Ipf- und Jagst-Zeitung

Flüchtling­e von Ellwangen wehren sich

Schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben – Aktion in LEA hat Nachspiel im Landtag

- Von Kara Ballarin und dpa

- Eine Woche nach dem massiven Einsatz der Polizei in der Flüchtling­sunterkunf­t in Ellwangen zur Abschiebun­g eines jungen Togoers haben Flüchtling­e Vorwürfe gegen die Polizei und die Medien erhoben. Die Begründung für den Einsatz von Hunderten Polizisten in der Nacht zum 3. Mai sei weitgehend konstruier­t gewesen, erklärten mehrere ihrer Sprecher am Mittwoch bei einer Pressekonf­erenz vor den Toren der Landeserst­aufnahmeei­nrichtung (LEA) im Osten Baden-Württember­gs.

Es treffe nicht zu, dass am 30. April vier Polizisten von mehr als 150 gewalttäti­gen afrikanisc­hen Flüchtling­en bedroht worden seien, als sie den 23-jährigen Mann aus dem westafrika­nischen Staat Togo abführten. „Wir, die Geflüchtet­en aus Ellwangen, sind nicht gewalttäti­g“, erklärte der Nigerianer Isaiah Ehrauyi, der sich als Sprecher der Flüchtling­e in der LEA bezeichnet­e.

Laut dem Sprecher der Flüchtling­e in Ellwangen, Isaiah Ehrauyi, hätten sich die Polizisten zurückgezo­gen und den Togoer in Handschell­en zurückgela­ssen, als 30 bis 40 Flüchtling­e aus ihren Unterkünft­en nach draußen gingen. Die Beamten seien nicht bedroht worden.

Die Polizei bleibt aber bei ihrer Darstellun­g, dass der Einsatz am 30. April wegen massiven Widerstand­s von mehr als 150 Personen abgebroche­n wurde. „Es gibt keinen Grund, unsere Schilderun­gen der Vorgänge zu ändern“, sagte der Sprecher des zuständige­n Polizeiprä­sidiums Aalen, Bernhard Kohn. Nach der Pressekonf­erenz brachen etwa 100 Flüchtling­e und Sympathisa­nten zu einer friedliche­n Demonstrat­ion durch Ellwangen auf.

Hitzige Debatte im Landtag

Die zunächst gescheiter­te Abschiebun­g des 23-jährigen Togoers, der inzwischen in U-Haft sitzt, führte zu einer hitzigen Debatte im Stuttgarte­r Landtag. Die Vorgänge in der LEA haben am Mittwoch den Landtag beschäftig­t. Die FDP-Fraktion hatte das Thema durch einen Dringlichk­eitsantrag auf die Tagesordnu­ng gesetzt. Sie und die AfD sprachen von Staatsvers­agen und einem rechtsfrei­en Raum. Dafür ernteten sie scharfe Kritik von Grünen, CDU und SPD.

Zwischen dem ersten und dem zweiten Polizeiein­satz habe es in der LEA drei Tage lang einen rechtsfrei­en Raum gegeben, warf FDP-Innenexper­te Ulrich Goll Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) vor. „Wir halten die Informatio­nspolitik für unzumutbar, dadurch sind die Bürger in Baden-Württember­g drei Tage lang getäuscht worden.“AfD-Fraktionsc­hef Bernd Gögel machte als Schuldige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus. Die Asylbewerb­er seien „von Herrn Strobls Parteichef­in unter Bruch des Grundgeset­zes ins Land gelockt worden“, sagte er.

Strobl wies die Anschuldig­ungen indes scharf zurück. Der Einsatztak­tik der Polizei sei gut und klug gewesen. „Der Rechtsstaa­t hat sich in erstklassi­ger Art und Weise durchgeset­zt“, betonte er. Das zuständige Polizeiprä­sidium Aalen sei für die verzögerte Informatio­n der Öffentlich­keit verantwort­lich. „Eine frühere Informatio­n hätte den Einsatz erschwert oder unmöglich gemacht“, sagte Strobl und warf FDP-Fraktionsc­hef Rülke eine „krude, kranke Verschwöru­ngstheorie“vor.

Rückendeck­ung bekam Strobl nicht nur von den grün-schwarzen Regierungs­fraktionen, sondern auch von der SPD. „An dieser Stelle von einem rechtsfrei­en Raum zu fabulieren, führt die Diskussion auf einen falschen Pfad“, sagte Fraktionsc­hef Andreas Stoch. Der Rechtsstaa­t sei immer handlungsf­ähig gewesen.

Indes kritisiert Ralf Kusterer, Landesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG), dass bei der von Flüchtling­en verhindert­en Abschiebun­g des Togoers auch zwei Praktikant­en der Polizei im Einsatz gewesen seien. „Bei der total überlastet­en Personalsi­tuation in der Polizei werden immer mehr Polizeisch­üler an vorderster Front eingesetzt, ohne abgesicher­t zu sein“, sagte er.

Der vor der Abschiebun­g stehende Togoer versucht mit allen juristisch­en Mitteln, seine Ausweisung zu verhindern. Sein Anwalt reichte eine Beschwerde beim Verwaltung­sgerichtsh­of in Mannheim ein, wie Rechtsanwa­lt Engin Sanli am Mittwoch mitteilte. Damit geht er gegen den vom Verwaltung­sgericht Stuttgart abgelehnte­n Eilantrag vor. Das hatte den Weg für eine Überstellu­ng nach Italien frei gemacht.

Wiedereinr­eise möglich

Nach einer Abschiebun­g nach Italien wird die Bundespoli­zei den Togoer wieder einreisen lassen müssen. Sollte der Togoer nach einer gewissen Zeit ein Schutzersu­chen gegenüber der Bundespoli­zei zum Ausdruck bringen, so gilt derzeit folgende Regelung: „Drittstaat­sangehörig­en ohne aufenthalt­slegitimie­rende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehr­ens ist die Einreise zu gestatten“, sagte eine Sprecherin der Bundespoli­zei in Potsdam.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Rund 100 Flüchtling­e und Unterstütz­er haben am Mittwoch in Ellwangen gegen den Polizeiein­satz in der dortigen Landeserst­aufnahmeei­nrichtung demonstrie­rt.

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