ZF schließt Schalker Werk
Standort unrentabel – Heftige Kritik des Betriebsrats
(ben) - Der Friedrichshafener Automobilzulieferer ZF will sein Werk im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen zum Jahresende schließen. Betroffen sind rund 500 Mitarbeiter, davon 350 in der Produktion, wie ein Unternehmenssprecher der „Schwäbischen Zeitung“bestätigte.
Grund für die Aufgabe der Fabrik sei das Fehlen neuer Aufträge. In dem Werk, das ZF im Zuge der Übernahme von TRW im Jahr 2015 in den Konzern eingegliedert hatte, stellt das Unternehmen mit Sitz am Bodensee mechanisch und hydraulisch geprägte Lenkungen und Steuersysteme her. „Diese Produkte haben andere Wettbewerber schon vor Jahren in Niedriglohnländer verlagert“, sagte der ZF-Sprecher weiter. Gesamtbetriebsrat und IG Metall nannten das Vorgehen von ZF „unsäglich“.
- Ein Spaziergang von gerade mal zehn Minuten liegt in Gelsenkirchen zwischen der Glückauf-Kampfbahn und dem ZFWerk in der Freiligrathstraße 8. Das Stadion ist die langjährige Heimat des FC Schalke 04, des Vereins, dem seine Arbeitertradition so wichtig ist. Fast in Sichtweite, auf der anderen Seite der Autobahn 42, die Fabrik des drittgrößten Autozulieferers der Welt. Und vor dem Tor wütende Arbeiter.
Nicht mehr die Kumpel, die in den Zechen des Ruhrgebiets arbeiteten und dem FC Schalke zujubelten, bevor die billigere Kohle aus anderen Regionen der Welt ihre Jobs unrentabel machte. Sondern Techniker und Mechaniker, die in der industriell so ausgezehrten Region für den Konzern aus Friedrichshafen am Bodensee Lenkungen und Steuersysteme bauen. Zumindest noch bis Ende des Jahres. Denn ZF will das Werk im Gelsenkirchener Stadtteil Schalke Nord aufgeben.
„Aufgrund schwacher Auslastung und fehlender neuer Aufträge mussten wir unsere Beschäftigten darüber informieren, dass wir die Produktion am Standort voraussichtlich zum Jahresende einstellen müssen“, sagte ein Sprecher am Mittwoch. Davon betroffen seien rund 500 Beschäftigte, etwa 350 davon in der Produktion. Allen Mitarbeitern im Werk Gelsenkirchen, das ZF mit der Übernahme des US-Konzerns TRW 2015 in das Friedrichshafener Traditionsunternehmen eingegliedert hat, sollen nach Unternehmensangaben Arbeitsplätze an anderen Standorten des Konzerns angeboten werden.
IG Metall und Betriebsrat, die für die protestierenden Werker auf Schalke sprechen, kritisieren das Vorgehen von ZF als „unsäglich“, verweisen auf Zusagen, die der Konzern in Abrede stellt. Der Ton ist rau – denn es geht um Grundsätzliches: Es geht um die Frage, ob Industriearbeitsplätze in Deutschland eine Zukunft haben. Und darum, ob ZF als Stiftungskonzern eine besondere Verantwortung trägt.
ZF baut in Gelsenkirchen vor allem Steuersysteme für Autos, die mechanisch und hydraulisch geprägt sind. Die Produkte bieten nach Unternehmensangaben kaum Möglichkeiten, sie durch besondere Ausstattung aufzuwerten, was zur Folge hat, dass die Autohersteller allein über den Preis entscheiden, wer einen Auftrag erhält. „80 Prozent der weltweiten Produktion solcher Lenkungen findet deshalb in Niedriglohnländern statt“, erklärte ein ZF-Sprecher der „Schwäbischen Zeitung“. Die Aufträge, die ZF für Gelsenkirchen
In einigen Köpfen scheine noch die „alte amerikanische Vorgehensweise“verankert zu sein. ZF-Gesamtbetriebsratschef Achim Dietrich
gewonnen hat, liefen in diesem Jahr aus, neue habe das Unternehmen mit diesen Personalkosten nicht gewinnen können. „Bis April ist das Werk noch profitabel gewesen, das ist nun vorbei“, sagte der Sprecher weiter. Alle Verhandlungen über eine Verlagerung von anderen Produkten in die Fabrik neben der GlückaufKampfbahn seien gescheitert. „Diese Aufträge an anderen Standorten haben wir in Ausschreibungen zu Preisen gewonnen, die wir in Gelsenkirchen nicht wirtschaftlich darstellen können“, heißt es bei ZF.
