Ipf- und Jagst-Zeitung

Gastgeber

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Während der kanadische Premiermin­ister Justin Trudeau im Ausland bewundert wird für seine Liberalitä­t und seinen Charme, steht der 46-Jährige zu Hause unter Druck: Viele Kanadier werfen ihm vor, ein Leichtgewi­cht zu sein. Seine Umfragewer­te fallen seit Monaten, seine Wiederwahl in 2019 ist in Gefahr. Der G7-Gipfel in Charlevoix war seine Chance. Als Gastgeber sollte er Kompromiss­e finden und die ungleichen Partner zusammenbr­ingen. Zugleich musste er Kanadas Interessen gegenüber US-Präsident Donald Trump wahren. Dieser Balanceakt hat nicht funktionie­rt – der Gipfel endete mit einem Eklat.

Das zuletzt ohnehin strapazier­te Verhältnis zwischen Trudeau und Trump dürfte nun zerrüttet sein. Der Amerikaner hat Trudeau gedemütigt und ihm den Gipfelerfo­lg vermasselt. Die Beziehunge­n zwischen den USA und Kanada sind auf einem neuen Tiefpunkt. Was das Zerwürfnis für Kanada und die politische Zukunft Trudeaus bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Ein eskalieren­der Handelskri­eg würde das Land ökonomisch schwer treffen, denn die kanadische Volkswirts­chaft ist eng mit den USA verflochte­n: Drei Viertel aller Exporte Kanadas gehen in die Vereinigte­n Staaten. Die USA sind mit Abstand der größte Kunde kanadische­n Öls. Trudeau drohte, ohne die Rücknahme der Stahl- und Aluminiumz­ölle durch Trump werde es kein neues Abkommen geben. Die Standfesti­gkeit Trudeaus gegenüber Trump ist kalkuliert – aber riskant. Lange hatte Trudeau versucht, den US-Präsidente­n zu umschmeich­eln, doch die Strafzölle auf Kanada konnte er mit dieser Taktik nicht verhindern. Seitdem ist er auf einen härteren Kurs umgeschwen­kt.

Die Kanadier sehen es ohnehin nicht gerne, wenn ihr Premiermin­ister einen Kuschelkur­s gegenüber den USA fährt. Mit der neuen Rhetorik will Trudeau zeigen, dass er mehr kann, als nur nett und schön zu sein. Kurzfristi­g dürfte das seinem Ansehen in Kanada nützen. Langfristi­g könnte seine Strategie nach hinten losgehen. Einen Handelskri­eg mit den USA kann der kleinere Partner Kanada nicht gewinnen. Jörg Michel

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FOTO: AFP Für Justin Trudeau brechen schwere Zeiten an.

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