Seehofer bietet seinen Rückzug an
CSU-Chef und Innenminister droht im Asylstreit mit Kanzlerin Merkel mit Konsequenzen
(dpa/AFP) Dramatische Wende im erbitterten Asylstreit der Union: Horst Seehofer will als Bundesinnenminister und als CSU-Chef zurücktreten. Dies kündigte er am Sonntagabend im CSUVorstand an, wie die Nachrichtenagenturen AFP und dpa aus Teilnehmerkreisen erfuhren. Seehofer habe dies in seiner persönlichen Erklärung am Ende der Beratungen des CSU-Vorstands bekanntgegeben. Allerdings ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Alexander Dobrindt, der CSU-Landesgruppenchef, möchte den Rückzug nicht hinnehmen. „Das ist eine Entscheidung, die ich so nicht akzeptieren kann“, sagte er nach Angaben von Teilnehmern in der Sitzung und habe dafür lang anhaltenden Applaus erhalten. Letztlich habe die Uneinsichtigkeit von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die CSU in diese Situation gebracht.
Zuvor hatte der CSU-Vorstand in München mehr als sieben Stunden lang über die Konsequenzen im Asylstreit mit der Schwesterpartei CDU diskutiert. Dabei hatten Seehofer und seine Parteifreunde sich mehrheitlich gegen die Beschlüsse des EU-Gipfels und für einen nationalen Alleingang ausgesprochen. Seehofer habe Merkels Ergebnisse beim EUGipfel sehr kritisch bewertet. Er nannte die EU-Beschlüsse kein „wirkungsgleiches Surrogat“, also keinen gleichwertigen Ersatz, zu den nationalen Maßnahmen – und widersprach damit Merkel. Die Kanzlerin hatte am Nachmittag im ZDF zur Frage, ob die Forderungen der CSU erfüllt seien, gesagt: „In der Summe all dessen, was wir insgesamt beschlossen haben, ist das wirkungsgleich.“
Das CDU-Präsidium stellte sich später hinter Merkels Pläne. Gegen 23 Uhr, kurz nachdem die Rücktrittsankündigung Seehofers publik wurde, erklärte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, dass sich der CDU-Bundesvorstand – bei einer Enthaltung – gegen „einseitige Zurückweisungen“an der Grenze ausgesprochen hat.
Bis am späten Abend blieb offen, was die erneute Eskalation für den Bestand der Fraktionsgemeinschaft und die Koalition bedeuten könnte. De facto hat sich die Regierungskrise, entgegen des Eindrucks vom Freitag, verschärft. Für heute ist eine Sitzung der gemeinsamen Unionsfraktion geplant.
- Entsetzt und ratlos wartet man am Abend in der CDU-Zentrale auf das angekündigte Statement von Horst Seehofer. Die „persönliche Erklärung „des CSU-Parteichefs. Um 23 Uhr war es dann so weit. Horst Seehofer war noch nicht selbst aufgetreten, aber aus CSU-Kreisen hieß es, Horst Seehofer bietet seinen Rücktritt an. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt soll gleich kundgetan haben, dass dies nicht in Frage komme.
Mit einem Rücktritt Seehofers könnte das aus Unionssicht Schlimmste, der Bruch der gemeinsamen Fraktion, vermieden werden, hörte man in München und Berlin.
Zuvor hatte um 22.30 Uhr CDUGeneralsekretärin Annegret KrampKarrenbauer in einem kurzen Statement noch einmal klar gemacht, dass die CDU geschlossen hinter Angela Merkel steht. Kramp-Karrenbauer lobte noch einmal die Brüsseler Beschlüsse, die die Kanzlerin erreicht habe. Bei der CDU verstand man ohnehin die dramatische Zuspitzung des Streits nicht mehr. „Die EU hat sich bewegt wie noch nie“, sagt Volker Bouffier, Hessens CDU-Ministerpräsident, als er um 17 Uhr zur CDU-Präsidiumssitzung im KonradAdenauer-Haus in Berlin eilt. „Es wäre hoch ungut, wenn wir unabgestimmt nationale Maßnahmen machten“, warnt der Hesse.
