Brüche und Brücken
Das Eifman Ballett St. Petersburg tanzt beim Bodenseefestival Puschkins „Eugen Onegin“
- Die großen Gefühle bleiben, doch die Art des künstlerischen Ausdrucks wandelt sich: Zu erleben war dies in der Umsetzung von Puschkins Versroman „Eugen Onegin“durch den Choreographen Boris Eifman und seine in St. Petersburg beheimatete Ballettkompanie. Für zwei Abende gastierte sie im Rahmen des Bodenseefestivals im Graf-Zeppelin-Haus.
Die Silhouette einer Brücke mit ausladenden Stahlträgern bildet den Hintergrund, ein paar Sitzbänke, wenige Accessoires reichen aus, die Beleuchtung – taghell, nachtblau, rot – intensiviert die Stimmungen. Eine elegante Festgesellschaft tanzt klassisch zu Tschaikowskys mächtigem Klavierkonzert, die Damen in knielangen, schwingenden schwarzen Kleidern und mit kecken dunklen Pagenköpfen, die Herren mit lang geschnitten Jacken. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass diese erste Szene wohl vorausweist: Tatjana tanzt mit ihrem Gatten, einem blinden General, die kurze (Wieder-)Begegnung mit Onegin kündet von Unheil.
Wandelbare Sprache des Tanzes
Aus der festlich romantischen Szene blendet Eifman mit Musik und Kostümen in die jüngere Zeit: Fernsehbilder von 1991 flimmern im Hintergrund, der Putsch gegen Michail Gorbatschow, Panzer, Demonstrationen, Reden von Boris Jelzin werden gezeigt, junge Menschen kämpfen auf der Bühne, wilde Sprünge, Fauststöße, Rockmusik bringen eine andere Energie. Immer wieder gibt es diese Brüche zwischen Musik von Tschaikowsky, die die Südwestdeutsche Philharmonie unter der Leitung von Yannis Pouspourikas mit großer Wärme musiziert, und der von Alexander Sitkovetsky komponierten neuen Musik. Entsprechend wandelbar und faszinierend ist auch die Sprache des Tanzes. Boris Eifman transportiert Puschkins romantische Charaktere in unsere Zeit, erzählt die ewig gültigen Geschichten von jugendlicher Schwärmerei, zurückgewiesener Liebe, Männerfreundschaft, Eifersucht, Mord, Begehren und Stolz auf neue und spannende Weise. Die Tänzerinnen und Tänzer des Petersburger Ensembles beherrschen die auf dem klassisch-modernen Stil beruhende Bewegungssprache in all ihren Facetten, in der Gruppe wie in ausdrucksstarken Solound Duo-Szenen.
Die große Briefszene der Tatjana, in der die junge Frau ihre Gefühle gegenüber dem kalt abweisenden Onegin offenbart, steht, wie auch in der gleichnamigen Oper von Tschaikowsky, im Zentrum des ersten Teils. Am Ende schreibt auch Onegin, gezeichnet vom Mord an seinem Freund Lenski und gepeinigt von Alpträumen, einen Brief an Tatjana – vergeblich, sie ist gebunden an den dominanten General.
Eifmans Choreographie ist härter, vielschichtiger als die berühmte Version von John Cranko. Die stilistische Verschränkung von alt und neu, von Traum und Wirklichkeit auf der Suche nach der oft berufenen russischen Seele lässt den Betrachter eintauchen in die Charaktere der Figuren.