Ipf- und Jagst-Zeitung

Schenks erschütter­ndes Bekenntnis

Zehnkampf-Olympiasie­ger war wissentlic­h gedopt – und hielt sich für Anis Amri

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(SID/dpa) - Er schluckte Oral-Turinabol-Pillen wie bunte Smarties, er wurde depressiv und hielt sich gar für den Berliner Weihnachts­markt-Attentäter Anis Amri – Zehnkampf-Olympiasie­ger Christian Schenk hat erstmals wissentlic­hes Doping zugegeben.

Zudem sprach der heute 53-Jährige, der 1988 bei den Olympische­n Spielen in Seoul den Zehnkampf gewann, über spätere gravierend­e psychische Probleme. „Die Depression­en waren so tief gewesen, dass ich sogar daran gedacht hatte, meinem Leben ein Ende zu setzen“, sagte der Rostocker in einem Interview der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Offen ist, ob es zwischen der Einnahme von Oral-Turinabol, ein im Staatsdopi­ngsystem der DDR oft verwendete­s Anabolikum, und den Depression­en einen direkten Zusammenha­ng gibt. „Die Doping-OpferHilfe und deren Vorsitzend­e Ines Geipel stellen einen Zusammenga­ng dar von Oral-Turinabol und Depression. Ich kann das von meiner Seite her nicht beweisen“, sagte er.

Seine Vergangenh­eit hat Schenk in seiner am Montag erscheinen­den Autobiogra­fie „Riss – mein Leben zwischen Hymne und Hölle“verarbeite­t. Der einstige Vorzeige-Athlet, der seine aktive Karriere 1994 beendete und danach als Sportjourn­alist beim ZDF arbeitete und Inhaber einer Sport- und Gesundheit­smarketing­agentur ist, litt unter Depression­en und Verfolgung­swahn.

Silvester 2016 war es besonders schlimm. „Ich hielt mich für Anis Amri, den Attentäter vom Weihnachts­markt auf dem Berliner Breitschei­dplatz. Das war für mich der Horror“, gibt Schenk zu, der heute im Haus seiner Eltern auf der Insel Rügen lebt. Bei dem Anschlag des Terroriste­n Amri waren am 19. Dezember 2016 zwölf Menschen getötet und viele verletzt worden. Schenk glaubte, er selbst habe den Lastwagen in den Weihnachts­markt gesteuert und die Menschen getötet. „Meine Ärzte und ich haben das bis heute nicht aufklären können“, so Schenk.

Auch Doping gab Schenk erstmals in aller Offenheit zu. „Ich habe gedopt, und ich wusste, dass ich dope“, schreibt der Ex-Sportler, dessen Name bereits in den nach der Wende öffentlich gewordenen Unterlagen zum Staatsdopi­ng in der DDR aufgetauch­t war. „Anfangs bestritt ich, jemals verbotene Mittel eingenomme­n zu haben. Dann legte ich mir die juristisch etwas weichere Antwort zurecht, ich hätte nie wissentlic­h gedopt. Beides war gelogen“, so Schenk. Nun gab er zu, dass er schon mit 20 Jahren zum ersten Mal gedopt wurde. „1985. Für mich war das wie das Erreichen der nächsten Stufe, fast eine Würdigung“, sagte er: „Die Pillen zu bekommen, das bedeutete, dass ich in den Kader aufgenomme­n war, von dem besondere Leistungen erwartet wurden.“Niemand habe mit ihm „über Nebenwirku­ngen oder Risiken“gesprochen: sein Trainer nicht und auch nicht sein Vater – ein Mediziner.

Abele kritisiert spätes Geständnis

„Dass er so lange geschwiege­n hat, finde ich beschämend. Da hätte er eher mal den Cut machen müssen! Das war ein Riesenfehl­er von ihm“, sagte der neue Zehnkampf-Europameis­ter Arthur Abele. „Doping ist ein No-go. Das ist illegal, das gehört nicht in den Sport, und das ist unfair gegenüber den sauberen Athleten. Das ist eine absolute Frechheit“, meinte der 32 Jahre alte Ulmer. „Zehnkampf ist bei uns im Land eine Familientr­adition – und in einer Familie schmerzt Betrug umso mehr.“

Bei anderen aktuellen Athleten fand Schenks Geständnis Anklang. „Ich finde es gut, dass jetzt Sportler der DDR gestehen, dass sie gedopt haben“, sagte der aktuelle Zehnkampf-Vizeweltme­ister Rico Freimuth: „Alle die, die immer noch sagen, sie hätten von nichts gewusst, sind naiv oder haben Angst vor der Wahrheit.“

Auch Clemens Prokop, Ehrenvorsi­tzender des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes, begrüßte das Geständnis. „Das verdient höchsten Respekt“, meinte er: „Jede klare Darstellun­g der Vergangenh­eit beim Gebrauch von verbotenen Substanzen ist auch ein warnender Hinweis für junge Athleten.“Auch die Anti-Doping-Aktivistin Ines Geipel lobte das Vorgehen. „Dass Christian Schenk sich in seinem Buch zu seiner Doping-Geschichte äußert, ist nur zu begrüßen“, sagte die frühere DDRSprinte­rin. Schenk sei noch immer einer der ersten Ost-Stars, dem das gelinge. „Eine Überraschu­ng ist das bei 15 000 staatsgedo­pten DDR-Athleten allerdings nicht“, betonte Geipel.

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FOTO: IMAGO Christian Schenk während des Olympische­n Zehnkampfs 1988 in Seoul – den er gewann.

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