Daniel Günther, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, sitzt nach 22 Uhr in der Talkshow von Anne will. Er kommt gerade aus dem Adenauer-Haus und findet es „extrem befremdlich, dass wir uns Streit leisten über einen Plan, den keiner kennt“. Denn während Horst Seehofer in München seinen Masterplan vorlegt, kennt ihn in Berlin außer Merkel immer noch niemand. Und Daniel Günther sagt auch sehr klar, dass man sich darüber unterhalten müsse, wie man in der Regierung überhaupt zusammen arbeiten kann. So auf jeden Fall nicht, schwingt da mit.
Merkel: Bin entgegengekommen
Angela Merkel hat in der CDU zuvor gesagt, sie brauche sich in Europa nicht mehr sehen zu lassen, wenn jetzt trotz der Verhandlungen in Brüssel deutsche Grenzkontrollen kämen. Und bei Anne Will erinnert Finanzminister Olaf Scholz daran, dass auch noch eine SPD mit in der Regierung sitzt. Im Großen und Ganzen kommt von der SPD, die am Samstag ein eigenes Fünf-PunkteProgramm vorgestellt hat, Rückendeckung für Merkel. Die Sozialdemokraten bekräftigen in dem Papier, dass schon in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge schneller zurückgeschickt werden sollten. Indes wendet sich die SPD gegen geschlossene Lager und fordert Möglichkeiten zur legalen Einwanderung.
Bis in die Nacht hinein sitzen unterdessen Präsidium und Vorstand der CDU im Adenauer-Haus. Die CDU, so heißt es, stärke Merkel den Rücken. Einige Junge in der CDU meinen allerdings, auch Merkel könne mehr auf die CSU zugehen.Aus München hört man zur gleichen Zeit, dass die CSU größtenteils hinter Seehofer stehe. Doch nicht alle. . Eine „echte Wende“in der Asylpolitik Europas sah der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei und CSU-Vize Manfred Weber. „Die CSU hat Europa gerockt“, meinte dieser, zufrieden mit Merkels Erfolgen.
Doch an diesem Sonntag rockt die CSU nur ihre Schwester in Berlin. Am Mittag schon gibt Angela Merkel dem ZDF ein Interview. Da räumt sie ein: „Europa ist langsam“, aber insgesamt sei in Brüssel ein gutes Ergebnis erreicht worden. Und sie wirbt noch einmal: „Ich möchte gerne, dass CDU und CSU weiter zusammenarbeiten. Wir sind eine Erfolgsgeschichte für Deutschland.“Sie verstehe das Anliegen von Seehofer, und sie teile es auch. Deshalb habe sie mit den Ländern gesprochen, zum Beispiel mit Griechenland. „Ich bin dem Anliegen von Horst Seehofer entgegengekommen, wie ich meine.“
Alles vergeblich. Denn in München sitzt Innenminister Horst Seehofer, der das Ganze diametral sieht. Die Kanzlerin bewege sich „null Komma null“, soll Horst Seehofer in der CSU-Vorstandssitzung gesagt haben. Ihre Pläne führten nur zu mehr Migration.
Die CSU wollte Grenzkontrollen wieder einführen, um bereits in anderen Ländern registrierte Flüchtlinge gar nicht erst einreisen zu lassen – oder aber „wirkungsgleiche Beschlüsse“auf EU-Ebene. Schlecht für die Kanzlerin: Nachdem sie aus ihrer Sicht „wirkungsgleiche“Abkommen mit 14 Staaten in Aussicht gestellt hatte, darunter Ungarn, Tschechien und Polen, stellen die drei Länder klar, dass keine Verträge verabredet seien.