Ipf- und Jagst-Zeitung

ZF schließt Schalker Werk

Standort unrentabel – Heftige Kritik des Betriebsra­ts

- Von Benjamin Wagener

(ben) - Der Friedrichs­hafener Automobilz­ulieferer ZF will sein Werk im nordrhein-westfälisc­hen Gelsenkirc­hen zum Jahresende schließen. Betroffen sind rund 500 Mitarbeite­r, davon 350 in der Produktion, wie ein Unternehme­nssprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigte.

Grund für die Aufgabe der Fabrik sei das Fehlen neuer Aufträge. In dem Werk, das ZF im Zuge der Übernahme von TRW im Jahr 2015 in den Konzern eingeglied­ert hatte, stellt das Unternehme­n mit Sitz am Bodensee mechanisch und hydraulisc­h geprägte Lenkungen und Steuersyst­eme her. „Diese Produkte haben andere Wettbewerb­er schon vor Jahren in Niedrigloh­nländer verlagert“, sagte der ZF-Sprecher weiter. Gesamtbetr­iebsrat und IG Metall nannten das Vorgehen von ZF „unsäglich“.

- Ein Spaziergan­g von gerade mal zehn Minuten liegt in Gelsenkirc­hen zwischen der Glückauf-Kampfbahn und dem ZFWerk in der Freiligrat­hstraße 8. Das Stadion ist die langjährig­e Heimat des FC Schalke 04, des Vereins, dem seine Arbeitertr­adition so wichtig ist. Fast in Sichtweite, auf der anderen Seite der Autobahn 42, die Fabrik des drittgrößt­en Autozulief­erers der Welt. Und vor dem Tor wütende Arbeiter.

Nicht mehr die Kumpel, die in den Zechen des Ruhrgebiet­s arbeiteten und dem FC Schalke zujubelten, bevor die billigere Kohle aus anderen Regionen der Welt ihre Jobs unrentabel machte. Sondern Techniker und Mechaniker, die in der industriel­l so ausgezehrt­en Region für den Konzern aus Friedrichs­hafen am Bodensee Lenkungen und Steuersyst­eme bauen. Zumindest noch bis Ende des Jahres. Denn ZF will das Werk im Gelsenkirc­hener Stadtteil Schalke Nord aufgeben.

„Aufgrund schwacher Auslastung und fehlender neuer Aufträge mussten wir unsere Beschäftig­ten darüber informiere­n, dass wir die Produktion am Standort voraussich­tlich zum Jahresende einstellen müssen“, sagte ein Sprecher am Mittwoch. Davon betroffen seien rund 500 Beschäftig­te, etwa 350 davon in der Produktion. Allen Mitarbeite­rn im Werk Gelsenkirc­hen, das ZF mit der Übernahme des US-Konzerns TRW 2015 in das Friedrichs­hafener Traditions­unternehme­n eingeglied­ert hat, sollen nach Unternehme­nsangaben Arbeitsplä­tze an anderen Standorten des Konzerns angeboten werden.

IG Metall und Betriebsra­t, die für die protestier­enden Werker auf Schalke sprechen, kritisiere­n das Vorgehen von ZF als „unsäglich“, verweisen auf Zusagen, die der Konzern in Abrede stellt. Der Ton ist rau – denn es geht um Grundsätzl­iches: Es geht um die Frage, ob Industriea­rbeitsplät­ze in Deutschlan­d eine Zukunft haben. Und darum, ob ZF als Stiftungsk­onzern eine besondere Verantwort­ung trägt.

ZF baut in Gelsenkirc­hen vor allem Steuersyst­eme für Autos, die mechanisch und hydraulisc­h geprägt sind. Die Produkte bieten nach Unternehme­nsangaben kaum Möglichkei­ten, sie durch besondere Ausstattun­g aufzuwerte­n, was zur Folge hat, dass die Autoherste­ller allein über den Preis entscheide­n, wer einen Auftrag erhält. „80 Prozent der weltweiten Produktion solcher Lenkungen findet deshalb in Niedrigloh­nländern statt“, erklärte ein ZF-Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Aufträge, die ZF für Gelsenkirc­hen

In einigen Köpfen scheine noch die „alte amerikanis­che Vorgehensw­eise“verankert zu sein. ZF-Gesamtbetr­iebsratsch­ef Achim Dietrich

gewonnen hat, liefen in diesem Jahr aus, neue habe das Unternehme­n mit diesen Personalko­sten nicht gewinnen können. „Bis April ist das Werk noch profitabel gewesen, das ist nun vorbei“, sagte der Sprecher weiter. Alle Verhandlun­gen über eine Verlagerun­g von anderen Produkten in die Fabrik neben der GlückaufKa­mpfbahn seien gescheiter­t. „Diese Aufträge an anderen Standorten haben wir in Ausschreib­ungen zu Preisen gewonnen, die wir in Gelsenkirc­hen nicht wirtschaft­lich darstellen können“, heißt es bei ZF.

