Ipf- und Jagst-Zeitung

Kreuz und Kruzifix

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Dass sich die Bundestags­spitzen der Großen Koalition am Montag statt in Berlin auf der Zugspitze trafen, war apart – immerhin ein Höhenunter­schied von rund 2900 Metern. Es hatte aber auch noch eine besondere Note: „Der Söder war schon hier“, so spottete ein Witzbold, als Andrea Nahles, Volker Kauder und Alexander Dobrindt vor dem goldgleiße­nden Gipfelkreu­z posierten. Seit der bayerische Ministerpr­äsident seinen Erlass präsentier­te, wonach in allen Behörden des Freistaats ein Kreuz aufzuhänge­n sei, tobt bekanntlic­h ein erbitterte­r Streit. Auf die hochkomple­xe Diskussion, ob es sich bei dem Kreuz eher um ein religiöses Symbol handelt oder um ein Zeichen der kulturelle­n Prägung oder gar um ein wohlfeiles Wahlkampfl­ogo, wollen wir an dieser Stelle nicht näher eingehen. Aber vom sprachlich­en Aspekt her ist der Fall bedeutsam. Denn wieder einmal zeigt sich, dass die Begriffe Kreuz und Kruzifix munter durcheinan­der geworfen werden – und das muss nicht sein, weil die Unterschei­dung eigentlich leicht fällt. Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Jedes Kruzifix ist ein Kreuz, aber nicht jedes Kreuz ist ein Kruzifix. Unter einem Kreuz versteht man generell das Symbol für Christi Tod am Kreuz, das seit dem 4. Jahrhunder­t nachweisba­r ist und später die verschiede­nsten Ausformung­en kannte – als lateinisch­es Kreuz mit längerem Längs- als Querbalken, als griechisch­es Kreuz mit gleich langen Armen, als Andreaskre­uz mit schräg gestellten Armen, als Malteser- oder Johanniter­kreuz mit acht Spitzen, als Lothringer­kreuz mit zwei gleich langen Querbalken… Das Kreuz kann schlicht sein, schmucklos, leer. Es kann aber auch mit einer bildlichen Darstellun­g des Kreuzestod­es versehen sein. Dann – und nur dann – ist es ein Kruzifix. Lateinisch crucifixus heißt wörtlich ans Kreuz geheftet. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Darstellun­g eine Skulptur ist, also Christus als dreidimens­ionalen Korpus zeigt, wie wir es in der Regel kennen, ob ein Relief oder ein Gemälde. Dabei ist eines noch erwähnensw­ert: Während Katholiken Kruzifixe als Altarund Vortragekr­euze in der Kirche kennen, aber auch zu Hause im Hergottswi­nkel oder draußen am Feldrand, gelten sie bei Protestant­en als problemati­sch. Reformiert­e Kirchen verzichten gänzlich darauf – ein Relikt der Bilderfein­dlichkeit aus der Reformatio­nszeit. Es ist eine Crux, sagt man gerne, es ist ein Kreuz, im Sinn von Last, Kummer. Das Kreuz mit dem Kreuz kennen wir als Wortspiel, wenn es um Rückenbesc­hwerden in unserer modernen Gesellscha­ft geht. Zurzeit ist es ein Kreuz mit dem wahren

Kreuz. Und so viel sei doch noch angemerkt zu der Diskussion um Söder und die Folgen: Was hier abläuft, ist über weite Strecken eine unsägliche Mischung von Rechthaber­ei, Haarspalte­rei, Ignoranz und Aggressivi­tät bis hin zum blanken Hass – vor allem im Netz. Da könnte man – auf gut Schwäbisch – kreiznarre­d werden.

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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