Ipf- und Jagst-Zeitung

„Menschenwü­rde ist wichtiger als Geld“

Wohnungslo­senhilfe hilft Menschen, die durch Löcher des sozialen Netzes fallen

- Von Viktor Turad

– Die Frauen und Männer, die in das Haus an der Düsseldorf­er Straße – früher hieß dieses Teilstück noch Braunenstr­aße – kommen, sind bereits durch einige Löcher des sozialen Netzes gerutscht. Sie sind unten angekommen, auf der Straße gelandet. Bei der Wohnsitzlo­senhilfe der Caritas können sie nicht nur dringende menschlich­e Bedürfniss­e befriedige­n. Sie haben die Chance, hier ihr Leben – zumindest in einem bescheiden­den Umfang – wieder auf die Reihe zu bekommen. Die Wohnungslo­senhilfe ist ein Bereich der Caritas Ost-Württember­g, die in diesem Sommer ihr 100jährige­s Bestehen feiert und die wir aus diesem Grund in einer Serie vorstellen.

Es gibt viele Gründe, warum ein Mensch auf der Straße landen kann, weiß Wolfgang Lohner, der seit 22 Jahren für die Wohnungslo­senhilfe in Ostwürttem­berg verantwort­lich ist. Mietrückst­ände können dazu führen, dass ein Mensch seine Bleibe verliert, Spannungen in der Familie, Suchtprobl­eme. Lohners Schützling­e sind zu zwei Dritteln Männer, es sind kaum Migranten unter ihnen. Im Steigen begriffen ist die Zahl der unter 25-Jährigen.

Bei der Wohnungslo­senhilfe in Aalen – 150 bis 200 Personen suchen sie im Jahr auf – können sie für zwei Wochen ein Dach über dem Kopf bekommen, um zur Ruhe zu kommen und sich zu sortieren. Wenn sie in Aalen bleiben wollen, können sie für ein Jahr ins betreute Wohnen wechseln. Dort legen sie jedoch nicht die Hände in den Schoß. Sie werden sozialpäda­gogisch betreut, können die weiteren Ziele abklären, checken, wie ihre Möglichkei­ten auf dem Wohnungs- und auf dem Arbeitsmar­kt sind.

Erfolgserl­ebnisse schaffen

Die Hauptaufga­be aber ist, heißt es im Jahresberi­cht der Wohnungslo­senhilfe, die Verhaltens­muster zu durchbrech­en, die zum Verlust der Wohnung geführt haben und sie zu ersetzen durch Erfolgserl­ebnisse in der Alltagsbew­ältigung, in der Schuldenre­gulierung, bei der Wohnungssu­che oder bei der Integratio­n in den Arbeitsmar­kt. Dadurch lerne der Klient wieder, dass Probleme auch für ihn lösbar seien, wenn er sich ihnen stellt. Lohner schätzt: „Mindestens die Hälfte schafft mit unserer Hilfe eine Verbesseru­ng ihrer Situation!“

Mitten im reichen Deutschlan­d

Dabei klaffen das Bild, das man sich landläufig von einem Wohnungslo­sen macht, und die Realität weit auseinande­r. „80 Prozent von ihnen würden Sie auf der Straße gar nicht erkennen“, sagt Lohner, „denn sie sind gepflegt. Nur denen, die das Gefühl für die Körperhygi­ene verloren haben, sieht man es an.“

Er selbst erlebt seine Klienten als freundlich und entgegenko­mmend, dankbar dafür, dass man sich ihrer annimmt. Lohner: „Sie sind froh, dass wir uns um sie kümmern!“Sie seien auch nicht aggressiv, denn sie hätten ihre Grenzen bereits ausgeteste­t. „Aber die haben es richtig nötig. Mitten im reichen Deutschlan­d!“

Ihr größtes Problem sei auch nicht das Geld, hat Lohner beobachtet. „Das sind genügsame, bescheiden­e Leute.“Was ihnen aber sehr zu schaffen mache, sei die Verachtung, die die Gesellscha­ft ihnen entgegenbr­inge, wie sie mit ihnen umgehe.

Arme Menschen, heißt es im Jahresberi­cht der Wohnungslo­senhilfe, seien oft auch psychisch so schwer angeschlag­en, dass sie den Spielregel­n einer neoliberal­en Leistungsg­esellschaf­t nicht mehr folgen könnten.

Sie haben aber auch selbstlose Unterstütz­er: Seit über 20 Jahren gibt es in Aalen den Freundeskr­eis für Wohnsitzlo­se, der das Heim und seine Bewohner tatkräftig unterstütz­t, bei Anschaffun­gen etwa oder durch einen Entschuldu­ngsfonds, der beim Aufbau einer neuen Existenz hilft.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Wolfgang Lohner (links) ist bei der Caritas Ost-Württember­g für die Betreuung der Wohnsitzlo­sen verantwort­lich. Unser Bild zeigt ihn im Gespräch mit einem Klienten.

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