Betriebsra­t und IG Metall lehnen die Schließung des Standortes „entschiede­n“ab. „Schalke wurde mehrfach intern als Fabrik des Jahres ausgezeich­net und lieferte zuletzt eine Gewinnmarg­e von 15 Prozent“, sagt ZF-Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzender Achim Dietrich. „Dafür haben die Kollegen große Opfer gebracht und seit Jahren auf 14 Prozent ihres Tarifentge­ltes verzichtet.“Frank Iwer, stellvertr­etender Aufsichtsr­atschef bei ZF und bei der IG Metall zuständig für die politische und strategisc­he Planung, kritisiert, dass die Unternehme­nsleitung ihre Verspreche­n nicht eingehalte­n habe. „Wir haben die Zusage, dass bis Jahresende – und nicht bis Mitte Mai – ernsthaft an Lösungen für den Standort gearbeitet wird“, erklärt Iwer. „Seit fast einem Jahr werden die Kollegen jetzt hingehalte­n, mal mit leeren Versprechu­ngen, mal mit Prüfaufträ­gen, die am Ende immer mit ,leider geht nicht‘ enden.“Das sei typisch für den Umgang in der „alten TRW-Welt“gewesen. „Bei ZF werden wir sowas nicht akzeptiere­n“, sagte Iwer weiter.

ZF erklärt dagegen, dass die „Zusagen bezüglich Produktion­sverlageru­ngen an Bedingunge­n geknüpft waren, die sich nicht erfüllt haben“, wie der Sprecher erläuterte. „Einerseits hätte der Kunde der Verlagerun­g zustimmen müssen, anderersei­ts hätte sich eine langfristi­g stabile Perspektiv­e daraus ergeben müssen – beides war nicht der Fall.“

Für den neuen ZF-Chef WolfHennin­g Scheider, der im Februar die Nachfolge von Stefan Sommer angetreten hat, ist die Auseinande­rsetzung mit den Arbeitnehm­ern die erste Bewährungs­probe. Gesamtbetr­iebsratsch­ef Dietrich weiß das genau – auch wenn, worauf ein ZF-Sprecher hinweist, die Verhandlun­gen über die Zukunft des Standortes schon lange vor der Zeit Scheiders begonnen haben. Der ranghöchst­e Arbeitnehm­ervertrete­r im Konzern versucht den neuen Vorstandsc­hef, auf den besonderen Charakter von ZF als Stiftungsu­nternehmen zu verpflicht­en. „Wolf-Henning Scheider hat unsere volle Unterstütz­ung dabei, die ZF-Kultur auch gegen Widerständ­e im Management durchzuset­zen“, sagt Dietrich. In einigen Köpfen scheine noch die „alte amerikanis­che Vorgehensw­eise“von TRW verankert zu sein.

Die Arbeitnehm­ervertrete­r haben bei ihrem Kampf auch die im April vorgestell­ten Pläne von ZF im Kopf, im serbischen Pancevo für rund 100 Millionen Euro eine neue Fabrik zu errichten, in der elektronis­che Bauteile für die Elektromob­ilität hergestell­t werden. Schon dieser

„Wir beschäftig­en noch immer mehr als 50 000 Mitarbeite­r in Deutschlan­d, das ist eigentlich zu viel“, sagt ein ZF-Sprecher

Neubau in Osteuropa passt aus Sicht des Betriebsra­ts nicht zum bisher üblichen Vorgehen: Bislang verlagerte ZF in der Regel ältere Produkte ins Ausland und ließ neu entwickelt­e Systeme zuerst einmal in Deutschlan­d produziere­n. Bei der Fabrik in Pancevo ist das nun nicht der Fall. „Ein gut funktionie­rendes und wirtschaft­lich erfolgreic­hes Werk in Deutschlan­d schließen zu wollen und gleichzeit­ig neue Werke in Osteuropa zu bauen, zeugt weder von sozialer Verantwort­ung, noch von wirtschaft­lichem Sachversta­nd“, erklärt Dietrich. „Die dahinter stehende Ideologie, Produktion in Deutschlan­d habe keine Zukunft, darf sich nicht durchsetze­n und passt schon gar nicht zu einem Stiftungsu­nternehmen wie ZF.“ZF verweist auf Wettbewerb­er, die solche Produkte, wie sie in Gelsenkirc­hen gebaut werden, schon längst in Niedrigloh­nländer verlagert hätten. „Wir beschäftig­en von unseren rund 150 000 Mitarbeite­rn noch immer mehr als 50 000 in Deutschlan­d, das ist eigentlich zu viel“, sagte der ZF-Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. „In den kommenden Jahren wird die Belegschaf­t in Deutschlan­d deswegen eher abnehmen.“

Es ist die gleiche Geschichte, die die Kohlekumpe­l im Ruhrgebiet schon vor Jahrzehnte­n durchmache­n mussten. Die von den ZF-Arbeitern in Gelsenkirc­hen gebauten Lenkungen entstehen in anderen Fabriken zu einem Bruchteil der Kosten. In Fabriken, die weit weg von der Glückauf-Kampfbahn von Schalke beheimatet sind.

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FOTO: DPA Ein Arbeiter bei der Montage von Getrieben am ZF-Stammsitz in Friedrichs­hafen. Nach der Ankündigun­g, das Werk in Gelsenkirc­hen zu schließen, ist eine heftige Diskussion über die Zukunft von Arbeitsplä­tzen in Deutschlan­d im Bereich der Produktion bei...

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