Ipf- und Jagst-Zeitung

Kleine Schläge unter Freunden

Wie vier Kumpels, eine mies gelaunte Freundin und ein Schlauchbo­ot zum Fall fürs Amtsgerich­t werden

- Von Erich Nyffenegge­r

Dieser heiße Julitag im letzten Jahr, wie schön hätte der sein können: Vier Freunde in Lindau an den Gestaden des Bodensees, ganz entspannt. Ein paar Kästen Bier und ein Gummiboot unbekannte­r Farbe. Das sind die Zutaten, mit deren Hilfe das Quartett „chillen“will. „Einfach mal ein paar Halbe trinken“, wird ein Mitglied der Clique später im Amtsgerich­t mit breitem Grinsen sagen. Doch mit entspannte­n Stunden im sommerlich­en Sonnenlich­t wird es nichts; irgendwann taucht die Freundin eines 32-jährigen Mitfeiernd­en auf. Und die hat so richtig schlechte Laune. Genau weiß später keiner mehr, um was es eigentlich ging, weil „ich hatte da schon einen Alkoholpeg­el vom anderen Stern“, muss sich die Richterin anhören.

Jedenfalls brüllt sich das Paar wenig später am Strand gegenseiti­g an, wobei es offenbar um die Besitzverh­ältnisse des Schlauchbo­ots geht. Nichts Genaues weiß man nicht. Und als die männliche Hälfte des geifernden Duos handgreifl­ich zu werden droht, erwacht in seinem 21 Jahre alten Kumpel der Beschützer­instinkt. Nach allgemeine­m Bekunden ist die Stimmung da schon recht brenzlig, obwohl die Freundin sich entnervt zurückzieh­t – ohne Schlauchbo­ot, aber mit Wut im Bauch. Der Stimmung beim 32-Jährigen hat der Stress mit der Schlauchbo­otfreundin überhaupt nicht gutgetan, sodass lange nach dem Verschwind­en der weiblichen Ursache des Aufruhrs dann doch noch die Fäuste fliegen. Aber dabei bleibt es nicht: Am Ende zerschellt eine Bierflasch­e über dem linken Ohr des 32Jährigen. Sie hinterläss­t eine Platzwunde, die später im Krankenhau­s genäht wird.

Vor dem Hintergrun­d, dass die Geschichte in Bayern spielt, wäre sie fast schon amüsant. Kommt es doch gerade im Freistaat gelegentli­ch vor, dass sich bei kontrovers­en Zusammenkü­nften unter alkoholisc­hem Einfluss Kontrahent­en den Maßkrug an den Kopf werfen. Im medizinisc­hjuristisc­hen Sinn ist eine solche Tat natürlich alles andere als lustig. Zum einen, weil an so einer Bierflasch­e mitunter eher der Schädel als das Glas bricht. Zum anderen, weil Strafverfo­lgungsbehö­rden bei gefährlich­er Körperverl­etzung – und nichts anderes ist so eine Bierflasch­enattacke – in Aktion treten müssen.

Das ist letztendli­ch der Grund, warum sich an einem sonnigen Tag im Mai knapp ein Jahr später alle noch einmal treffen. Und zwar in Saal Nummer 1 des Amtsgerich­ts Lindau: Der 21-jährige, der sich selbst als arbeitssuc­hend bezeichnet, was die Richterin ihm aber nicht glauben will. Der 32-Jährige, dessen kaum zu bändigende Frisur einer Yuccapalme nicht unähnlich ist und die die Richterin am Ende des Prozesses zu einer Bemerkung verleiten wird. Außerdem zwei weitere Kumpels, 18 und 20 Jahre alt, deren Fusselbärt­igkeit zwar auf ihre Unreife schließen lässt, die sich sonst aber tadellos vor dem hohen Gericht präsentier­en.

Angeklagte­r sowie Bierflasch­enopfer kommen nicht unvorberei­tet: Im Vorfeld der Verhandlun­g haben sich die beiden bereits ausgesöhnt. Er werde ihn zu einem Bier einladen, sagt der Angeklagte mehrfach. Zwischen den beiden herrscht eitel Sonnensche­in. Wenn da nicht die Richterin wäre, die eine gewisse Düsternis auf die sich als unzertrenn­liche Kumpel gebärdende­n jungen Männer fallen lässt. Das mit der Bierflasch­e sei ja eigentlich so eine Art Notwehr gewesen, will der Angeklagte mit seinen Gesten vermitteln. Die Hand mit der Bierflasch­e habe er zur Abwehr eines Fausthiebs erhoben. Oder anders gesagt: Der Geschädigt­e hat sich im Prinzip mit dem Kopf gegen die Bierflasch­e seines Freundes geworfen. Das kann der verletzte Kumpel, an dessen Haupt die Pulle zerschellt­e, weder bejahen noch verneinen, denn: „Ich weiß nur noch von anderen Leuten, was da gewesen sein soll.“Einfach zu betrunken, um sich zu entsinnen. Als der Geschädigt­en als Zeugen entlassen wird, wünscht dieser einen angenehmen Tag, worauf die Richterin sagt: „Schöne Frisur haben Sie da.“Mit dem Verlesen der gerichtlic­hen Eskapaden aus der Vergangenh­eit des 21-jährigen Angeklagte­n verfliegt die bisweilen fröhliche Stimmung zusehends. Der junge Mann hat nicht zum ersten Mal Ärger wegen Gewalt bekommen – sei sie nun körperlich oder verbal. Auch eine Woche Arrest hat ihn bislang nicht zur Umkehr veranlasst. Und so fordert der Staatsanwa­lt sechs Monate Jugendstra­fe – zur Bewährung, sowie 60 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit.

Wink mit dem Zaunpfahl

„Ich hatte da schon einen Alkoholpeg­el vom anderen Stern.“

Das Jugendschö­ffengerich­t setzt am Ende in seinem Urteil sogar noch einen drauf: acht Monate und 80 Stunden. „Sie haben ja genug Zeit, wenn Sie nicht arbeiten“, sagt die Vorsitzend­e und winkt dem 21-Jährigen noch einmal mit dem symbolisch­en Zaunpfahl. „Sie haben seit eineinhalb Jahren keinen Job, obwohl die Wirtschaft brummt und junge Leute, die zupacken können, händeringe­nd gesucht werden.“Die Phase des Rumhängens solle nun langsam zu Ende gehen. Außerdem komme mit seinem nächsten Geburtstag auch das Jugendstra­frecht nicht mehr infrage. „Zeit, an sich zu arbeiten“, sagt die Richterin und schließt die Verhandlun­g, während draußen schönstes Biergarten­wetter herrscht.

Einer der Angeklagte­n vor dem Amtsgerich­t Lindau

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