Spurwechsel in eine lebenswertere Zukunft
Der 18-jährige Moussa Nidiay aus Gambia macht eine Lehre zum Zimmermann bei Holzbau Weber in Ebnat
- Moussa ist ein sehniger, großer Kerl, vielleicht etwas zu schüchtern, er will niemandem zur Last fallen. Er spielt gerne auf dem Handy, chattet mit Freunden, geht lieber ins Fußballtraining als in den Matheunterricht, schläft samstags gerne aus. Eigentlich ein ganz normaler 18-Jähriger. Eigentlich. Denn Moussas Zukunft ist ungewiss. Seit Dezember 2017 macht er bei Holzbau Weber in Ebnat eine Lehre zum Zimmermann. Wer weiß, wie lange. Denn der Asylantrag von Moussa Nidiay, geboren 1999 in Bakau in Gambia, ist abgelehnt. Er ist das, was man einen „Geduldeten“nennt.
Um eventuellen Kritikern gleich etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ja, dieser Artikel ist voreingenommen, vielleicht tendenziös, vielleicht sogar parteiisch. Denn Moussa, als sogenannter Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling (UMF) 2016 nach Deutschland gekommen, lebt seit eineinhalb Jahren als Pflegekind in meiner Familie, ist mittlerweile festes Mitglied einer normalen sechsköpfigen Familie.
Moussa weiß nicht, was Fachkräftemangel, was ein „Spurwechsel“ist. Er will arbeiten. Sein Antrag auf Asyl ist abgelehnt, Gambier werden fast nie anerkannt. Aber er tut alles, um in Deutschland bleiben zu können. Seit Dezember hat er eine Lehrstelle. Eine Win-Win-Situation – für ihn und für seinen Betrieb. Seniorchef Berthold Weber lobt seinen Azubi: „Moussa wird ein super Zimmermann, auch, wenn er die Gesellenprüfung auf Anhieb vielleicht nicht schafft. Warum? Weil er will, weil er hilfsbereit ist und weil er weiß, was zu tun ist, wo man hinlangen muss.“
„Viele Deutsche trauen sich die harte Arbeit nicht zu“
Eine Ausbildung kostet den Betrieb etwa 15 000 bis 20 000 Euro. Es sei schwierig, neue Lehrlinge zu finden: „Oft wollen die Eltern nicht, weil sie sich für ihre Kinder was Besseres erhoffen. Oft liegt es auch am Jugendschutzgesetz, viele trauen sich die harte Arbeit nicht zu“, sagt Berthold Weber, der in der Tat den Fachkräftemangel auch schon zu spüren bekommt. Trotzdem ist er sich sicher, dass die Branche Zukunft hat: „In 15 Jahren werden wir Arbeiter auf dem Bau mehr verdienen als so mancher Ingenieur, denn unser Know-how ist sehr anspruchsvoll.“Seine Erfahrungen mit Azubis – zurzeit hat er vier – waren und sind nicht immer die besten. „Im Vorjahr hatten wir drei deutsche Azubis, von den dreien war nach drei Tagen noch einer da. Unsere Erfahrungen mit Moussa sind positiv, die sprachlichen Barrieren werden von Tag zu Tag kleiner. Moussa lernt dazu, wir merken das Woche für Woche.“Und auch Berthold Webers Sohn Martin freut sich, dass es mit Moussa so gut klappt: „Viele der deutschen Jugendlichen können nicht beißen, weil sie nicht beißen müssen. Da ist Moussa aus einem anderen Holz geschnitzt. Im Sommer haben wir manchmal 40 Grad auf dem Dach. Das macht nicht jeder mit.“
Moussa Nidiay selbst schmunzelt bei so viel Lob: „Die Arbeit mit Holz gefällt mir einfach, aber ich arbeite auch gerne mit Gipskartonplatten, da muss man sehr genau schaffen. In der Berufsschule hatte ich hier vier Einser.“Er freut sich, dass er in Ebnat in einem größeren Betrieb untergekommen ist: „Netter Chef, alles gut“, sagt er, „die Kollegen helfen mir, wenn ich Fragen habe.“Als einmal seine Arbeitsschuhe Mängel hatten, habe sein Vorarbeiter gleich mit der Chefin geredet, damit er neue bekommt. „Er schimpft mich auch manchmal, wenn ich zu wenig frage“, sagt er lachend.