Betriebsrat und IG Metall lehnen die Schließung des Standortes „entschieden“ab. „Schalke wurde mehrfach intern als Fabrik des Jahres ausgezeichnet und lieferte zuletzt eine Gewinnmarge von 15 Prozent“, sagt ZF-Gesamtbetriebsratsvorsitzender Achim Dietrich. „Dafür haben die Kollegen große Opfer gebracht und seit Jahren auf 14 Prozent ihres Tarifentgeltes verzichtet.“Frank Iwer, stellvertretender Aufsichtsratschef bei ZF und bei der IG Metall zuständig für die politische und strategische Planung, kritisiert, dass die Unternehmensleitung ihre Versprechen nicht eingehalten habe. „Wir haben die Zusage, dass bis Jahresende – und nicht bis Mitte Mai – ernsthaft an Lösungen für den Standort gearbeitet wird“, erklärt Iwer. „Seit fast einem Jahr werden die Kollegen jetzt hingehalten, mal mit leeren Versprechungen, mal mit Prüfaufträgen, die am Ende immer mit ,leider geht nicht‘ enden.“Das sei typisch für den Umgang in der „alten TRW-Welt“gewesen. „Bei ZF werden wir sowas nicht akzeptieren“, sagte Iwer weiter.
ZF erklärt dagegen, dass die „Zusagen bezüglich Produktionsverlagerungen an Bedingungen geknüpft waren, die sich nicht erfüllt haben“, wie der Sprecher erläuterte. „Einerseits hätte der Kunde der Verlagerung zustimmen müssen, andererseits hätte sich eine langfristig stabile Perspektive daraus ergeben müssen – beides war nicht der Fall.“
Für den neuen ZF-Chef WolfHenning Scheider, der im Februar die Nachfolge von Stefan Sommer angetreten hat, ist die Auseinandersetzung mit den Arbeitnehmern die erste Bewährungsprobe. Gesamtbetriebsratschef Dietrich weiß das genau – auch wenn, worauf ein ZF-Sprecher hinweist, die Verhandlungen über die Zukunft des Standortes schon lange vor der Zeit Scheiders begonnen haben. Der ranghöchste Arbeitnehmervertreter im Konzern versucht den neuen Vorstandschef, auf den besonderen Charakter von ZF als Stiftungsunternehmen zu verpflichten. „Wolf-Henning Scheider hat unsere volle Unterstützung dabei, die ZF-Kultur auch gegen Widerstände im Management durchzusetzen“, sagt Dietrich. In einigen Köpfen scheine noch die „alte amerikanische Vorgehensweise“von TRW verankert zu sein.
Die Arbeitnehmervertreter haben bei ihrem Kampf auch die im April vorgestellten Pläne von ZF im Kopf, im serbischen Pancevo für rund 100 Millionen Euro eine neue Fabrik zu errichten, in der elektronische Bauteile für die Elektromobilität hergestellt werden. Schon dieser
„Wir beschäftigen noch immer mehr als 50 000 Mitarbeiter in Deutschland, das ist eigentlich zu viel“, sagt ein ZF-Sprecher
Neubau in Osteuropa passt aus Sicht des Betriebsrats nicht zum bisher üblichen Vorgehen: Bislang verlagerte ZF in der Regel ältere Produkte ins Ausland und ließ neu entwickelte Systeme zuerst einmal in Deutschland produzieren. Bei der Fabrik in Pancevo ist das nun nicht der Fall. „Ein gut funktionierendes und wirtschaftlich erfolgreiches Werk in Deutschland schließen zu wollen und gleichzeitig neue Werke in Osteuropa zu bauen, zeugt weder von sozialer Verantwortung, noch von wirtschaftlichem Sachverstand“, erklärt Dietrich. „Die dahinter stehende Ideologie, Produktion in Deutschland habe keine Zukunft, darf sich nicht durchsetzen und passt schon gar nicht zu einem Stiftungsunternehmen wie ZF.“ZF verweist auf Wettbewerber, die solche Produkte, wie sie in Gelsenkirchen gebaut werden, schon längst in Niedriglohnländer verlagert hätten. „Wir beschäftigen von unseren rund 150 000 Mitarbeitern noch immer mehr als 50 000 in Deutschland, das ist eigentlich zu viel“, sagte der ZF-Sprecher der „Schwäbischen Zeitung“. „In den kommenden Jahren wird die Belegschaft in Deutschland deswegen eher abnehmen.“
Es ist die gleiche Geschichte, die die Kohlekumpel im Ruhrgebiet schon vor Jahrzehnten durchmachen mussten. Die von den ZF-Arbeitern in Gelsenkirchen gebauten Lenkungen entstehen in anderen Fabriken zu einem Bruchteil der Kosten. In Fabriken, die weit weg von der Glückauf-Kampfbahn von Schalke beheimatet sind.