Kleine Schläge unter Freunden
Wie vier Kumpels, eine mies gelaunte Freundin und ein Schlauchboot zum Fall fürs Amtsgericht werden
Dieser heiße Julitag im letzten Jahr, wie schön hätte der sein können: Vier Freunde in Lindau an den Gestaden des Bodensees, ganz entspannt. Ein paar Kästen Bier und ein Gummiboot unbekannter Farbe. Das sind die Zutaten, mit deren Hilfe das Quartett „chillen“will. „Einfach mal ein paar Halbe trinken“, wird ein Mitglied der Clique später im Amtsgericht mit breitem Grinsen sagen. Doch mit entspannten Stunden im sommerlichen Sonnenlicht wird es nichts; irgendwann taucht die Freundin eines 32-jährigen Mitfeiernden auf. Und die hat so richtig schlechte Laune. Genau weiß später keiner mehr, um was es eigentlich ging, weil „ich hatte da schon einen Alkoholpegel vom anderen Stern“, muss sich die Richterin anhören.
Jedenfalls brüllt sich das Paar wenig später am Strand gegenseitig an, wobei es offenbar um die Besitzverhältnisse des Schlauchboots geht. Nichts Genaues weiß man nicht. Und als die männliche Hälfte des geifernden Duos handgreiflich zu werden droht, erwacht in seinem 21 Jahre alten Kumpel der Beschützerinstinkt. Nach allgemeinem Bekunden ist die Stimmung da schon recht brenzlig, obwohl die Freundin sich entnervt zurückzieht – ohne Schlauchboot, aber mit Wut im Bauch. Der Stimmung beim 32-Jährigen hat der Stress mit der Schlauchbootfreundin überhaupt nicht gutgetan, sodass lange nach dem Verschwinden der weiblichen Ursache des Aufruhrs dann doch noch die Fäuste fliegen. Aber dabei bleibt es nicht: Am Ende zerschellt eine Bierflasche über dem linken Ohr des 32Jährigen. Sie hinterlässt eine Platzwunde, die später im Krankenhaus genäht wird.
Vor dem Hintergrund, dass die Geschichte in Bayern spielt, wäre sie fast schon amüsant. Kommt es doch gerade im Freistaat gelegentlich vor, dass sich bei kontroversen Zusammenkünften unter alkoholischem Einfluss Kontrahenten den Maßkrug an den Kopf werfen. Im medizinischjuristischen Sinn ist eine solche Tat natürlich alles andere als lustig. Zum einen, weil an so einer Bierflasche mitunter eher der Schädel als das Glas bricht. Zum anderen, weil Strafverfolgungsbehörden bei gefährlicher Körperverletzung – und nichts anderes ist so eine Bierflaschenattacke – in Aktion treten müssen.
Das ist letztendlich der Grund, warum sich an einem sonnigen Tag im Mai knapp ein Jahr später alle noch einmal treffen. Und zwar in Saal Nummer 1 des Amtsgerichts Lindau: Der 21-jährige, der sich selbst als arbeitssuchend bezeichnet, was die Richterin ihm aber nicht glauben will. Der 32-Jährige, dessen kaum zu bändigende Frisur einer Yuccapalme nicht unähnlich ist und die die Richterin am Ende des Prozesses zu einer Bemerkung verleiten wird. Außerdem zwei weitere Kumpels, 18 und 20 Jahre alt, deren Fusselbärtigkeit zwar auf ihre Unreife schließen lässt, die sich sonst aber tadellos vor dem hohen Gericht präsentieren.
Angeklagter sowie Bierflaschenopfer kommen nicht unvorbereitet: Im Vorfeld der Verhandlung haben sich die beiden bereits ausgesöhnt. Er werde ihn zu einem Bier einladen, sagt der Angeklagte mehrfach. Zwischen den beiden herrscht eitel Sonnenschein. Wenn da nicht die Richterin wäre, die eine gewisse Düsternis auf die sich als unzertrennliche Kumpel gebärdenden jungen Männer fallen lässt. Das mit der Bierflasche sei ja eigentlich so eine Art Notwehr gewesen, will der Angeklagte mit seinen Gesten vermitteln. Die Hand mit der Bierflasche habe er zur Abwehr eines Fausthiebs erhoben. Oder anders gesagt: Der Geschädigte hat sich im Prinzip mit dem Kopf gegen die Bierflasche seines Freundes geworfen. Das kann der verletzte Kumpel, an dessen Haupt die Pulle zerschellte, weder bejahen noch verneinen, denn: „Ich weiß nur noch von anderen Leuten, was da gewesen sein soll.“Einfach zu betrunken, um sich zu entsinnen. Als der Geschädigten als Zeugen entlassen wird, wünscht dieser einen angenehmen Tag, worauf die Richterin sagt: „Schöne Frisur haben Sie da.“Mit dem Verlesen der gerichtlichen Eskapaden aus der Vergangenheit des 21-jährigen Angeklagten verfliegt die bisweilen fröhliche Stimmung zusehends. Der junge Mann hat nicht zum ersten Mal Ärger wegen Gewalt bekommen – sei sie nun körperlich oder verbal. Auch eine Woche Arrest hat ihn bislang nicht zur Umkehr veranlasst. Und so fordert der Staatsanwalt sechs Monate Jugendstrafe – zur Bewährung, sowie 60 Stunden gemeinnützige Arbeit.
Wink mit dem Zaunpfahl
„Ich hatte da schon einen Alkoholpegel vom anderen Stern.“
Das Jugendschöffengericht setzt am Ende in seinem Urteil sogar noch einen drauf: acht Monate und 80 Stunden. „Sie haben ja genug Zeit, wenn Sie nicht arbeiten“, sagt die Vorsitzende und winkt dem 21-Jährigen noch einmal mit dem symbolischen Zaunpfahl. „Sie haben seit eineinhalb Jahren keinen Job, obwohl die Wirtschaft brummt und junge Leute, die zupacken können, händeringend gesucht werden.“Die Phase des Rumhängens solle nun langsam zu Ende gehen. Außerdem komme mit seinem nächsten Geburtstag auch das Jugendstrafrecht nicht mehr infrage. „Zeit, an sich zu arbeiten“, sagt die Richterin und schließt die Verhandlung, während draußen schönstes Biergartenwetter herrscht.
Einer der Angeklagten vor dem Amtsgericht Lindau