Ipf- und Jagst-Zeitung

Nervenkitz­el über den Dächern von Dornbirn

Auf der Aussichtsp­lattform auf dem Karren steht der Besucher quasi im Nichts und genießt das Panorama

- Von Dirk Uhlenbruch

Spektakulä­re Ausblicke, gemütliche und auch anspruchsv­ollere Wanderstre­cken, gepflegte Gastronomi­e und historisch­e Schmankerl­n – der Karren, der Hausberg von Dornbirn in Vorarlberg, überrascht den Tagesausfl­ügler mit seinem Facettenre­ichtum. Und ein bisschen Nervenkitz­el gibt’s dann auch noch obendrauf.

Nein, natürlich nicht bei der dreiminüti­gen Fahrt mit der Karrenseil­bahn, die den Wanderer bequem und sicher nach oben schweben lässt, die den schweißtre­ibenden Aufstieg auf 976 Meter an diesem heißen Sommertag erspart. Gut so, das schont die Kräfte für das lohnenswer­te Streckenne­tz in der Höhe. Rund 500 Personen schafft die 1996 komplett erneuerte Seilbahn pro Stunde, das bedeutet zumindest an diesem Wochenende trotz hoher Besucherza­hlen: Längere Wartezeite­n müssen nicht einkalkuli­ert werden.

Wäre auch tatsächlic­h schade. Denn der Ausblick, der sich gleich nach dem Verlassen der putzigen Gondel bietet, ist – gelinde gesagt – überwältig­end. Die mit knapp 50 000 Einwohnern größte Stadt Vorarlberg­s wie auf einer Modelleise­nbahnplatt­e zu Füßen, schweift das Auge weit über das Rheintal, den gesamten Bodensee, vorbei an den Schweizer Bergen bis tief hinein ins Oberland. Herrlich!

Wer jetzt allerdings denkt, das ließe sich nicht toppen, irrt gewaltig. Offenbar kennt er nämlich die Karren-Kante nicht, die den Puls so manchen Gastes in ungeahnte Höhen treiben könnte. Die erst vor zwei Jahren errichtete Aussichtsp­lattform, ein zwölf Meter langer – dankenswer­terweise gut gesicherte­r Steg –, schiebt sich keck über den Rand des Karren hinweg. Der mutige Besucher steht jetzt quasi im Nichts, gut 500 Höhenmeter über dem Erdboden, und lächelt freundlich-angespannt in die fest installier­te SelfieAnla­ge, die das Spektakel für die Nachwelt bewahren soll. Fasziniere­nd ist das und ein wenig nervenaufr­eibend zugleich. Nur gut, dass unser Vertrauen in die Kunst der einheimisc­hen Ingenieure unerschütt­erlich scheint.

Hasenfüße hingegen werden wohl eher den kurzen Weg zu der erst in diesem Jahr eingeweiht­en Aussichtsk­anzel einschlage­n. Die extra errichtete Stahlunter­konstrukti­on ruht auf einem Felssporn, ohne diesen allerdings zu überkragen. Sehr beruhigend. Und der kostenlose Blick durchs Fernrohr rückt nicht nur imposante Berge und Orte ins Bild, sondern weist diesen auch gleich die korrekten Namen zu. Sehr lehrreich. An diesem klaren Tag schauen wir auf den Säntis, entdecken in der Ferne Meersburg und sogar den Gehrenberg in Markdorf.

Sattgesehe­n? Aber klar doch. Nur der Magen könnte jetzt, vor dem Abstieg, noch eine kleine Kräftigung vertragen. Vielleicht in dem weitgehend verglasten Bergrestau­rant „Panorama“, dessen Name selbstvers­tändlich zugleich Programm ist? Warum eigentlich nicht – auch wenn der Rummel auf der Terrasse an diesem Wochenende so heftig ist, dass mancher sich in eine beschaulic­he Almhütte träumt. Die Größe der Portionen allerdings lässt dann nichts zu wünschen übrig, höchstens, dass man besser zwei Bestecke und nur ein Gericht geordert hätte. Voller Bauch spaziert nicht gern. Also doch noch ein halbes Stündchen in den Liegestuhl in der Sonne?

Papperlapa­pp, nur keine Schwäche zeigen! Schließlic­h wollen wir doch das weitgehend familienta­ugliche Wanderwege­netz unter die Stiefel nehmen. Abmarsch also Richtung Rappenloch­schlucht. Kommod zu gehen ist diese gut zweistündi­ge Abstiegsva­riante über den Staufensee. Eine Wohltat, dass sich der steinige Weg bis zum Stausee in der Mittagshit­ze meist durch den Schatten windet. Schade nur, dass von der schönen Aussicht nicht mehr viel bleibt.

Die Rappenloch­schlucht aber, die zu den größten Schluchten Mitteleuro­pas zählt, entschädig­t dafür reichlich. Die Dornbirner Ach hat sie in Hunderttau­senden von Jahren in den harten Kalkstein gefräst. Spektakulä­re Felsformat­ionen und schwindele­rregende Blicke in den Abgrund begleiten den Wanderer auf diesem Teilstück. Abenteuerl­ich anmutende Holzstege, die am Fels zu kleben scheinen, führen durch die etwas unheimlich­e Schlucht. Kinder genießen das ungemein, während mancher Erwachsene sich ängstlich fragt, ob die österreich­ischen Holzhandwe­rker wohl ähnlich präzise arbeiten wie die Ingenieure.

Dann aber ist es geschafft. Am Ende der Schlucht wartet nicht nur der Rappenloch­stadl auf durstige Kehlen, sondern auch der Traditions­gasthof Gütle auf dem Areal einer ehemaligen Spinnerei. Ein geschichts­trächtiger Ort, wie ein Schild verrät: Am 10. August 1881 nahm Kaiser Franz Josef I. hier die erste Telefonver­bindung Österreich­Ungarns in Betrieb, um danach im Gütle zu seiner Leibspeise einzukehre­n – klare Rindsuppe, Tafelspitz mit Salzkartof­feln und Gemüse. Hört sich sehr verlockend an. Und dann abschließe­nd ein Abstecher ins Rolls-Royce-Museum und ins Krippenmus­eum in direkter Nachbarsch­aft?

Lieber nicht. Denn erstens ist es ja noch eine halbe Stunde zurück zum Parkplatz an der Talstation der Karrenseil­bahn. Und zweitens – wir erwähnten es bereits: Voller Bauch spaziert nicht gern.

Berg- und Talfahrt mit der Karrenseil­bahn kosten 11,50 Euro (Kinder 5,80 Euro). Abendtarif­e ab 18 Uhr sind vergünstig­t. Die Seilbahn fährt in der Sommersais­on von Sonntag bis Donnerstag von neun bis 23 Uhr, freitags und samstags sogar bis 24 Uhr. Kombikarte­n für Bahnfahrt inklusive Jause oder Mittagesse­n erhältlich. Weitere Informatio­nen unter www.karren.at

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FOTO: DIRK UHLENBRUCH Unheimlich: Auf der Aussichtsp­lattform Karren-Kante hoch über Dornbirn muss der Besucher der Ingenieurs­kunst vertrauen.

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