Furcht vor Eskalation im Nahen Osten
Merkel: Es geht um Krieg und Frieden – Deutsche Wirtschaft zeigt sich besorgt
(dpa/AFP) - Die Sorge vor einem Krieg in Nahost wächst: Nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran hat Israel iranische Stellungen in Syrien angegriffen. Die israelische Luftwaffe reagierte damit auf einen iranischen Raketenangriff. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte am Donnerstag zur Zurückhaltung: „Es geht wahrlich um Krieg und Frieden“, sagte sie bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen.
Der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman erklärte, man habe in Syrien fast alle dortigen Infrastrukturen Irans getroffen. Dagegen sei keine der 20 von iranischen Streitkräften auf die Golanhöhen abgefeuerten Raketen auf von Israel kontrolliertem Gebiet eingeschlagen. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, bei dem israelischen Angriff seien 23 Menschen getötet worden. Die syrische Armee sprach dagegen von drei toten und zwei verwundeten Soldaten.
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron mahnte angesichts der weltpolitischen Lage die Europäer zu Stärke und Einigkeit. „Seien wir nicht schwach“, sagte er in Aachen, wo er den Karlspreis für sein europäisches Engagement verliehen bekam. Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte bei einem Treffen mit Außenminister Heiko Maas (SPD) in Moskau, die Spannungen zwischen Israel und Iran im Dialog zu lösen.
Merkel bekräftigte in einem Telefonat mit dem iranischen Präsidenten Hassan Ruhani, an dem Atomabkommen mit dem Land festzuhalten. Dafür müsse aber auch die Regierung in Teheran ihre Verpflichtungen weiter erfüllen. Ajatollah Ali Chamenei hatte zuvor einen Verbleib Irans in dem Abkommen in Zweifel gezogen. Der moderatere Ruhani will jedoch zunächst die Bedingungen des Deals weiter erfüllen.
Trump hatte am Dienstag bekannt gegeben, dass die USA nicht länger an dem 2015 ausgehandelten Atomabkommen festhalten wollen. Die ausgesetzten Sanktionen würden nun sehr schnell wieder eingeführt. Die Sorge besteht, dass Unternehmen aus anderen Ländern Probleme bekommen, wenn sie gegen die USSanktionen verstoßen. Führende deutsche Wirtschaftsverbände befürchten Einbußen im Handel mit Iran.
- Eine „schwerwiegende“Entscheidung, die „Bedauern und Sorge“auslöst: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagiert alarmiert auf den Schritt von US-Präsident Donald Trump, den Atom-Deal mit Iran aufzukündigen und neue und scharfe Sanktionen gegen Teheran zu verhängen. Unermüdlich hatte sich die Regierungschefin zuletzt für die Rettung des Abkommens eingesetzt, Trump bei ihrem Besuch in Washington vor knapp zwei Wochen noch zum Einlenken gedrängt – vergebens.
Steinmeier wirkt frustriert
Frust und Furcht vor einer Eskalation der Konflikte und einem transatlantischen Zerwürfnis herrschen gestern in Berlin vor. In Nahost drohe eine „unkontrollierbare Zuspitzung“, warnt Außenminister Heiko Maas (SPD). Jetzt müsse alles getan werden, „neue Auseinandersetzungen und eine Spirale der nuklearen Aufrüstung zu verhindern“. Einen „schweren Rückschlag“für die Friedensdiplomatie beklagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der als Außenminister am Zustandekommen des historischen Abkommens mit Teheran mitgewirkt hatte. War das jahrelange Ringen, um Iran am Bau der Atombombe zu hindern, umsonst? Der Geist der verbindlichen Vereinbarung sei nun „mehr Konfrontation und mehr Unberechenbarkeit in dieser spannungsgeladenen Region gewichen“, sagt Steinmeier.
Überraschend kam Trumps Entscheidung nicht. Gemeinsam mit Paris und London hatte sich die Bundesregierung vorbereitet und will jetzt alles tun, den Deal zu retten – auch ohne die USA. Deutschland, Frankreich und Großbritannien blieben dem Abkommen „verpflichtet“, bekräftigt Merkel gestern und appelliert auch an Teheran, seine Verpflichtungen weiter einzuhalten und die Zentrifugen nicht wieder anzuwerfen. Noch gibt es Hoffnung auf die Einsicht von Irans Präsident Hassan Rohani, dass der Neustart des Atomprogramms gravierendere Folgen hätte. Um auch die Hardliner im Iran zu überzeugen, müssen Merkel und Co. aber Wege finden, die USSanktionen abzufedern. Kommende Woche reist die Kanzlerin nach Sotchi, um mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu beraten. Schon am Donnerstag traf Außenminister Maas seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow in Moskau. Krisendiplomatie nach Trumps Schock-Beschluss, der Versuch, zu retten, was zu retten ist.
Streit um einen Tweet
Trumps neuer Botschafter in Berlin, Richard Grenell, belastete die Spannungen zusätzlich, indem er die deutschen Unternehmen per Twitter dazu drängte, ihre Iran-Geschäfte „sofort“herunterzufahren. Ein Affront, bei der Wirtschaft hierzulande schrillen die Alarmglocken. Der Industrieverband BDI und der DIHK riefen die Politik in Berlin und Brüssel auf, den Handel mit Iran zu schützen. Außenhandelspräsident Holger Bingmann hofft zwar auf rasche Hinweise der US-Regierung für den Umgang mit der neuen Situation. „Aber auch das wird das Chaos, das wir nun erwarten, nur geringfügig eingrenzen.“
Erst der Handelskrieg und die Drohung mit Strafzöllen, jetzt die Aufkündigung des Iran-Deals – ist Trump endgültig vom Partner zum Gegner geworden? Sein Schritt sei „ein großer Anschlag auf das transatlantische Bündnis“, sagt SPD-Parteiund Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles am Mittwoch. Die Europäer müssten jetzt zusammenhalten, fordert Nahles und lobt Iran für dessen „sehr besonnene“Reaktion. Nicht nur mit Trump, auch mit dessen Botschafter Grenell geht sie hart ins Gericht. Mit Blick auf dessen Forderung an deutsche Unternehmen, ihre Iran-Beziehungen zu kappen, sagte sie: „Ein bisschen Nachhilfe“in Sachen Diplomatie „scheint er zu gebrauchen“.