Frühere Wangener Hospizleiterin steht vor Gericht
Es geht um Betrug, Urkundenunterdrückung und Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz
- Knapp zwei Jahre nach dem Höhepunkt der Krise um das Hospiz hat am Dienstag vor dem Wangener Amtsgericht ein Strafprozess gegen die damalige Leiterin der Einrichtung, die Medizinerin Annegret Kneer, begonnen. Ihr werden Betrug in drei Fällen sowie Urkundenunterdrückung und ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft hat einen Strafbefehl über 120 Tagessätze zu je 60 Euro beantragt. Nach gut vierstündiger Verhandlung gab es noch keine Entscheidung. Vor allem die Anklage will weitere Zeugen hören.
Rückblick: Ende September 2016 musste das Wangener Hospiz für mehrere Monate schließen. Im Laufe des Jahres hatten diverse Mitarbeiterinnen gekündigt. Und als sich weitere von ihnen krank meldeten, kam der Betrieb im fünften Obergeschoss des Krankenhauses zum Erliegen.
Die Beschäftigten konnten sich damals eine weitere Zusammenarbeit mit Annegret Kneer, Gründerin der Einrichtung und damals sowohl Leiterin als auch Vorsitzende des Hauptträgers, des Hospizvereins Calendula, nicht mehr vorstellen. Sie erhoben schwere Vorwürfe gegen ihre damalige Chefin. Unter anderem war von falschem Umgang mit Medikamenten, mangelhafter Dokumentation der Patientenakten und auch von Mobbing die Rede. Wie die Mitarbeiterinnen damals erzählten, hing all dies mit dem gewachsenen Stress zusammen, seit das Hospiz ab 2013 regelmäßig über das zulässige Maß hinaus mit Gästen belegt war.
Zum Prozessauftakt waren nur Teile der damaligen Vorwürfe juristisch Thema. Und zwar jene, zu denen die Ravensburger Staatsanwaltschaft seit Oktober 2016 ermittelte. So soll Annegret Kneer in drei Fällen Medikamente falsch abgerechnet und Schmerzpumpen selbst neu befüllt haben, obwohl dies nur darauf spezialisierte Apotheker in Reinräumen dürfen. Außerdem habe sie das Krankenblatt eines Gasts zerrissen und ein neues geschrieben, um so zivilrechtliche Ansprüche von Angehörigen eines im Hospiz Verstorbenen zu vereiteln.
Soweit der Kern der Anschuldigungen, die am Dienstag detailreich erörtert wurden. Endgültige Aufklärung dazu gab es da nicht. Drei vom Gericht und der Verteidigung bestellte Zeugen widersprachen sich und wiesen teils auch Erinnerungslücken bezüglich einstiger eigener Äußerungen bei der Polizei auf. In zwei Fällen gab Annegret Kneer „Fehler in der Dokumentation“zu, begründete dies aber mit dem „hektischen Ablauf“am Hospiz.
Unterdessen war im Gerichtssaal erneut die emotionale Komponente der Hospizkrise des Jahres 2016 greifbar. Im Zeugenstand bekundete eine frühere Mitarbeiterin Annegret Kneers, wie schwer ihr der Gang ins Gericht gefallen sei. Nach ihrer Krankmeldung im September 2016 gemäß eigener Aussage bis vor kurzem in psychologischer Behandlung, erklärte sie: „Ich hatte mit der Sache eigentlich abgeschlossen. Jetzt kommt alles wieder hoch.“
Demgegenüber lobte ein als Zeuge geladener ehemalige Gast die Betreuung im Hospiz: Dort sei er „medizinisch, menschlich und psychisch aufgepäppelt“worden. Und: „Ich wusste gar nicht, dass es einen Ort auf der Welt gibt, der mit so viel Liebe ausgestattet ist.“
Kneers Anwalt Thomas Böhm stellte mehrfach die Frage nach Motiven ihrer Mandantin in den Raum: „Sie kann keinen schädigen.“Entsprechend fiel auch eine Äußerung der Beschuldigten am Ende des ersten Prozesstags aus. Als der Staatsanwalt ankündigte, für den nächsten Prozesstag am 6. September viele weitere Zeugen benennen zu wollen, sagte Annegret Kneer unter anderem: „Wann wollen Sie mich endlich in Ruhe lassen? Ich habe keinen Betrug begangen.“