienKonflikt schnell zu einem Krieg weit über die Region hinaus eskalieren.
Das Unvorstellbare rückt immer näher: dass das transatlantische Verhältnis zerrüttet ist und Trump sich nicht um den Scherbenhaufen schert, den er hinterlässt. Die Regierungen in Berlin, Paris und in London, aber auch die EU sind gezwungen, gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Chinas undurchschaubarem Herrscher Xi Jinping die erzürnte iranische Regierung zu beschwichtigen. Schließlich geht es darum zu verhindern, dass Teheran zu seinem Atomprogramm zurückkehrt. Den Preis, den die Europäer dafür zu bezahlen haben: Sie finden sich, um noch größeren Schaden für den Weltfrieden abzuwenden, an der Seite von Staaten, in denen Menschenrechte und die Freiheit der Bürger kaum einen Pfifferling wert sind.
Ohnehin kann es nur glücken, Iran im Abkommen zu halten, wenn es gelingt, die Auswirkungen der USSanktionen zu begrenzen. Die Europäer müssten sich folglich klar gegen Trump stellen – und gleichzeitig die Unternehmen in Europa vor möglichen Racheaktionen des Heißsporns im Weißen Haus schützen. Angesichts des unkalkulierbaren Sicherheitsrisikos, das von einem atomar bewaffneten Iran ausgehen würde, wäre ein zürnender Trump aber das geringere Übel. Merkel, Macron und Co. stehen vor einer gewaltigen Herausforderung. Die Zeit, in der es sich Europa erlauben konnte, in Sachen Sicherheitspolitik von der Seite zuzuschauen, ist vorbei.