Nervenkitzel über den Dächern von Dornbirn
Auf der Aussichtsplattform auf dem Karren steht der Besucher quasi im Nichts und genießt das Panorama
Spektakuläre Ausblicke, gemütliche und auch anspruchsvollere Wanderstrecken, gepflegte Gastronomie und historische Schmankerln – der Karren, der Hausberg von Dornbirn in Vorarlberg, überrascht den Tagesausflügler mit seinem Facettenreichtum. Und ein bisschen Nervenkitzel gibt’s dann auch noch obendrauf.
Nein, natürlich nicht bei der dreiminütigen Fahrt mit der Karrenseilbahn, die den Wanderer bequem und sicher nach oben schweben lässt, die den schweißtreibenden Aufstieg auf 976 Meter an diesem heißen Sommertag erspart. Gut so, das schont die Kräfte für das lohnenswerte Streckennetz in der Höhe. Rund 500 Personen schafft die 1996 komplett erneuerte Seilbahn pro Stunde, das bedeutet zumindest an diesem Wochenende trotz hoher Besucherzahlen: Längere Wartezeiten müssen nicht einkalkuliert werden.
Wäre auch tatsächlich schade. Denn der Ausblick, der sich gleich nach dem Verlassen der putzigen Gondel bietet, ist – gelinde gesagt – überwältigend. Die mit knapp 50 000 Einwohnern größte Stadt Vorarlbergs wie auf einer Modelleisenbahnplatte zu Füßen, schweift das Auge weit über das Rheintal, den gesamten Bodensee, vorbei an den Schweizer Bergen bis tief hinein ins Oberland. Herrlich!
Wer jetzt allerdings denkt, das ließe sich nicht toppen, irrt gewaltig. Offenbar kennt er nämlich die Karren-Kante nicht, die den Puls so manchen Gastes in ungeahnte Höhen treiben könnte. Die erst vor zwei Jahren errichtete Aussichtsplattform, ein zwölf Meter langer – dankenswerterweise gut gesicherter Steg –, schiebt sich keck über den Rand des Karren hinweg. Der mutige Besucher steht jetzt quasi im Nichts, gut 500 Höhenmeter über dem Erdboden, und lächelt freundlich-angespannt in die fest installierte SelfieAnlage, die das Spektakel für die Nachwelt bewahren soll. Faszinierend ist das und ein wenig nervenaufreibend zugleich. Nur gut, dass unser Vertrauen in die Kunst der einheimischen Ingenieure unerschütterlich scheint.
Hasenfüße hingegen werden wohl eher den kurzen Weg zu der erst in diesem Jahr eingeweihten Aussichtskanzel einschlagen. Die extra errichtete Stahlunterkonstruktion ruht auf einem Felssporn, ohne diesen allerdings zu überkragen. Sehr beruhigend. Und der kostenlose Blick durchs Fernrohr rückt nicht nur imposante Berge und Orte ins Bild, sondern weist diesen auch gleich die korrekten Namen zu. Sehr lehrreich. An diesem klaren Tag schauen wir auf den Säntis, entdecken in der Ferne Meersburg und sogar den Gehrenberg in Markdorf.
Sattgesehen? Aber klar doch. Nur der Magen könnte jetzt, vor dem Abstieg, noch eine kleine Kräftigung vertragen. Vielleicht in dem weitgehend verglasten Bergrestaurant „Panorama“, dessen Name selbstverständlich zugleich Programm ist? Warum eigentlich nicht – auch wenn der Rummel auf der Terrasse an diesem Wochenende so heftig ist, dass mancher sich in eine beschauliche Almhütte träumt. Die Größe der Portionen allerdings lässt dann nichts zu wünschen übrig, höchstens, dass man besser zwei Bestecke und nur ein Gericht geordert hätte. Voller Bauch spaziert nicht gern. Also doch noch ein halbes Stündchen in den Liegestuhl in der Sonne?
Papperlapapp, nur keine Schwäche zeigen! Schließlich wollen wir doch das weitgehend familientaugliche Wanderwegenetz unter die Stiefel nehmen. Abmarsch also Richtung Rappenlochschlucht. Kommod zu gehen ist diese gut zweistündige Abstiegsvariante über den Staufensee. Eine Wohltat, dass sich der steinige Weg bis zum Stausee in der Mittagshitze meist durch den Schatten windet. Schade nur, dass von der schönen Aussicht nicht mehr viel bleibt.
Die Rappenlochschlucht aber, die zu den größten Schluchten Mitteleuropas zählt, entschädigt dafür reichlich. Die Dornbirner Ach hat sie in Hunderttausenden von Jahren in den harten Kalkstein gefräst. Spektakuläre Felsformationen und schwindelerregende Blicke in den Abgrund begleiten den Wanderer auf diesem Teilstück. Abenteuerlich anmutende Holzstege, die am Fels zu kleben scheinen, führen durch die etwas unheimliche Schlucht. Kinder genießen das ungemein, während mancher Erwachsene sich ängstlich fragt, ob die österreichischen Holzhandwerker wohl ähnlich präzise arbeiten wie die Ingenieure.
Dann aber ist es geschafft. Am Ende der Schlucht wartet nicht nur der Rappenlochstadl auf durstige Kehlen, sondern auch der Traditionsgasthof Gütle auf dem Areal einer ehemaligen Spinnerei. Ein geschichtsträchtiger Ort, wie ein Schild verrät: Am 10. August 1881 nahm Kaiser Franz Josef I. hier die erste Telefonverbindung ÖsterreichUngarns in Betrieb, um danach im Gütle zu seiner Leibspeise einzukehren – klare Rindsuppe, Tafelspitz mit Salzkartoffeln und Gemüse. Hört sich sehr verlockend an. Und dann abschließend ein Abstecher ins Rolls-Royce-Museum und ins Krippenmuseum in direkter Nachbarschaft?
Lieber nicht. Denn erstens ist es ja noch eine halbe Stunde zurück zum Parkplatz an der Talstation der Karrenseilbahn. Und zweitens – wir erwähnten es bereits: Voller Bauch spaziert nicht gern.
Berg- und Talfahrt mit der Karrenseilbahn kosten 11,50 Euro (Kinder 5,80 Euro). Abendtarife ab 18 Uhr sind vergünstigt. Die Seilbahn fährt in der Sommersaison von Sonntag bis Donnerstag von neun bis 23 Uhr, freitags und samstags sogar bis 24 Uhr. Kombikarten für Bahnfahrt inklusive Jause oder Mittagessen erhältlich. Weitere Informationen unter www.karren.at