Ipf- und Jagst-Zeitung

Emotionale­s Kammerspie­l

Ulmer Tanzfestiv­al „Ulm Moves!“mit Maura Morales’ Stück „Phädra“eröffnet

- Von Alexandra Karabelas

- Harte Kost erhielt das Publikum am Eröffnungs­abend des Tanzfestiv­als „Ulm Moves!“. Maura Morales’ Tanzstück „Phädra – die Virtuositä­t des Leidens“erzählt zeitlos, verdichtet und tänzerisch grandios vom Tabu, den Stiefsohn zu begehren. Das Gastspiel der in Düsseldorf lebenden Kubanerin war ein mutiger Auftakt eines Kulturfest­ivals, das es sich zur Aufgabe gemacht hat – fern der Tanzhochbu­rgen Stuttgart, München oder Nürnberg –, alle zwei Jahre den Ulmern den zeitgenöss­ischen Tanz nahezubrin­gen.

Morales zeigte mit ihrem Stück was die Kunst des zeitgenöss­ischen Tanzes zu leisten vermag. So verwandelt­e die mehrfach ausgezeich­nete Tänzerin und Choreograf­in ihre „Phädra“-Inszenieru­ng durch starke, grenzübers­chreitende Bilder in eine Arena. Extreme emotionale und mentale Zustände wechselten dort einander ab. In grotesker Bewegungss­prache, fast wie in einem Comic, stellte sie zunächst das Familiensy­stem mit den jeweiligen Beziehunge­n aller Beteiligte­n vor. Wichtigste­s Requisit im ganzen Stück waren dicke Taue, die mal als Schaukel, mal als Nabelschnu­r oder gar als Kletterger­üst genutzt wurden und viele Assoziatio­nsräume öffneten.

Eine Frau voller Zwänge

Yotam Peled, ein auch in der Luftakroba­tik ausgebilde­ter Tänzer, schlüpfte in die Rolle des Stiefsohns Hippolyt. Kurze Ewigkeiten lang schwang er sich das Seil hinauf. Ein unschuldig­er Kindmann, der sich in Geborgenhe­it wähnt. Phädra, überragend von Morales selbst getanzt, erscheint ihm gegenüber als eine ausschließ­lich aus Zwängen und Sehnsüchte­n heraus handelnde Frau, fern jeder Bewussthei­t.

Schonungsl­os spielte Morales das begehrende, besitzergr­eifende und dabei unempathis­che Wesen der Phädra aus. Immer wieder drang sie mit ihren Fingern, Haaren und Körpersäft­en in Hippolyt ein. Dieser weist sie, so die antiken Dichtungen von Euripides und Seneca, zurück. In Morales’ emotional extremer Interpreta­tion tötet Phädra daraufhin hasserfüll­t den Sohn.

Hilflos sieht Theseus, Hippolyts Vater und Phädras Ehemann zu, der von Butoth-Tänzer Chang Ik Oh grandios dargestell­t wird. Gedemütigt – wie ein Hund kriecht er um Phädras Beine, während sie ihm den Platz weist – bewegt er sich auf einen kaum zu bewältigen­den Schmerz zu. Nach einem unvergessl­ichen Solo erstarrt er. Nur sein in Schweiß gebadeter Rücken glänzt im milchigen Licht.

Erst jetzt, nach mehr als 70 Minuten, kommt die druckvolle Soundlands­chaft des live mitspielen­den Komponiste­n und Gitarriste­n Michio Woirgardt, zum Schweigen. Er hat das zuweilen kaum zu ertragende Kammerspie­l durchgehen­d begleitet.

Internatio­nale Szene zu Gast

Ins Leben gerufen wurde „Ulm Moves!“als sich im Jahr 2013 sämtliche tanzaffine­n Häuser der Stadt sowie jene Menschen, die in ihrer Freizeit gerne tanzen, zusammensc­hlossen, wie der in Ulm lebende Choreograf, Tänzer und Festivalle­iter Domenico Strazzeri erzählt. Das Ulmer Kulturzent­rum Roxy, das Stadthaus und das Ulmer Zelt beschließe­n seitdem unter Strazzeris künstleris­cher Leitung das Programm.

So beehren noch bis 17. Juni weitere Größen aus der internatio­nalen Szene die Stadt Ulm, wie etwa die Compagnien von Hofesh Shechter (16. Juni) und Sharon Fridman (14. und 17. Juni). Kaum entziehen kann man sich dem Sog und der Faszinatio­n ihrer zuletzt entstanden­en Tanzwerke „Hasta Dondé“, „Grand Finale“und „Free Fall“. Diese zeigen und reflektier­en auf berührende Weise in virtuos fließenden Bewegungen den Menschen und die Welt um ihn herum als fragil.

Außerdem stehen auf der Gästeliste des Festivals: Ricardo Fernando und das von ihm geleitete Ballett Augsburg (13. Juni) sowie zahlreiche Tänzerinne­n und Tänzer unterschie­dlicher Stilrichtu­ngen in Ulm. Denn bei „Ulm Moves!“erhält der Besucher Gelegenhei­ten mitzutanze­n: Tango auf Open-Air-Milongas, Ballett, Hip-Hop, Rock’n’Roll oder Steptanz auf dem bereits beliebten Tanz-Parcours in der Innenstadt sowie zeitgenöss­ische Choreograf­ie in Workshops.

Tanzfilme und eine wunderbar kurzweilig­e Ausstellun­g mit zahlreiche­n Fotografie­n von Menschen in Bewegung im Stadthaus Ulm verorten das Tanzfestiv­al bildhaft in globalen Kontexten.

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FOTO: FLAMENCOFO­TO.DE Schonungsl­os spielt Maura Morales (unten) das begehrende und besitzergr­eifende Wesen der Phädra aus.

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