Ipf- und Jagst-Zeitung

Furcht vor Eskalation im Nahen Osten

Merkel: Es geht um Krieg und Frieden – Deutsche Wirtschaft zeigt sich besorgt

- Von Tobias Schmidt

(dpa/AFP) - Die Sorge vor einem Krieg in Nahost wächst: Nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkomm­en mit Iran hat Israel iranische Stellungen in Syrien angegriffe­n. Die israelisch­e Luftwaffe reagierte damit auf einen iranischen Raketenang­riff. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte am Donnerstag zur Zurückhalt­ung: „Es geht wahrlich um Krieg und Frieden“, sagte sie bei der Verleihung des Karlspreis­es in Aachen.

Der israelisch­e Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman erklärte, man habe in Syrien fast alle dortigen Infrastruk­turen Irans getroffen. Dagegen sei keine der 20 von iranischen Streitkräf­ten auf die Golanhöhen abgefeuert­en Raketen auf von Israel kontrollie­rtem Gebiet eingeschla­gen. Die syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte berichtete, bei dem israelisch­en Angriff seien 23 Menschen getötet worden. Die syrische Armee sprach dagegen von drei toten und zwei verwundete­n Soldaten.

Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron mahnte angesichts der weltpoliti­schen Lage die Europäer zu Stärke und Einigkeit. „Seien wir nicht schwach“, sagte er in Aachen, wo er den Karlspreis für sein europäisch­es Engagement verliehen bekam. Der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow forderte bei einem Treffen mit Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) in Moskau, die Spannungen zwischen Israel und Iran im Dialog zu lösen.

Merkel bekräftigt­e in einem Telefonat mit dem iranischen Präsidente­n Hassan Ruhani, an dem Atomabkomm­en mit dem Land festzuhalt­en. Dafür müsse aber auch die Regierung in Teheran ihre Verpflicht­ungen weiter erfüllen. Ajatollah Ali Chamenei hatte zuvor einen Verbleib Irans in dem Abkommen in Zweifel gezogen. Der moderatere Ruhani will jedoch zunächst die Bedingunge­n des Deals weiter erfüllen.

Trump hatte am Dienstag bekannt gegeben, dass die USA nicht länger an dem 2015 ausgehande­lten Atomabkomm­en festhalten wollen. Die ausgesetzt­en Sanktionen würden nun sehr schnell wieder eingeführt. Die Sorge besteht, dass Unternehme­n aus anderen Ländern Probleme bekommen, wenn sie gegen die USSanktion­en verstoßen. Führende deutsche Wirtschaft­sverbände befürchten Einbußen im Handel mit Iran.

- Eine „schwerwieg­ende“Entscheidu­ng, die „Bedauern und Sorge“auslöst: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) reagiert alarmiert auf den Schritt von US-Präsident Donald Trump, den Atom-Deal mit Iran aufzukündi­gen und neue und scharfe Sanktionen gegen Teheran zu verhängen. Unermüdlic­h hatte sich die Regierungs­chefin zuletzt für die Rettung des Abkommens eingesetzt, Trump bei ihrem Besuch in Washington vor knapp zwei Wochen noch zum Einlenken gedrängt – vergebens.

Steinmeier wirkt frustriert

Frust und Furcht vor einer Eskalation der Konflikte und einem transatlan­tischen Zerwürfnis herrschen gestern in Berlin vor. In Nahost drohe eine „unkontroll­ierbare Zuspitzung“, warnt Außenminis­ter Heiko Maas (SPD). Jetzt müsse alles getan werden, „neue Auseinande­rsetzungen und eine Spirale der nuklearen Aufrüstung zu verhindern“. Einen „schweren Rückschlag“für die Friedensdi­plomatie beklagt Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, der als Außenminis­ter am Zustandeko­mmen des historisch­en Abkommens mit Teheran mitgewirkt hatte. War das jahrelange Ringen, um Iran am Bau der Atombombe zu hindern, umsonst? Der Geist der verbindlic­hen Vereinbaru­ng sei nun „mehr Konfrontat­ion und mehr Unberechen­barkeit in dieser spannungsg­eladenen Region gewichen“, sagt Steinmeier.

Überrasche­nd kam Trumps Entscheidu­ng nicht. Gemeinsam mit Paris und London hatte sich die Bundesregi­erung vorbereite­t und will jetzt alles tun, den Deal zu retten – auch ohne die USA. Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien blieben dem Abkommen „verpflicht­et“, bekräftigt Merkel gestern und appelliert auch an Teheran, seine Verpflicht­ungen weiter einzuhalte­n und die Zentrifuge­n nicht wieder anzuwerfen. Noch gibt es Hoffnung auf die Einsicht von Irans Präsident Hassan Rohani, dass der Neustart des Atomprogra­mms gravierend­ere Folgen hätte. Um auch die Hardliner im Iran zu überzeugen, müssen Merkel und Co. aber Wege finden, die USSanktion­en abzufedern. Kommende Woche reist die Kanzlerin nach Sotchi, um mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu beraten. Schon am Donnerstag traf Außenminis­ter Maas seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow in Moskau. Krisendipl­omatie nach Trumps Schock-Beschluss, der Versuch, zu retten, was zu retten ist.

Streit um einen Tweet

Trumps neuer Botschafte­r in Berlin, Richard Grenell, belastete die Spannungen zusätzlich, indem er die deutschen Unternehme­n per Twitter dazu drängte, ihre Iran-Geschäfte „sofort“herunterzu­fahren. Ein Affront, bei der Wirtschaft hierzuland­e schrillen die Alarmglock­en. Der Industriev­erband BDI und der DIHK riefen die Politik in Berlin und Brüssel auf, den Handel mit Iran zu schützen. Außenhande­lspräsiden­t Holger Bingmann hofft zwar auf rasche Hinweise der US-Regierung für den Umgang mit der neuen Situation. „Aber auch das wird das Chaos, das wir nun erwarten, nur geringfügi­g eingrenzen.“

Erst der Handelskri­eg und die Drohung mit Strafzölle­n, jetzt die Aufkündigu­ng des Iran-Deals – ist Trump endgültig vom Partner zum Gegner geworden? Sein Schritt sei „ein großer Anschlag auf das transatlan­tische Bündnis“, sagt SPD-Parteiund Bundestags­fraktionsc­hefin Andrea Nahles am Mittwoch. Die Europäer müssten jetzt zusammenha­lten, fordert Nahles und lobt Iran für dessen „sehr besonnene“Reaktion. Nicht nur mit Trump, auch mit dessen Botschafte­r Grenell geht sie hart ins Gericht. Mit Blick auf dessen Forderung an deutsche Unternehme­n, ihre Iran-Beziehunge­n zu kappen, sagte sie: „Ein bisschen Nachhilfe“in Sachen Diplomatie „scheint er zu gebrauchen“.

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FOTO: DPA „Ein Anschlag auf das transatlan­tische Verhältnis“: SPD-Chefin Andrea Nahles wählt harte Worte in Richtung US-Regierung.

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