Christine König, Moussas Pflegemutter, ist zufrieden mit der Entwicklung ihres Pflegekinds: „Seine Arbeit ist zwar hart, aber die Regelmäßigkeit, die Struktur, die Anerkennung – das tut Moussa unheimlich gut. Das Geld ist ihm dabei gar nicht so wichtig, den Großteil muss er sowieso ans Jugendamt abgeben.“„Wenn man bedenkt, was die jungen Kerle schon mitgemacht haben“, wird Berthold Weber etwas nachdenklich, „das verdient meinen Respekt. Was viele Politiker nicht verstehen: Bei uns ,normalen’ Leuten spielt die Hautfarbe keine Rolle. Ich keine einige Betriebe hier in der Gegend, wo die Zusammenarbeit mit Flüchtlingen wunderbar funktioniert. Ich befürworte dringend eine Gesetzesänderung: Wir brauchen ein Bleiberecht für diejenigen, die gezeigt haben, dass sie können und wollen.“
Strobl: „Nachträgliche Legalisierung nicht honorieren“
Das sehen in der Politik nicht alle so. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) fuhr in der vergangenen Woche einen harten Kurs: „Wir werden keine illegale Zuwanderung – also die unbegründete Asylsuche und vorgetäuschte Fluchtgründe – durch nachträgliche Legalisierung honorieren.“Strobl verweist auf die „Drei-plus-Zwei-Regel“, die besagt, dass Asylbewerber während ihrer Ausbildung und auch zwei Jahre danach nicht abgeschoben werden sollen, wenn sie im Ausbildungsbetrieb bleiben. Das klingt eher nach Wahrscheinlichkeit, nach Hoffnung, denn nach Tatsache. Auch in der CDU gibt es Befürworter für den Spurwechsel, etwa Schwäbisch Gmünds Oberbürgermeister Richard Arnold.
Leni Breymaier, Landesvorsitzende der SPD, hingegen ist klar für einen Spurwechsel: „Wir brauchen im Einwanderungsgesetz den Spurwechsel als Pipeline zwischen Einwanderungsund Asylrecht. Es kann doch nicht sein, dass wir montags gut integrierte Geflüchtete abschieben, deren Arbeitgeber und Betreuer ratlos zurücklassen, und dienstags über Fachkräftemangel lamentieren.“
Mit dieser Meinung hat sie Tobias Mehlich, den Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm, auf ihrer Seite. Schon im Juni forderte der in einem Brief an Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut„Die Jahre 2014 bis 2016 müssen besonders behandelt werden, Spurwechsel muss möglich sein.“
Ähnlich sieht es auch Michaela Eberle, Hauptgeschäftsführerin der IHK Ostwürttemberg: „In einigen Branchen haben wir einen Fachkräftemangel und in anderen zeichnet er sich immer mehr ab. Deshalb ist es wichtig, alle Potenziale zu aktivieren und diesen jeweils offen gegenüber zu stehen. Dazu gehören selbstverständlich auch Asylbewerber. Die nicht begleiteten jungen Asylbewerber haben unserer Einschätzung nach sogar einen Vorteil, denn sie lernen erfahrungsgemäß einfacher und selbstverständlicher. Sprachbarrieren sind oft nur anfänglich ein Hindernis.“
„Die Jahre 2014 bis 2016 waren eine Sondersituation“, so Tobias Mehlich weiter, „dies sollte sich jetzt auch in den weiteren Handlungen des Staates widerspiegeln (...) Ein Spurwechsel – und damit ein Aufenthalt im Land ohne Abschiebegefahr – sollte für integrationswillige Flüchtlinge möglich sein.“
„Ich hoffe, dass ich bleiben und meine Ausbildung abschließen kann.“Moussa Nidiay bleibt bescheiden.
IHK hat durchaus gute Erfahrungen gemacht
Die IHK hat durchaus positive Erfahrungen gemacht, auch wenn sie in ihren Statistiken, so Eberle, zwar die Staatsangehörigkeit, nicht jedoch weitere Merkmale wie Aufenthaltsstatus oder gar ,begleitet’ oder ,nicht begleitet’ erfasst. Eberle: „Viele unserer Mitgliedsunternehmen und auch wir als IHK, die auch einen jungen Menschen mit Fluchterfahrung ausbilden, können von guten bis sehr guten Erfahrungen berichten. Die Integration in das Team und die Aufgaben der IHK Ostwürttemberg hat bei unserem Auszubildenden sehr gut funktioniert. Er wird ausgebildet wie alle unsere jungen Fachkräfte und steht, wenn man so will, einem Auszubildenden mit deutscher Staatsangehörigkeit in nichts nach.“
Und was sagt Moussa? Er bleibt bescheiden: „Ich hoffe, dass ich bleiben und vielleicht sogar meine Ausbildung abschließen kann.“Ein „Spurwechsel“wäre für ihn nicht mehr und nicht weniger.
„Es kann doch nicht sein, dass wir montags gut integrierte Geflüchtete abschieben und dienstags über Fachkräftemangel lamentieren.“SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier