Ipf- und Jagst-Zeitung

„Das grenzt schon an Ignoranz“

Im Pestizid-Streit mit Minister Hauk fordert Nabu-Chef Johannes Enssle ein Machtwort des Ministerpr­äsidenten

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- Den ersten Pestizidbe­richt für Baden-Württember­g hatte der Naturschut­zbund (Nabu) Ende März vorgelegt – Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) warf dem Verband daraufhin „Bauernmobb­ing“vor und sagte, den Bürger gehe es nichts an, was der Landwirt an Pestiziden ausbringt – eine Aussage, die er wieder zurücknahm. Dennoch sind die Fronten verhärtet, sagt der NabuLandes­vorsitzend­e Johannes Enssle im Gespräch mit Kara Ballarin.

Herr Enssle, vor zwei Monaten haben Sie den ersten Pestizidbe­richt für Baden-Württember­g vorgelegt. Das Verhältnis mit CDU-Agrarminis­ter Peter Hauk war daraufhin vergiftet. Hat sich seitdem etwas getan?

Wir hatten um ein Gespräch gebeten – und mit der Fachabteil­ung nun endlich einen Termin bekommen. Mehr Transparen­z beim Pestizidei­nsatz, wie wir es fordern, soll es aber nicht geben. Laut Ministeriu­m braucht es kein Pestizid-Monitoring, denn es würden ja schon die Rückstände im Grundwasse­r und in den Lebensmitt­eln kontrollie­rt.

Ist das nicht entscheide­nd?

Das ist eine Blackbox-Methode: Es wird nur geschaut, was unten rauskommt, nicht was oben ins System rein geht und was dazwischen passiert. Dass das genügen soll, wundert uns schon, denn das Land will eine Pestizidre­duktionsst­rategie starten. Dafür braucht es klare Ziele und messbare Indikatore­n. Sowas hat doch jedes Unternehme­n. Das Ministeriu­m sagt, zunächst brauche es ein Insektenmo­nitoring um festzustel­len, ob die Pestizide wirklich schuld sind am Rückgang der Insekten. Das ist absurd. Dann machen wir jetzt zehn Jahre ein Monitoring und wissen, dass die Insekten nicht mehr da sind. Fachleute sind sich ziemlich einig, dass Pestizide einen starken Einfluss haben. Das zu verkennen, grenzt schon an Ignoranz. Natürlich müssen wir weiter forschen, aber das darf nicht verhindern, dass jetzt gehandelt wird.

Minister Hauk wirft Ihnen vor, eine unsaubere Datenbasis zu haben. Ihren Pestizidbe­richt haben sie auf Zahlen für ganz Deutschlan­d gestützt und dann den Wert für Baden-Württember­g abgeleitet. Das Institut, auf dessen Zahlen Sie sich stützen, kritisiert das auch als unzulässig Sicht. aus wissenscha­ftlicher

Es sind die besten Zahlen, die derzeit verfügbar sind. Jeder, der sagt, die Zahlen sind nicht gut genug, sollte erstmal bessere Zahlen vorlegen. Das ist ja genau das, was wir von Minister Hauk fordern, und es ist genau das, was mich so verrückt macht. Man hat das Gefühl, das Ministeriu­m will etwas verheimlic­hen.

Und was sehen Sie als Grund für die Blockadeha­ltung?

Wenn man misst, wieviel Gift vorne ins System reinkommt, würde man an der Quelle ansetzen – an dem, was Landwirte wirklich ausbringen. Das würde eine offene Diskussion in Gang setzen: Brauchen wir wirklich so viele Giftstoffe? Wir fordern eine Halbierung bis 2025. Über eine Petition an den Landtag unter www.nabu-bw.de/pestizide sammeln wir dafür Unterschri­ften. Ich glaube, es wird gemauert, weil man dann handfest über Zahlen reden müsste. Und das wäre ungemütlic­h.

Herr Hauk wirft Ihnen Mobbing der Landwirte vor – genau für solche Aussagen.

Ich sehe das als Ablenkungs­manöver. Wir geben in der EU 40 Prozent aller Steuereinn­ahmen für Subvention­en an die Landwirtsc­haft aus, trotzdem sterben die Bauernhöfe, trotzdem gehen unsere Kulturland­schaften und viele Arten verloren. Ein klassische­s Politikver­sagen! Ich kann verstehen, dass sich manche Bauern angegriffe­n fühlen, aber es wäre ein Zeichen von Größe, wenn sie selbstkrit­isch prüften, was am heutigen Agrarsyste­m im Argen liegt. Dann könnten Bauern und Naturschüt­zer Partner für eine Landwirtsc­haft werden, die besser für die Natur und besser für den Menschen ist.

Die Grünen sind der Seniorpart­ner in der Landesregi­erung. Warum lassen sie Hauk gewähren?

Das ist ein klassische­r Fall von: Wir spucken Euch nicht in die Suppe und ihr uns nicht. Ich wünsche mir ein Machtwort vom Ministerpr­äsidenten. Dazu habe ich ihm bereits einen Brief geschriebe­n. Ich weiß, dass die Fraktionen von Grünen und CDU hinter verschloss­enen Türen um eine Strategie zur Pestizidre­duktion ringen. Ich kann nur hoffen, dass da was dabei rauskommt.

Was kann das Land ohne den Bund regeln?

Einiges: Baden-Württember­g ist zum Beispiel Eigentümer von 33 000 Hektar landwirtsc­haftlicher Flächen. Hier fordern wir, dass völlig auf den Einsatz von Pestiziden verzichtet wird. Auch da hat man Angst vor den Landwirten, aber mit einer entspreche­nden Übergangsz­eit, oder mit einer Beschränku­ng auf neue Pachtvertr­äge, wäre das machbar. Und warum stellt man die staatliche Rothaus-Brauerei nicht auf Bio um? All das und vieles mehr könnte das Land ganz einfach regeln. Die Bürgerinne­n und Bürger erwarten, dass was passiert.

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FOTO: DPA Der Nabu-Landesvors­itzende Johannes Enssle wirft dem Ministeriu­m Heimlichtu­erei vor.

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