Vom Zarenreich über die Sowjetunion nach London
Musikalische Zeitreise mit dem Atrium-Quartett im Tettnanger Barockschloss
- Eine reizvolle musikalische Zeitreise mit Werken russischer Tonsetzer präsentierte das aus Petersburg stammende AtriumQuartett im Rittersaal des Tettnanger Barockschlosses. Passend zum Gastland des diesjährigen Bodenseefestivals, in dessen Rahmen das Konzert stattfand, erklangen Kompositionen von Anton Arensky, Sergej Rachmaninow und Dmitri Schostakowitsch. In die Gegenwart führte zudem das zweite Streichquartett von Gabriel Prokofiev, dem 1975 in London als Enkel von Sergej Prokofjew geborenen zweiten „Artist in Residence“des Festivals.
Im Gedenken an den ein Jahr zuvor verstorbenen Komponistenfreund Pjotr Tschaikowsky schrieb Arensky 1894 sein Streichquartett Nr. 2 a-Moll. Der Mittelsatz besteht aus Variationen über ein Thema des älteren Kollegen. Arensky wurde 1861 geboren, lernte bei Nikolaj Rimsky-Korsakow und war seinerseits Lehrer von Alexander Skrjabin, Rachmaninow und Reinhold Glière. Er starb Anfang 1906 – ein halbes Jahr bevor Schostakowitsch auf die Welt kam. Im internationalen Musikbetrieb ist Arensky vor allem mit seinen Klaviertrios präsent geblieben.
Nikita Boriso-Glebsky und Anton Ilyunin (Violinen), Dmitry Pitulko (Viola) und Anna Gorelova (Violoncello) eröffneten Arenskys Tschaikowsky-Hommage mit fein abgetönten Klangschleiern. Bei Steigerungen kam etwas Schärfe ins Spiel, während traumverlorene Stellen zauberhaft gelangen. Wie von fern rückte im Variationssatz das leise Thema eindrucksvoll näher und wurde mannigfach bis hin zu gläsern anmutenden Flageolett-Passagen verwandelt. Der Finalsatz führte packend vom breiten Melodiestrom der russischen Totenmesse über energische Fugato-Gesten zum effektvollen Schluss.
Gabriel Prokofievs Streichquartett von 2006 möchte urbanes Lebensgefühl vermitteln. Prokofiev ist auch als Produzent elektronischer Tanzmusik für Clubs tätig und hat seine Erfahrungen mit Techno, House und Hip-Hop hörbar einfließen lassen in die rhythmisch pulsierenden, dynamisch wirkungsvoll gestaffelten, auch von Minimal Music inspirierten Klangfelder. Mit ihren überraschend einbrechenden Fortissimo-Attacken, plötzlichen Pausen, Ostinato-Figuren und seufzenden, teils pfeifend hohen Glissandi. Auch geschlagene Akkorde wie beim Gitarrenspiel kommen im groovenden Finale zum Einsatz. Das AtriumQuartett offerierte die gekonnte Übertragung solcher Stilistik auf instrumentale und klangliche Möglichkeiten der Streicherbesetzung mit Verve und Präzision.
Virtuose Perfektion
Als bemerkenswertes Stück entpuppte sich Rachmaninows zweites Quartett, ein Fragment gebliebenes Jugendwerk, das erst nach dem Tod des Komponisten ergänzt wurde. Besonders der geniale Passacaglia-Satz, der auf einer permanent auf- und niedersteigenden Moll-Tonleiterhälfte basiert, entfaltete eine fast orchestrale Opulenz. Köstlich ausgehört und mit virtuoser Perfektion glückte die Interpretation des Streichquartetts Nr. 8 von Schostakowitsch.
Nach diesem berührenden Stück mit autobiographischem Hintergrund – auf das eröffnende „D-Es-CH“-Motto der Anfangsbuchstaben von Schostakowitschs Name folgen zahlreiche Zitate aus eigenen Werken – verbreitete das Atrium-Quartett mit dem brillant gespielten Finale aus dem ersten Streichquartett des Komponisten gute Laune.