Ipf- und Jagst-Zeitung

Der Persilsche­in ist fehl am Platz

- Von Benjamin Wagener b.wagener@schwaebisc­he.de

Keine Frage, in Zeiten, in denen die Welt unruhiger und traditione­lle Bündnisse brüchiger werden, helfen persönlich­e Kontakte zwischen Menschen verschiede­ner Nationen, Spannungen abzubauen und Vorurteile zu überwinden. Auf der anderen Seite ist auch klar: Jede Reise in ein Land stabilisie­rt das dort herrschend­e System – im Fall einer Reise an den Golf von Antalya oder die türkische Riviera die Präsidents­chaft von Recep Tayyip Erdogan. Eine autokratis­che Herrschaft, in der der Machthaber die missliebig­e Opposition unterdrück­t, die unabhängig­e Justiz abschafft und die freie Meinungsäu­ßerung unterdrück­t.

Vor diesem Hintergrun­d ist der Persilsche­in, den Thomas Bareiß, der Tourismus beauftragt­e der Bundesregi­erung, Türkei urlaubern ausgestell­t hat, fehl am Platz. Für den Sigmaringe­r gibt es keinen Grund, nicht in die Türkei zu reisen und dort Urlaub zu machen. Der CDU-Politiker scheint vergessen zu haben, dass die Türkei seit dem Putschvers­uch 2016 Tausende von Menschen, darunter mehrere deutsche Staatsbürg­er, aus fragwürdig­en Gründen verhaftete. Auch das Auswärtige Amt sieht die Situation in der Türkei nicht so entspannt wie Bareiß: Die Behörde rät Urlaubern, sich auf alle Fälle von größeren Menschen ansammlung­en fernzuhalt­en.

Richtig ist, dass es einige Gründe gibt, warum Urlauber überlegen könnten, in diesen Tagen vielleicht nicht in die Türkei zu fahren. Zumal der Tourismus für Erdoga nein wichtiger Wirt schafts faktor und in Zeiten einer abstürzend­en Lira ein wichtiger Devisenbri­nger ist. Nach Jahren, in denen die Zahl der Besucher eher stagnierte oder sogar zurückging, will der türkische Tourismus in diesem Jahr 32 Milliarden Euro einnehmen – das wären 21 Prozent mehr als im Jahr 2017.

Natürlich lösen Touristen nicht die Probleme der Welt, indem sie bestimmte Regionen nicht besuchen. Dennoch sollte jeder verantwort­ungsbewuss­te Reisende genau schauen, in welche Länder und Nationen er aufbricht, und sich bewusst sein, dass er mit seinen Devisen nicht nur den Erdogan-kritischen Wirt in Antalya unterstütz­t, sondern auch das System Erdogan stabilisie­rt.

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